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Neue Kernkraftwerke für Deutschland – Strategie für einen Wiedereinstieg
Neue Kernkraftwerke für Deutschland – Strategie für einen Wiedereinstieg
Veröffentlicht am 2024-04-30
Von Dominic Wipplinger
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Zwei Drittel aller Deutschen wollen zurück zur Kernkraft – doch wie könnte das gelingen? Heute und auch in den kommenden Jahren wäre der schnellste und wirtschaftlichste Weg zurück zur Kernkraft, die sechs zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke zurückzuholen. Das gilt auch für diejenigen Anlagen, in denen bereits erste Rückbauschritte erfolgt sind. Damit alleine kann jedoch nicht genug Kernkraftwerkskapazität ans Netz gebracht werden, um einen vollständigen Kohleausstieg und gleichzeitig eine substanzielle Reduktion der Abhängigkeit von teuren Gasimporten zu erlauben. Vor allem dann nicht, wenn der Strombedarf durch eine weitergehende Elektrifizierung von Verkehr, Heizungen und Industrie absehbar steigt. Daher ist es unabhängig von einer möglichen Wiederinbetriebnahme einiger stillgelegter Anlagen auch wichtig, über Kernkraftwerksneubauten nachzudenken.

EPR – eine teuer erprobte Lösung

Ein bereits erprobter Reaktortyp, der sich unmittelbar für einen Neubau in Deutschland eignen würde, ist der EPR (European Pressurized Reactor) von Framatome. Dieser Reaktor wurde schließlich speziell entwickelt, um die Anforderungen der Deutschen Reaktor-Sicherheitskomission (RSK) zu erfüllen. Mittlerweile sind drei Kernkraftwerke mit diesem Reaktortyp in Betrieb, eine Anlage in Finnland, zwei weitere in China. Drei weitere Anlagen sind in Bau, eine in Frankreich und zwei in Großbritannien. Zwei weitere Anlagen in Großbritannien sind in Planung und warten auf die endgültige Entscheidung für den Baubeginn. In Frankreich gibt es darüber hinaus Planungen für mehr als 14 Blöcke des wirtschaftlich optimierten Nachfolgers EPR2. Dieser ist aber nicht mehr in gleichem Maß auf die RSK-Anforderungen zugeschnitten und daher wohl nicht ohne weiteres in Deutschland genehmigungsfähig. Dennoch könnten sich bei EPR-Neubauten in Deutschland erhebliche Synergien mit den Neubauprogrammen in anderen Ländern ergeben, insbesondere Großbritannien und Frankreich, zumal sich viele Komponenten und Systeme des EPR2 nicht von denen des EPR unterscheiden.

Alle bisher realisierten oder noch in Bau befindlichen EPR-Projekte litten oder leiden zwar unter massiven Verzögerungen und Kostenüberschreitungen, es sollte allerdings möglich sein, aus den Fehlern der bisherigen Projekte zu lernen und sie künftig zu vermeiden. In Frankreich vertraut man jedenfalls darauf, dass dies möglich ist. Deutschland könnte von den Erfahrungen profitieren, für die andere bezahlt haben. Ein Nachteil des EPR ist seine große Blockleistung. Sie schränkt die möglichen Kraftwerksstandorte ein, da die Anlage vergleichsweise viel Platz und Kühlwasser sowie eine gute Anbindung an das Stromnetz und einen geologisch günstigen Untergrund benötigt. Für neue Kernkraftwerke dieser Größe bieten sich daher am ehesten die bereits existierenden Kernkraftwerksstandorte und große Kohlekraftwerksstandorte an.

Andere große Reaktoren

Weitere in Frage kommende große Kernreaktoren sind etwa der koreanische KEPCO APR1400, der fortschrittliche Siedewasserreaktor ABWR (Advanced Boiling Water Reactor), der von Hitachi-GE und Toshiba in unterschiedlichen Varianten (HI-ABWR, iBR) angeboten wird. Von diesen Reaktormodellen laufen jeweils bereits mehrere Blöcke in Südkorea und den Vereinigten Arabischen Emiraten bzw. Japan (derzeit nicht in Betrieb). Deren Bau lief vergleichsweise reibungslos im Zeit- und Kostenplan. In Deutschland müssten aber, um die RSK-Anforderungen zu erfüllen, erheblich angepasste Varianten errichtet werden, mit denen es noch keine direkte Bauerfahrung gibt, insbesondere nicht innerhalb der EU.

