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Kosten der Kernkraft: Lazard-Studie führt in die Irre
Kosten der Kernkraft: Lazard-Studie führt in die Irre
Veröffentlicht am 2023-05-27
Von Rainer Klute
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Atomkraftgegner berufen sich gern auf die LCOE-Studie von Lazard, um zu argumentieren, dass Kernkraft die teuerste Energiequelle sei. Doch Lazard berücksichtigt nur ein einziges Kernkraftwerk – das weltweit teuerste.

Das US-Finanzberatungsunternehmen Lazard gibt seit 2009 jährlich eine Studie zu den Kosten verschiedener Stromerzeuger heraus. Genauer gesagt geht es um die Stromgestehungskosten, auch LCOE oder neudeutsch »Levelized Costs Of Electricity« genannt. Die LCOE geben an, wie viel eine Megawattstunde (MWh) aus einem bestimmten Kraftwerk oder Kraftwerkstyp kostet. Dazu dividiert man die Gesamtkosten eines Kraftwerks durch die Anzahl der Megawattstunden (MWh), die es erzeugt.

Für die Kernenergie liefert die Lazard-Studie aus Sicht von Atomkraftgegnern stets erfreulich hohe Zahlen. Als Beleg gilt diese Grafik, in der 2023er-Ausgabe der Lazard-Studie auf Seite 9:

Abb. 1: LCOE: Historische Entwicklung der LCOE verschiedener Stromerzeugungstechnologien im Kraftwerksmaßstab im Vergleich (Lazard 2023)

In diesem Jahr hat die Kernenergie mit 180 $/MWh kostenmäßig sogar die teuren Gaskraftwerke (offene Gasturbinen) hinter sich gelassen. Im unteren Bereich sind die erneuerbaren Energien zu finden. Am kostengünstigsten ist Onshore-Wind mit 50 $/MWh. Knapp darüber liegen Photovoltaikkraftwerke mit 60 $/MWh.

Für viele Freunde der Energiewende ist die Sache damit klar: Für kostengünstigen Strom müssen wir Windkraft- und Solaranlagen bauen. Und bloß keine Kernkraftwerke!

Doch halt! Von den Kosten »der Kernenergie« zu sprechen, ist nicht richtig. Denn Lazard berücksichtigt einzig und allein die Kosten der Reaktorneubauten im Kernkraftwerk Vogtle. Diese Kosten sind aber völlig überhöht und nicht repräsentativ. Im Mittel liegen die Kosten der Kernenergie weit darunter. Der von Lazard angegebene Wert führt daher in die Irre.

Außerdem enthält die Grafik in Abb. 1 gar nicht alle Stromerzeuger, sondern nur diejenigen, die erstens im Kraftwerksmaßstab gebaut sind und zweitens keinen Speicher haben. Wer das gesamte Bild sehen will und zum Beispiel wissen möchte, wie sich Solaranlagen auf Dächern von Wohnhäusern machen, schaut auf Seite 2 nach (Abb. 2). Überraschung: Nicht die Vogtle-Reaktoren, sondern ausgerechnet Solaranlagen auf Wohnhausdächern sind die teuersten Stromerzeuger. Denn es ist viel einfacher und billiger, Tausende von Solarmodulen nebeneinander in einem zentralen Solarkraftwerk zu installieren, zu betreiben und zu warten, als einzelne Solarpaneele auf vielen Hausdächern zu installieren. Dezentrale Stromerzeugung hat ihren Preis, und der kann beträchtlich sein.

Abb. 2: LCOE verschiedener Stromerzeugungstechnologien im Vergleich (Lazard 2023). Kernkraft erscheint besonders teuer, weil Lazard sich nur auf das Kernkraftwerk Vogtle bezieht, das teuerste KKW der Welt. Dennoch wird das Vogtle-Kraftwerk, sobald abbezahlt, die preiswerteste Energiequelle sein (orange Raute links).

