In einem Artikel mit dem Titel Bürgerforum »Wohin mit dem Atommüll?« berichtet Bloggerin Sylvia Bader-Giese über das gleichnamige Projekt. Per Zufallsprinzip wurden Bürger ausgewählt, um an drei Terminen im Februar und März in Lutherstadt Wittenberg unter professioneller Moderation ein Bürgergutachten zur Lagerung hochradioaktiver Abfälle zu erstellen. Das Ergebnis ist kein umfangreicher Wälzer, sondern ein gut lesbarer 24-Seiter. Das Projekt stellt auch nicht irgendeine Leutebespaßung dar, sondern ist hochoffizieller Teil der hochoffiziellen Bürgerbeteiligung bei der hochoffiziellen Endlagersuche.
Gut gefällt mir, daß die mitwirkenden Bürger eine offene Einstellung gegenüber alternativen Entsorgungsmöglichkeiten fordern und diese kontinuierlich beobachtet wissen wollen. Das ist ein wichtiger Punkt, denn diese alternativen Entsorgungsmöglichkeiten kommen ja ansonsten in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz oder gar nicht vor. Das ist kein Wunder, denn die Alternative zur Lagerung der Substanzen ist ihre Umwandlung. Die ist nur kernphysikalisch machbar, und an so etwas trauen sich Deutschlands Energiewende-Mainstream-Politiker nicht heran.
Diskussion über Endlagerungsalternativen nötig
Jedenfalls gewinnt man in der öffentlichen Diskussion den Eindruck, die Endlagerung sei der einzige Weg, den Atommüll loszuwerden, und es gehe nur noch um den am wenigsten ungeeigneten Standort. Selbst die vom Bundesumweltministerium erstellten Unterrichtsmaterialien zum Thema Atommüllentsorgung verschweigen Alternativen zur Endlagerung, um die Schüler und künftigen Gestalter unserer Gesellschaft gar nicht erst auf »falsche« Gedanken zu bringen.
Wenn die Bundesregierung die Menschen nicht aufklärt, dann müssen es andere tun. Ich selbst engagiere mich im Nuklearia e.V. Der Verein informiert unter anderem darüber, daß und wie es möglich ist, die hochradioaktiven, langlebigen Abfälle in kurzlebige umzuwandeln. Das verkürzt die Lagerdauer von 300.000 auf 300 Jahre. Wenn wir diesen Weg gehen, brauchen wir kein sicheres Endlager »für die Ewigkeit« mehr zu bauen. Eine Lagerstätte für einen deutlich überschaubareren Zeitraum reicht aus, nämlich für gerade mal 0,1 Prozent der ursprünglichen Dauer. Dafür sind die technischen Anforderungen erheblich leichter zu erfüllen.
Zugleich lassen sich Unmengen von Energie freisetzen und Strom erzeugen – wetterunabhängig und CO2-frei. Möglich ist das alles in Schnellen Reaktoren (die gibt es) und subkritischen Transmutationsanlagen (daran wird geforscht). In anderen Ländern ist man bereits erheblich weiter als wir – kein Wunder, denn abgesehen von ein bißchen Alibi-Mitarbeit auf europäischer Ebene tut Deutschland hier ja nichts. Am weitesten ist das US-Unternehmen Firma GE Hitachi Nuclear, die mit dem PRISM unter dem Slogan “Turns Waste into Watts” und mit dem Advanced Recycling Center entsprechende Anlagen anbietet.
Gesellschaftlicher Konsens braucht umfassende Informationen
Das Bürgergutachten fordert einen gesamtgesellschaftlichen Konsens in der Atommüllentsorgungsfrage. Dieser Forderung schließe ich mich gern an. Um sinnvoll entscheiden zu können, müssen die Bürger aber auch umfassend informiert sein und über die Alternativen zur Endlagerung und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile Bescheid wissen. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht. Sie kann sich auch nicht damit herausreden, die direkte Endlagerung sei nun einmal der im Atomgesetz vorgeschriebene Weg. Gesetze kann man ändern, und wenn man neue Erkenntnisse gewinnt, sollte man das tun.
Bis dahin ist es allerdings noch ein sehr weiter Weg. Wer nicht auf regierungsoffizielle Dokumente zu Endlagerungsalternativen warten will, kann sich auf der Atommüllseite der Nuklearia umtun. Weitere Informationen findet man in der Linksammlung der Nuklearia zu folgenden Themenkreisen:
Das meiste davon ist in Englisch. Deutsche Literatur zu Kernenergiethemen ist leider überwiegend ideologisch durchsetzt, übrigens auch die deutsche Wikipedia. Ich kann in diesem Themenfeld nur die englische Wikipedia empfehlen.
Das Bürgergutachten spricht zu Recht das Thema Sicherheit an. Ihr Vorrang sollte außer Frage stehen. Wenig bekannt ist allerdings die Tatsache, daß bezogen auf die produzierte Strommenge unter sämtlichen Stromerzeugungsarten ausgerechnet Kernenergie die mit Abstand sicherste ist. Daß Kohle rund 2500 mal mehr Tote pro Terawattstunde als Kernkraft fordert, dürfte einleuchten, doch auch Windkraft (4x mehr) und Solarenergie (11x mehr) fallen gegenüber Kernenergie deutlich zurück.