Ein weiterer naheliegender Reaktor ist der Westinghouse AP1000, ein Druckwasserreaktor mit passiver nuklearer Sicherheit. Vier dieser Reaktoren sind mittlerweile in den USA und China in Betrieb; drei Blöcke sind in Polen, ein weiterer in Bulgarien geplant. Auch die Ukraine setzt auf diesen Reaktortyp; dort laufen bereits die ersten Bauarbeiten. Allerdings existiert bislang nicht einmal auf dem Papier eine Version, welche die RSK-Anforderungen erfüllen könnte. Hier wären wohl erhebliche Anpassungen nötig. Ähnlich wie die EPR-Neubauprojekte litten auch die bisherigen AP1000-Bauprojekte unter erheblichen Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Es sollte aber wiederum möglich sein, aus den Fehlern zu lernen und die Dinge künftig besser zu machen.

SMR: modulare Kleinreaktoren

Heute sind sogenannte SMR (Small Modular Reactors, modulare Kleinreaktoren) in aller Munde. Diese Minikernkraftwerke haben typischerweise eine Leistung von maximal etwa 300 MW pro Reaktorblock, also nur etwa ein Fünftel eines EPR. Daraus ergeben sich einige Vorteile. Zwar sind die Kosten in Relation zur Reaktorleistung nicht unbedingt kleiner als bei großen Kernkraftwerken, jedoch sorgen die geringeren absoluten Kosten für eine einfachere Finanzierung und geringere Projektrisiken. Auf den kleineren Baustellen sind weniger Fachkräfte erforderlich, wiederum in erster Linie in absoluten Zahlen. Das könnte vor allem dann vorteilhaft sein, wenn es darum geht, die deutsche Nuklearindustrie neu aufzubauen. Mit kleinen Projekten zu starten, kann dann einfacher sein. Weitere Vorteile der geringeren Blockleistung sind die einfachere Integration in das Stromnetz und die flexiblere Standortauswahl. Letztere macht diese Anlagen auch besser geeignet als Kernheizkraftwerke für die Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärmeausspeisung.

SMR wurden bisher ausschließlich in Russland und China realisiert, wenn man von den Antriebsreaktoren von Atom-U-Booten und Flugzeugträgern absieht. Modelle, die für den deutschen Markt in Frage kommen, existieren bisher nur auf dem Papier. Ein solcher Reaktor ist der kleine Siedewasserreaktor BWRX-300 von GE Hitachi Nuclear Energy. Der Bau des ersten Reaktors dieses Typs wird in den kommenden Monaten in Kanada beginnen. Geplant sind BWRX-300-Anlagen auch in Polen, Schweden und Estland. Auch in Großbritannien und den USA gibt es Interesse. Weitere in Frage kommende SMR sind etwa der SMR-300 von Holtec, der UK-SMR von Rolls Royce sowie der französische Nuward, allesamt kleine Druckwasserreaktoren.

Fortschrittliche Reaktoren

Perspektivisch könnten auch fortschrittliche Reaktoren der Generation IV attraktiv sein. Diese können Wärme auf höherem Temperaturniveau erzeugen, was sie für die Prozesswärmegenerierung in der Industrie interessant macht. Aus diesem Grund können auch ihre Turbinen und Kühlsysteme kompakter und effizienter ausfallen. Zum Teil können sie auch als Brutreaktoren arbeiten und damit sowohl den Uranverbrauch als auch die Menge hochradioaktiver Abfälle stark reduzieren. Letzteres ist aber grundsätzlich auch mit etablierten Reaktortypen möglich.

Ein Beispiel für Reaktoren dieser Art ist der bleigekühlte Schnellreaktor des britisch-italienischen Unternehmens Newcleo. Ein erster Prototyp soll in den nächsten Jahren in Frankreich entstehen. Die Technik soll nach dem Bau einer Pilotanlage mit 200 MWe in Großbritannien Mitte der 2030er Jahre kommerzialisiert werden. Die amerikanischen Firmen X-Energy und USNC entwickeln gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren ähnlich den Kugelhaufenreaktoren, die einst in Deutschland entwickelt wurden. Der erste Reaktor von X-Energy, ein Kugelhaufenreaktor mit 100 MW elektrischer Leistung, soll bis 2030 in den USA fertiggestellt werden. USNC plant in einem ähnlichen Zeitraum Reaktoren in Kanada und den USA. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche weitere Projekte anderer Entwickler.

In einem weiteren Blog-Beitrag werde ich demnächst beschreiben, wie die Politik Rahmenbedingungen herstellen kann, welche die Finanzierung von neuen Kernkraftwerken in Deutschland erlauben.

Dominic Wipplinger ist Mechatronikingenieur, Beisitzer im Vorstand von Nuklearia e. V. und in der Österreichischen Kerntechnischen Gesellschaft aktiv. Er hat in zahlreichen Kernkraftwerken als Messtechniker gearbeitet und beschäftigt sich schon lange mit allen Aspekten der Kernenergie und Kerntechnik.