100 Prozent erneuerbare Energien sind nicht möglich

Doch halt, warnt auch George Bilicic von Lazard vor dem Trugschluss, wir könnten unser Stromsystem allein auf Wind und Solar aufbauen. Er ist einer der Autoren der Lazard-Studie von 2023. »Wir können keine 24×7 erneuerbare Energien haben; wir können keine 100 Prozent erneuerbare Energien haben«, sagt der Lazard-Mann in einem Video-Podcast. Darin erläutert er die Studie näher.

George Bilicic (Lazard) im Veriten-Podcast
Abb. 3: George Bilicic (Lazard) im Veriten-Podcast

Die Tatsache zu akzeptieren, dass erneuerbare Energien allein keine zuverlässige Stromversorgung schaffen, »ist eine der Herausforderungen für die Befürworter der Energiewende weltweit«, meint Bilicic im selben Podcast. »Wir werden auf jeden Fall noch für lange Zeit fossile Brennstoffe brauchen.«

Bilicic meint damit vor allem das klimaschädliche Erdgas. Aber geht es nicht auch anders? Wäre Kernenergie nicht die CO₂-arme, klimafreundliche Alternative? Und wenn man ein Kernkraftwerk erst einmal am Netz hat, liefert es doch für lange Zeit billigen Strom, oder? Ja, klar, sogar sehr billigen Strom, bestätigt Bilicic.

Wie viel kostet ein Kernkraftwerk?

Allerdings ist der Bau eines Kernkraftwerks teuer und daher nicht leicht zu stemmen. Um herauszufinden, mit welchen Kosten zu rechnen ist, müsste man eigentlich eine umfassende Analyse durchführen. Es gibt viele Faktoren, die von Projekt zu Projekt und von Region zu Region unterschiedlich sein können – von verschiedenen Reaktortechnologien ganz zu schweigen. Eine angemessene Bewertung der Kosten würde all dies berücksichtigen.

Lazard macht das nicht. »Wir betrachten nur das Kernkraftwerk Vogtle, das von der Southern Company gebaut wird und fast fertig ist«, gibt Bilicic freimütig zu.

Ausgerechnet dieses Neubauprojekt mit den Reaktorblöcken 3 und 4 ist allerdings in keiner Weise repräsentativ und kostenmäßig völlig aus dem Ruder gelaufen. Bezogen auf die Reaktorleistung ist es das mit Abstand teuerste Kernkraftprojekt der Welt und mehr als doppelt so teuer wie etwa das Kernkraftwerk Barakah in der Vereinigten Arabischen Emiraten, das im August 2020 ans Netz gegangen ist. Gründe für Kostensteigerungen im Kernkraftwerk Vogtle: Verwendung eines neuen Reaktortyps, mangelnde Erfahrung mit dem Bau von Kernkraftwerken in den USA, geänderte regulatorische Anforderungen während des Baus, Insolvenz des Hauptauftragnehmers Westinghouse nach Chapter 11, Übernahme des Projekts durch das Unternehmen Fluor und manches mehr.

Selbstverständlich weiß Lazard das. Die Studie weist aber lediglich – in Fußnoten – auf das Kernkraftwerk Vogtle als einzige Datenbasis hin. Man könnte Lazard zugutehalten, dass die Studie ausschließlich US-Zahlen berücksichtigen und Vogtle derzeit nun einmal das einzige Kernkraftneubauprojekt in den USA ist. Aber dann müsste Lazard fairerweise auch auf die Besonderheiten dieses Projekts hinweisen, statt den Leser in dem Glauben zu lassen, es handele sich um ein ganz normales Kernkraftwerk und alle anderen seien genauso teuer.

