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Radioaktive Freisetzungen in Garching – Müssen wir jetzt alle sterben?
Radioaktive Freisetzungen in Garching – Müssen wir jetzt alle sterben?
Veröffentlicht am 2020-05-20
Von Rainer Klute
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Ja, klar, sterben müssen wir – aber nicht daran. Wir werden nicht einmal krank davon. Doch über die Sinnhaftigkeit von Grenzwerten sollten wir reden!

Wie die Technische Universität München mitteilt, ist am 14. Mai 2020 bei ihrer Forschungsneutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz, also dem Forschungsreaktor FRM II in Garching, radioaktiver Kohlenstoff-14 (C-14) ausgetreten. Dies habe zu einer Überschreitung des Jahresgrenzwerts um 15 Prozent geführt. Eine Ausschöpfung dieses Grenzwerts, so die Universität weiter, könne bei der Bevölkerung (gemeint ist: bei Einzelpersonen in der Bevölkerung) theoretisch zu einer Strahlenexposition von maximal 3 Mikrosievert (µSv) führen. 15 Prozent Überschreitung bedeuten also knapp 3,5 µSv – maximal.

Keine Auswirkungen auf Mensch und Umwelt – kann das denn sein?

3,5 µSv – ist das viel? Ist das wenig? Die Technische Universität München behauptet, das Ereignis habe keine Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Auch das ansonsten atomhysterische Bundesumweltministerium sieht nach Angaben des BR keine Gefahr. Ist das glaubhaft? Schauen wir uns die Zahlen einmal näher an.

Wir sind ständig Strahlung ausgesetzt. Im Boden, im Wasser und in der Luft sind kleine Mengen radioaktiver Substanzen, die wir mit der Nahrung, mit dem Trinkwasser und mit jedem Atemzug aufnehmen. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) verrät uns, dass durch diese natürliche Strahlung in Deutschland jeder von uns im Durchschnitt einer Strahlenbelastung von 2,1 Millisievert pro Jahr (mSv/a) ausgesetzt sind.

Anmerkung: Statt Strahlenbelastung verwende ich lieber das Wort Strahlenexposition. Es drückt aus, dass ein Mensch einer bestimmten »Menge« an Strahlung ausgesetzt ist oder war, lässt aber offen, ob dies für ihn eine Belastung ist oder nicht.

Die durchschnittliche Strahlenexposition in Deutschland liegt bei 3.800 µSv im Jahr, davon 2.100 µSv aus natürlichen Quellen. Die zivilisatorische Exposition von im Schnitt 1.700 µSv pro Jahr stammt vor allem aus medizinischen Anwendungen. (1 mSv = 1.000 µSv)

3,5 Mikrosievert – nur ein Klacks

2,1 Millisievert (mSv) – das sind 2.100 Mikrosievert (µSv). Im Vergleich dazu sind die 3,5 µSv durch die Freisetzung des Forschungsreaktors nur ein winziger Bruchteil und eigentlich nicht der Rede wert. Die Technische Universität München scheint hier also durchaus Recht zu haben.

Aber kann es nicht sein, dass diese 3,5 µSv gerade der eine Tropfen sind, der das Fass zum Überlaufen bringt und zu einer Erkrankung führt? Nein, das ist nicht der Fall. Denn die 2.100 µSv pro Jahr sind nur ein Durchschnittswert, der sich aus vielen unterschiedlichen Werten bildet. Und diese Werte decken eine beträchtliche Spanne ab: Laut BfS reichen sie von 1.000 µSv bis zu 10.000 µSv pro Jahr, je nach Wohnort, Ernährungs- und Lebensgewohnheiten.

Höhere Strahlung ohne Folgen

Es gibt also Gegenden, in denen Menschen sehr viel höhere Strahlenexpositionen als 2.103,5 µSv abbekommen, ohne dass es dort häufiger zu Krebserkrankungen kommt.

Das gilt übrigens weltweit: In manchen Gegenden ist die natürliche Umgebungsstrahlung mehr als dreißigmal höher als in Deutschland, und die Menschen erkranken dadurch nicht häufiger an Krebs als wir.

Klar, Strahlung kann auch schädlich sein. Wer eine effektive Dosis von 100.000 µSv oder mehr erhalten hat, kann anfangen, sich Gedanken zu machen. Das aber auch nur dann, wenn man die Strahlung innerhalb kurzer Zeit erhalten hat. Verteilt sie sich über einen längeren Zeitraum, kommt der menschliche Körper auch mit viel höheren Strahlendosen klar.

Vernünftige Grenzwerte nötig

Die Zahlen zeigen: Auf 3,5 µSv mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an, auch nicht auf 35 oder 350 µSv. Wer daraus ein Drama macht, hat grundlegende Dinge über Strahlung noch nicht verstanden.

Gar die Stilllegung des Forschungsreaktors zu fordern – entsprechende Stimmen kommen aus der grünen Ecke –, ist absolut lächerlich und hat mit Augenmaß und einer realistischen Bewertung des Vorfalls nicht das Geringste zu tun.

Man könnte natürlich auf die Idee kommen, zu hinterfragen, warum denn dann eigentlich der Grenzwert derart niedrig angesetzt ist. Ich halte das für eine ausgesprochen berechtigte Frage. Darüber sollten wir reden!


Titelbild: Technische Universität München in Garching: Reaktorgebäude (“Atomei” Denkmalnummer 313341; Aktennummer D-1-84-119-13) und die Neutronenquelle FRM II, High Contrast, Wikimedia Commons, CC BY 2.0 DE

Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog des Autors.


Rainer Klute

Rainer Klute ist Diplom-Informatiker, Nebenfach-Physiker und Vorsitzender des Nuklearia e. V. Seine Berufung zur Kernenergie erfuhr er im Jahr 2011, als durch Erdbeben und Tsunami in Japan und das nachfolgende Reaktorunglück im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi auch einer seiner Söhne betroffen war.

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Strahlung
beccon sagt:

Ins Erzgebirge dürfte dann auch niemand mehr reisen. In die Gegend um den Windberg bei Dresden/ Freital auch nicht.

Joseph Hausmann sagt:

Meinen alten Knochen / Gelenken täte eine wesentlich stärkere “Belastung” vermutlich gut.

Harald Breitkreutz sagt:

Man sollte noch hinzufügen, dass der C-14 Emissions-Grenzwert für den FRM II nur 20% des gesetzlichen Grenzwertes beträgt. Bei einer Überschreitung von 15% wurden also insgesamt 23% dessen ausgestoßen, was jedes Feld-, Wald- und Wiesenlabor genehmigungsfrei emittieren darf.

Rainer Klute sagt:

Ja, das könnte man hinzufügen. Ich fürchte aber, damit täte man den geltenden Grenzwerten zu viel Ehre an. Ich würde lieber darüber diskutieren, was Grenzwerte bedeuten, ob bzw. was sie mit gesundheitlichen Risiken zu tun haben und wie sie sinnvollerweise sein sollten.