Foto Kernkraftwerk: Wolfgang Weiser / Pixabay

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Atomeinstieg
Reaktortypen
Wolfgang Beer says:

Warum wird hier nicht über den Dual Fluid Reaktor genannt. Der. Badiert auf einem Konzept aus Deutschland, was nun durch die Blockade der Grünen nicht in Deutschland weiter entwickelt wird, sondern in Kanada und Ruanda? Dieser Reaktortyp liefert hohe Temperaturen, die es erlauben auch Erdgas z.B. in Crackern ersetzen. Und er „verbrennt“ existierenden „Atommüll“.

Conrad Willibrord says:

Was ist mit Dual-Fluid-Reaktoren
die auch mit sogenannten
abgebrannten Brennstäbe weiter
arbeiten können sodass
die Reststrahlung auf ~100JAHRE
reduziert wird.

Ralph Fischer says:

Die Politik wird noch mindestens 2 Jahre Regeln erfinden um AKW zu verhindern.
Also besser keine Tips geben was man für neue AKW braucht.

Diepholz Tilo says:

Hi,
Weshalb wird mit keiner Silbe der russische
BN 800 und der in Berlin erfundene
Dual Fluid Reaktor (DFR) erwähnt. Der
DFR hätte noch die folgenden Vorteile:
1. H2-Gewinnung durch Wasseraufspaltung
2. „Verfeuern“ des „Atommülls, was D für
ca. 200 J autark machen würde.
3. Der „Atommüll“ dieses Reaktors hätte eine
Abklingzeit von 300 J.
4. Erzeugung von Trinkwasser
5. Abwärmekopplung

Die Weiterentwicklung von Reaktoren für
Energiedpeicher mit höchster Energiedichte MUSS
das Ziel der Menschheit sein, damit unsere Natur-
Landschaft möglichst unberührt bleibt!
Mit lieben Grüßen
Tilo Diepholz

Wäre es denkbar, die Anforderungen der Deutschen Reaktor-Sicherheitskomission (RSK) auf einen internationalen Standart zu senken? Sind denn die Reaktoren, die in den UAE gebaut wuren, und die die RSK ebentuel nicht erfüllen, viel unsicherer?

Dominic Wipplinger says:

Die RSK-Anforderungen (“RSK-Leitlinien”) sind kein Gesetz und sie sind nicht in Stein gemeißelt.

Prinzipiell kann man von ihnen abweichen wenn man die Aufsichtsbehörde bzw. deren Guachter davon überzeugen kann das man eine alternative technische Lösung hat, die genau so sicher ist.

Außerdem kann man auch mit der RSK reden, welche die Leitlinien gegebenenfalls anpassen kann.

Es ist aber sicherlich einfacher und rechtssicherer wenn man ein Reaktodesign genehmigen lassen will, welches auf Basis der RSK-Leitlinien konstruiert wurde.

Die RSK Leitlinien sollen grundsätzlich den gesetzlich geforderten sicherheitstechnischen “Stand der Technik” konkretisieren. Das ist freilich ein etwas schwammiger Begriff. De-facto gilt gegenwärtig der EPR quasi als Referenz. Und nach gängiger Interpretation kann ein neuerer “Stand der Technik” grundsätzlic immer nur mehr Sicherheit und daher strengere Anforderungen bedeuten.

Gesetzlich kann man hier nur relativ schwer etwas ändern da die RSK politisch unabhängig ist. Allenfalls könnte man das Atomgesetz anpassen und “Stand der Technik” durch “international üblicher Stand der Technik” ersetzen oder das etwas relativieren.

Ein Beispiel für die Probleme vieler Reaktortypen mit den RSK-Leitlinien, so auch des APR-1400, wie er in den UAE gebaut wurde, ist der Reaktorsicherheitsbehälter (Containment). Die RSK-Leitlinien fordern quasi ein Doppelcontainment, der Reaktorsicherheitsbehälter muss von einer dichten baulichen Struktur umgeben sein. Beim normalen APR-1400 ist das jedoch nicht der Fall. Man kann sicherlich argumentieren das ein einfaches Containment unter gewissen Voraussetzungen genau so sicher sein kann. Aber ob die deutschen Behörden sich davon überzeugen lassen weiß man erst wenn man es probiert und beim Versuch gegebenenfalls viel Geld in Gutachten investiert hat. Und es gibt noch einige vergleichbare Problemchen. Die Flugzeugabsturzsicherheit ist etwa auch so ein typisch deutsches Thema. Oder ein Kernfänger…

Ich kann leider auch nicht sagen wie man diese Probleme am besten löst…

Vom APR-1400 ist aber jedenfalls eine für den europäischen Markt optimierte Variante in Entwicklung, welche die RSK-Anforderungen weitgehend erfüllen sollte, der EU-APR, der etwa in Polen gebaut werden soll. Das wäre aber wiederum in vielerlei Hinsicht eine neuartige Anlage mit entsprechend höherem Investitionsrisiko und weniger Bauerfahrung.