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Gorleben-Ausschluss gefährdet erfolgreiche Endlagersuche

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat den Salzstock Gorleben von der weiteren Endlagersuche ausgeschlossen. Doch die Begründung für diesen Ausschluss ist fragwürdig und entspricht nicht den Forderungen des Standortauswahlgesetzes (StandAG). Die BGE liefert damit eine Steilvorlage für Protestler in allen weiteren Teilgebieten und gefährdet dadurch den Erfolg des Auswahlverfahrens.

Am 28. September 2020 veröffentlichte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren Zwischenbericht Teilgebiete gemäß § 13 des Standortauswahlgesetzes (StandAG). In diesem Zwischenbericht zur Endlagersuche wurden 90 von rund 200 untersuchten Teilgebieten als geowissenschaftlich günstige Standorte für ein atomares Endlager gewertet. Diese 90 Teilgebiete decken mehr als die Hälfte Deutschlands ab und erstrecken sich über alle Bundesländer mit Ausnahme des Saarlands. Sie sollen im weiteren Verfahren näher erkundet und auch nach planungswissenschaftlichen Kriterien gemäß § 25 StandAG bewertet werden.

Der Salzstock Gorleben erfüllt zwar die Mindestanforderungen des StandAG, wurde aber von der BGE wegen einer nur geringmächtigen bis nicht vorhandenen Überdeckung als geologisch ungünstig eingestuft und deshalb nach § 36 StandAG vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.

Positive Bewertungen Gorlebens in der Vergangenheit

Wer sich über diese Ausschlussentscheidung gewundert hat, hatte allen Grund dazu. Denn bereits die rot-grüne Bundesregierung hatte im Jahr 2000 die Barrierefunktion des Salzes im Salzstock Gorleben positiv bestätigt und die sogenannte Eignungshöffigkeit des Salzstocks anerkannt. Diese Bestätigung erfolgte auf Grundlage der Ergebnisse einer seit 1979 laufenden Erkundung. Sie ist als Anlage 4 Bestandteil der Vereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen über den Atomausstieg vom 14. Juni 2000. Unterzeichnet wurde diese Vereinbarung vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesumweltminister Jürgen Trittin.

Im Jahr 2013 erstellte die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMU) die Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben (VSG), die diese Einschätzung noch einmal bestätigte (VSG AP 13, Synthesebericht, Seite 137):

Durch die Endlagerplanung ist gewährleistet, dass große Mächtigkeiten der Salzgesteinsbarriere zu den Seiten sowie nach oben zum Salzspiegel vorhanden sind. Insbesondere wird durch die Teufenlage eine negative Beeinflussung des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs durch die betrachteten exogenen Prozesse ausgeschlossen.

Es war daher für viele Beobachter eine Überraschung, als die BGE den Ausschluss des Salzstocks Gorleben verkündete.

Gorleben-Entscheidung widerspricht Standortauswahlgesetz

Die Begründung der BGE für diesen Ausschluss widerspricht jedoch wesentlichen Forderungen des StandAG. Das Gesetz verlangt in § 1, dass der bestgeeignete Standort in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Verfahren zu ermitteln ist. Desweiteren hat die Auswahl gemäß § 13 Abs. 1 unter Anwendung geowissenschaftlicher Anforderungen und Kriterien zu erfolgen. Diese Abwägungskriterien 1 bis 11 sind in den Anlagen zum StandAG festgelegt.

Die BGE begründet den Gorleben-Ausschluss im Wesentlichen mit einer ungünstigen Wertung im Abwägungskriterium 11, Schutz des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs durch das Deckgebirge. Sie ist der Ansicht, das identifizierte Gebiet besäße »keine bis nur geringmächtige Überdeckung« und stehe im Kontakt mit quartären Ablagerungen, welche als nicht grundwasser- und erosionshemmend angesehen werden. Deshalb sei eine »potenzielle hydraulische Wirksamkeit für den einschlusswirksamen Gebirgsbereich bzw. das identifizierte Gebiet sehr wahrscheinlich« (§ 36 Salzstock Gorleben, Seite 40).

Doch die Gleichsetzung des identifizierten Gebietes mit dem sogenannten einschlusswirksamen Gebirgsbereich (ewG) ist nicht sachgerecht.

Abbildung 1: Einlagerungsbereich Gorleben, Ausschnitt aus VSG AP13 Synthesebericht, Abbildung 6.2, Seite 300

Tatsächlich ist der ewG nur ein kleiner Teil des gesamten Salzstocks (das identifizierte Gebiet). Seine Ausdehnung ergibt sich durch eine 50 m mächtige Salzschicht im Hauptsalz um den Einlagerungsbereich (Repository) herum. (VSG AP 13, Abschnitt 5.2.5, Seite 226). Der Einlagerungsbereich ist in einer Tiefe von 870 m geplant, 520 m unterhalb des Salzspiegels (Abb. 1). Der obere Rand des ewG liegt somit gut 800 m unterhalb der Geländeoberfläche und rund 470 m unterhalb des Salzspiegels.