Strahlung: Respekt ja, Angst nein
Im Zusammenhang mit Kernenergie und Sicherheit ist Strahlung das Horrorwort schlechthin. Manchmal gewinnt man den Eindruck, bereits geringste Mengen an Strahlung bedeuteten ein Todesurteil oder zumindest die sichere Krebserkrankung. Richtig ist, daß man vor Strahlung angemessenen Respekt haben. Den sollte man allerdings auch vor anderen Alltagsdingen haben, etwa Straßenverkehr, Medikamenten, Werkzeugen oder Sonnenstrahlen. Angst hingegen ist weder bei diesen Dingen noch bei Strahlung angezeigt.
Statt in Strahlenhysterie zu verfallen, sollte man Entstehung und Wirkungsweise von Strahlung verstehen, um sie richtig einschätzen und angemessenen reagieren zu können. Die Nuklearia hat dazu einen Flyer herausgegeben. Den kann man nicht nur herunterladen, sondern auf der Nuklearia-Website auch alle Aussagen anhand der verlinkten Quellen nachvollziehen. Erwähnenswert ist auch die gerade erschienene aktualisierte Fassung des Buches Radiation and Health von Thormod Henriksen und einem Team von Bio- und Medizinphysikern der Universität Oslo. Wer sich umfassend zum Thema Strahlung informieren will, kann es herunterladen und sich in gut lesbare 325 Seiten hineinwühlen.
Kein Zeitdruck
Schließlich noch der Hinweis darauf, daß wir beim Atommüll nicht unter Zeitdruck stehen. Hier irrt das Bürgergutachten. Lieber eine gut durchdachte als eine überhastete Lösung! Das paßt auch zur Forderung der Autoren, alternative Entsorgungsmöglichkeiten nicht außer Acht zu lassen und gegebenenfalls einzusetzen.
Wenn Deutschland schon nicht selbst forschen mag, so können wir doch immerhin die Ergebnisse anderer abwarten. Die Entwicklung eigener Lösungen wäre natürlich sehr viel besser, denn die könnten wir nicht nur selbst einsetzen, sondern auch exportieren. Doch wer das nicht will, muß halt die Lösungen und das Know-how anderer einkaufen.
Zeitdruck haben wir aktuell zwar noch nicht, aber in einige Jahrtausenden sollten wir zu Potte gekommen sein. Das Material in den gebrauchten Brennelementen ist, wenn es aus dem Reaktor kommt, zwar nicht kernwaffenfähig, doch durch die radioaktiven Zerfälle ändert sich seine Zusammensetzung mit der Zeit. Nach etwa 9.000 Jahren fängt das Zeug an, für Bombenbauer interessant zu werden. Außerdem sind die hochaktiven Spaltprodukte dann längst abgeklungen und der Umgang mit dem Atommüll viel ungefährlicher.
Wenn wir an die gern und viel zitierten künftigen Generationen denken, sollten wir vielleicht doch besser nichts endlagern, das Terroristen der Zukunft ausgraben könnten. Ich plädiere dafür, das Material in Schnellen Reaktoren oder subkritischen Transmutationsanlagen als Energiequelle zu nutzen und zugleich unschädlich zu machen.
Down Under goes nuclear?
Es ist immer gut, über den Tellerrand zu schauen und sich darüber zu informieren, was andere in Sachen Atommüll machen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, einen globalen Überblick zu geben, aber auf eine spannende Entwicklung sei hingewiesen. Sie geschieht ausgerechnet dort, wo man es am wenigsten erwartet: im kernkraftfreien Australien, genauer: im Bundesland Südaustralien. Hier wurde gerade eine Royal Commission ins Leben gerufen, die die Vor- und Nachteile der Kernenergie objektiv untersuchen und abwägen soll. Der liberale Senator Sean Edwards geht gleich mehrere Schritte weiter und entwirft folgendes Zukunftsszenario für Südaustralien:
- Im ersten Schritt bietet Südaustralien Kernenergieanwendern aus aller Welt an, ihren Atommüll abzunehmen und bei sich einzulagern – gegen Gebühr, versteht sich.
- Aus den vereinnahmten Gebühren werden moderne Kernreaktoren errichtet, die den Atomüll als Brennstoff nutzen können. Dafür bietet sich der oben erwähnte PRISM-Reaktor von GE Hitachi Nuclear als »Atommüllfresser« an.
- Der umwelt- und klimafreundlich aus Atommüll erzeugte Strom macht erhebliche Kohle- und Gaskapazitäten überflüssig.
- Die Bürger profitieren doppelt: mehr Arbeitsplätze, geringere Steuern.
Mehr dazu hier: Nuclear in Australia: Through a New Prism (weitere Quellen siehe dort)