Warum sagt Lazard nicht, dass Vogtle nicht repräsentativ ist? Dass dieses Projekt nicht als Grundlage für allgemeine Schlussfolgerungen oder Vergleiche taugt? Warum enthält Lazard dem Leser wesentliche Informationen vor, so dass dieser Einschränkungen und Verzerrungen nicht erkennen kann? Eine ehrliche und transparente Kommunikation ist entscheidend, um eine fundierte Bewertung der tatsächlichen Kosten neuer Kernkraftwerke zu ermöglichen!

Lazard nennt für die Kernkraft viel zu hohe und nicht repräsentative Kosten

Die von Lazard für die Kernkraft genannten LCOE von 180 $/MWh mögen für das Kernkraftwerk Vogtle passen, überall sonst passen sie nicht. Hätte Lazard einen Bereich von 90–120 $/MWh angesetzt, wäre dies sicherlich realistischer. Die OECD/NEA sieht für Kernkraftneubauten sogar einen Bereich von unter 50 bis etwa 100 $/MWh (Abb. 4).

Abb. 4: LCOE verschiedener Stromerzeugungstechnologien im Vergleich (OECD/NEA 2020)

Kernenergie unschlagbar günstig im Langzeitbetrieb

Einig sind sich Lazard und OECD/NEA bei den Stromgestehungskosten bestehender, abgeschriebener Kernkraftwerke. 31 $/MWh gibt Lazard dafür an, siehe den orangen Datenpunkt links in der Zeile »Nuclear« in Abb. 2. Der OECD/NEA-Wert ist als »Nuclear (LTO)« (Long-term operation, Langzeitbetrieb) in Abb. 4 zu finden. Die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken ist damit deutlich kostengünstiger als der Neubau der allermeisten Wind- und Solarkraftwerke und liefert zudem 24×7 Strom.

Auch beim Thema Klimaschutz und Dekarbonisierung folgt Lazard dem wissenschaftlichen Konsens und sieht die Kernenergie als wesentliches Mittel zum Zweck. »Um CO₂-freien Strom zu bekommen, brauchen wir sehr viel Kernkraft«, sagt George Bilicic, »oder die Entwicklung einer neuen Technologie.«

Gute Aussichten für Kernkraft-Unternehmen

Für Unternehmen, die in der Kernenergie engagiert sind, sieht er gute Chancen. Auch für den Bauherrn des Kernkraftwerks Vogtle und seine Aktionäre hat Bilicic gute Nachrichten: »Wenn die Southern Company Vogtle endlich fertiggestellt hat und es klar ist, dass das Kernkraftwerk effizient läuft, wird sie sehr gut abschneiden. Sie wird wirklich sehr, sehr gut abschneiden.«

Quellen


Rainer Klute

Rainer Klute ist Diplom-Informatiker, Nebenfach-Physiker und Vorsitzender und Gründer des Nuklearia e. V. Er ist davon überzeugt, dass Deutschland wieder in die Kernkraft einsteigen wird: »Wir haben ja nichts anderes, das uns jederzeit zuverlässig, klima- und umweltfreundlich mit der Energie versorgen könnte, die wir brauchen.«

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Faktencheck
Kernenergie
Werner Müeller says:

Dr. Hans-Joachim Winter sagte am 2023-05-29 um 08:40 Uhr :
“Angesichts der Weltlage ist das ersatzlose Abschalten der letzten verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke am 15.04.2023 durch die Ampelkoalition ohne Sinn und Verstand.”

1999 sind von den AKW ca. 160TWh gekommen und 2000 wurde der Ausstieg bis 2020 beschossen und das EEG verabschiedet zum Ausgleich der TWh der AKWs.
Der Ausbau der erneuerbaren bringt jetzt ca. 240TWh.
Somit übertreffen die Strommengen der Erneuerbaren, die der AKWs bereits um ca. das 1,5-fache.

Rainer Klute says:

Dass die Erneuerbaren große Strommengen erzeugen, ist allerdings nur die halbe Miete. Der Strom muss auch jederzeit bedarfsgerecht zur Verfügung stehen. Das leisten die Erneuerbaren nicht: Wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht, gibt’s keinen Strom.