Einlagerungsbereich Gorleben liegt tief und isoliert genug

Dies wird von der BGE an anderer Stelle der Bewertung auch gar nicht bestritten. So sieht auch die BGE die Mindestanforderung »minimale Teufe des ewG« für den Salzstock Gorleben als erfüllt an (§ 36 Salzstock Gorleben, 7.2.3, Seite 32).

Nach dieser Forderung muss bei Steinsalz in steiler Lagerung »die Salzschwebe über dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich mindestens 300 Meter mächtig sein« (§ 23 Abs. 5 Nr. 3 StandAG). Der ewG kann also schon von daher keinen Kontakt mit den quartären Ablagerungen haben, deren Isolationseigenschaften die BGE beanstandet. Laut § 2 StandAG gehört zum Deckgebirge »der Teil des Gebirges oberhalb des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs« – also auch die mindestens 300 m mächtige Salzschwebe.

Auch im Abwägungskriterium 2, Konfiguration der Gesteinskörper, bewertet die BGE den Salzstock Gorleben als »insgesamt günstig«. Die »Teufe der oberen Begrenzung des erforderlichen einschlusswirksamen Gebirgsbereichs« gibt die BGE mit ≫ 500 Meter an (§ 36 Salzstock Gorleben, Seite 38). Sie liegt damit deutlich unterhalb der nur 350 m mächtigen Überdeckung des Salzstocks (Abb. 1).

BGE misst mit zweierlei Maß und lässt Transparenz vermissen

Abbildung 2 zeigt, wie verschiedene als „günstig“ eingestufte Teilgebiete bei Anwendung der Abwägungskriterien im Vergleich zu Gorleben abgeschnitten haben. Es fällt auf, dass die BGE die Salzstöcke Meissendorf/Wolthausen (5.3.31) und Offlebener Sattel (5.3.59) in sämtlichen 11 geowissenschaftlichen Abwägungskriterien genau gleich bewertet wie Gorleben. Dennoch scheidet Gorleben aus dem Rennen aus, die beiden anderen Salzstöcke aber nicht.

Wie kann das sein? Die Anwendung der Abwägungskriterien nach § 13 StandAG muss nach § 1 (2) transparent erfolgen, also nachvollziehbar sein. Das ist hier nicht der Fall. Die BGE misst mit zweierlei Maß und erklärt nicht, warum. Damit verstößt sie gegen eine grundlegende Forderung des StandAG.

Abbildung 2: Bewertung des Salzstocks Gorleben im Vergleich mit anderen, als geologisch günstig eingestuften Salzstöcken. Darstellung nach Abgaben im Zwischenbericht Teilgebiete der BGE.

Nicht nachvollziehbar ist auch die Bewertung der Salzstöcke Düderode-Oldenrode (5.3.34) und Bonese (5.3.46). Diese Salzstöcke bewertet die BGE beim Abwägungskriterium 2 wegen zu geringer Größe als »weniger günstig«. Trotzdem stuft die BGE beide Salzstöcken als »insgesamt günstig« ein.

Wie kann das sein? Die Abwägungskriterien 1 bis 4 besitzen laut Abschlussbericht der Endlagerkommission besonderes Gewicht. Sie beschreiben nämlich »die zentrale geologische Eigenschaft des gesamten Endlagersystems und damit insofern das primäre Standortmerkmal nach dem im Auswahlverfahren gesucht wird« (Seite 51, Kriteriengruppe 1, sic). In allen diesen zentralen Abwägungskriterien wird Gorleben jedoch mit »günstig« bewertet.

Besonderheiten der Abwägungskriterien 9 und 10

Bei der Betrachtung der Steinsalz-Teilgebiete fällt auf, dass die BGE sie in Bezug auf die Abwägungskriterien 9 (Rückhaltevermögen) und 10 (hydrochemische Verhältnisse) alle gleichermaßen als »nicht günstig« bewertet. In diesen Punkten schneidet Gorleben also nicht besser oder schlechter als andere Steinsalz-Standorte ab.

Das hat folgenden Grund: Für die Abwägungskriterien 9 und 10 wurden keine individuellen Daten der einzelnen Gebiete im Steinsalz berücksichtigt. Stattdessen hat die BGE einen einheitlichen Referenzdatensatz für Steinsalz angewendet.

Die BGE versichert, dass für diese Referenzdaten »sehr günstige Eigenschaften für das jeweilige Wirtsgestein zugrunde gelegt werden« (Zwischenbericht, S. 117). Damit wolle man verhindern, so die BGE, dass Gebiete auf Basis von Referenzdaten unberechtigt ausgeschlossen werden, obwohl ihre realen Daten eine günstigere Bewertung erlauben würden.

Referenzdaten sind kein Ausschlussgrund

Kann ein Teilgebiet auf der Grundlage solcher Referenzdaten ausgeschlossen werden? Erläuterungen zu diesen Kriterien im Abschlussbericht der Endlagerkommission sprechen dagegen. Zum Kriterium 9 schreibt die Endlagerkommission (S. 328, Hervorhebung durch den Verfasser):

Die Bedeutung des Rückhaltevermögens ist daher im Rahmen der abwägenden Gesamtbetrachtung von Endlagersystemen zu beurteilen.

Und weiter:

Hinsichtlich des Ausmaßes von Sorption bestehen zwischen den nuklid-, gesteins- und milieuspezifischen Faktoren komplexe Beziehungen, die über die Benennung der geschilderten allgemeinen Zusammenhänge hinaus die Ableitung eines pauschal anwendbaren quantitativen Kriteriums nicht erlauben. Die Definition und Beurteilung günstiger geochemischer Verhältnisse für Sorptionsvorgänge muss vielmehr im Rahmen einer komplexen gesteins-, nuklid- und milieu-spezifischen Fallunterscheidung in späteren Verfahrensschritten vorgenommen werden.

Standortspezifische Betrachtung notwendig

Zum Kriterium 10 (hydrochemische Verhältnisse) schreibt die Endlagerkommission (S. 330):

Der gegenwärtige Kenntnisstand zum Chemismus von Tiefenwässern in Deutschland und die heterogene Verbreitung verschiedener Grundwassertypen auf engem Raum lässt allerdings keine flächendeckenden Aussagen zur Charakterisierung und Beurteilung von Standortregionen und Standorten auf der Basis hydrochemischer Kriterien zu. Insbesondere bei Grundwässern im für die Errichtung eines Endlagers vorgesehenen Tiefenbereich ist das Wissen über die hydrochemischen Verhältnisse dafür zu lückenhaft. Zuverlässige Aussagen sind daher erst bei genauerer regionaler beziehungsweise standortspezifischer Betrachtung auf Basis entsprechender Daten möglich.

Die Endlagerkommission hält somit eine abschließende Bewertung allein anhand von Referenzdaten für nicht aussagekräftig. Eine standortspezifische Betrachtung könnte zu einem besseren Ergebnis führen. Eine Nicht-günstig-Bewertung auf Basis standortspezifischer Daten kann deshalb keine Grundlage für eine Ausschlussentscheidung sein. Referenzdaten allein taugen dazu nicht. Ähnlich hat sich auch schon das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in einer Veröffentlichung von 2005 in Bezug auf unterschiedliche Wirtsgesteine geäußert (BfS-Synthesebericht zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, S. 149):

Die Aufstellung einer Rangfolge von Wirtsgesteinen ist daher auf generischer Basis nicht sinnvoll, sondern mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.

Kein Ausschluss aufgrund eines einzelnen Kriteriums

Wenn aber die Kriterien 9 und 10 als Ausschlussgründe wegfallen, dann bleibt die Ungünstig-Bewertung im Kriterium 11 die einzige Grundlage für die Ausschlussentscheidung der BGE. Ein einzelnes Abwägungskriterium ist aber »nicht hinreichend, um die günstige geologische Gesamtsituation nachzuweisen oder auszuschließen (BT‑Drs. 18/11398, S. 71)«, wie der Zwischenbericht der BGE auf Seite 114 selbst anmerkt.

Fazit

Der Ausschluss von Gorleben verstößt also schon gegen die Vorgabe, dass ein einziges Kriterium allein keinen Ausschluss begründen kann. Er verstößt darüber hinaus gegen die Forderung des StandAG nach Transparenz und Wissenschaftlichkeit. Er verengt willkürlich die Auswahl an geowissenschaftlich günstigen Teilgebieten und erschwert damit den Erfolg der Standortsuche.

Das Ausschluss-Argument »mangelnder Schutz des Deckgebirges« (Abwägungskriterium 11) entspricht einem bekannten Einwand von Gorleben-Gegnern. Dieser Einwand wurde mehrfach von öffentlich beauftragten Wissenschaftlern bewertet und als nicht stichhaltig verworfen. Umso mehr verwundert es, ihm erneut im Zwischenbericht des BGE zu begegnen.

Einwendungen lokaler Lobbygruppen sind für jedes Teilgebiet zu erwarten, wenn es in die engere Auswahl kommt. Ignoriert die BGE auch hier die Ergebnisse der im öffentlichen Auftrag forschenden Wissenschaft und gibt stattdessen den örtlichen Lobbygruppen nach, dann wird das Standortauswahlverfahren auf absehbare Zeit nicht zum Erfolg führen.

Vereinfachter schematischer Schnitt durch den Salzstock Gorleben (Schnitt C–C’; aus BORNEMANN 1991, Anl. 23). Hauptanhydrit ist idealisiert als durchgehender Strang dargestellt.

Quellen


Titelbild: Schnitt durch den Salzstock Gorleben (Ausschnitt). Quelle: Köthe et al., »Standortbeschreibung Gorleben Teil 2«, 2007. Mit freundlicher Genehmigung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (© BGR Hannover)

Christoph Barthe

Christoph Barthe hat Physik und Wirtschaftswissenschaften studiert und unter anderem 30 Jahre in einem Unternehmen der Ölindustrie gearbeitet. Seit 10 Jahren setzt er sich für die friedliche Nutzung der Kernenergie ein. Er ist ein überzeugter Anhänger von Michael Shellenberger. Nach dem Nuclear-Pride-Fest in München hat er sich der Nuklearia angeschlossen und ist Mitglied des Vorstands.

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