Und wer jetzt »Speicher« sagt, sollte wissen: Mit Deutschland Speicherkapazität können wir nicht einmal eine einzige Stunde überbrücken. Jubelmitteilungen über neue, große Speicher ändern daran nichts. Was »große« Speicher genannt wird, ist winzig gegenüber dem, was für die Energiewende tatsächlich gebraucht wird.

Gute Übersicht, die aber unterschlägt, dass LCOE / Levelized Cost of Energy nichts über die volkswirtschaftlichen Kosten sagt, sondern nur ein betriebswirtschaftliches Maß ist, also die Kosten an der Einspeisestelle ins Netz misst. Bei voll regelbaren Kraftwerken ist der Unterschied nicht groß, Es kommen lediglich Kosten für Stromverteilung und -verkauf hinzu.

Bei wetterabhängig produzierenden Kraftwerken ist der LCOE ein untaugliches Maß. Damit deren Strom verwendet werden kann, muss er veredelt werden, um dann und dort zur Verfügung zu stehen, wo und wann wir ihn benötigen. Die erheblichen Kosten für Backup-Kraftwerke, Langstrecken-Stromtransport, Redispatch-Maßnahmen usw. kommen also noch hinzu und sorgen dafür, dass Länder mit einem hohen Anteil an wetterabhängigen Stromproduzenten die höchsten Stromkosten weltweit haben.

Kein attraktives Modell, daher sollten LCOE-Betrachtungen in energiepolitischen Debatten generell nichts zu suchen haben.

Ludwig Linder says:

Danke ,
für die wertvollen Informationen, hilft sehr bei Gesprächen mit Atomkraft Zweifelern.

Dr. Hans-Joachim Winter says:

Angesichts der Weltlage ist das ersatzlose Abschalten der letzten verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke am 15.04.2023 durch die Ampelkoalition ohne Sinn und Verstand.

Die großen demokratischen Parteien in Deutschland kennen offensichtlich nur noch das Thema ‘Klima! Klima! Klima!’. Insofern hat die Klimakanzlerin mit ihrer “alternativlosen Energiewende” zu einer “koste es, was es wolle”-Primärenergieversorgung bis zum Jahr 2045 auf Basis von ‘Wind, Sonne, grünem Wasserstoff’ ganze Arbeit geleistet (Infantilisierung der Gesellschaft). Mit dem Klima-Urteil gibt das BVerfG den rechtlichen Rahmen der “Energiewende”. Zusätzlich wird auf EU-Ebene die “sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft” mittels CO2-Bepreisung und einschränkenden Taxonomie-Verordnungen immer weiter beschleunigt, um so der “unmittelbar bevorstehenden Klima Apokalypse” zu entkommen. Für die Verbreitung von Angst und Schrecken zum menschengemachten Klimawandel sorgt der meinungsmächtige öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Im Ausland gibt es außer dem Klima auch noch andere Probleme, wie zum Beispiel das Wachstum der Welt Bevölkerung um eine Milliarde innerhalb von 12 Jahren. In Afrika leben derzeit ca. eine Milliarde Menschen, im Jahr 2100 werden es drei bis vier Milliarden sein. Für Europa dürfte dieses Bevölkerungswachstum in Zukunft ein erhebliches Migrationsproblem darstellen. Allgemein geht es um die bekannten 17 Nachhaltigkeitsziele der UN mit Klimaschutz auf Position 13.

Auf dem Wirtschaftstag 2023 der CDU war “Klima” selbstverständlich vorherrschendes Thema. Um des höheren Zieles der Weltrettung willen ist es natürlich auch Meinung der CDU, dass der deutschen Bevölkerung jedes Opfer (Inflation, Deindustrialisierung, Verarmung) zugemutet werden kann. Das Youtube-Video von Professor Gerd Ganteför zum Wirtschaftstag 2023 der CDU gibt aus technisch-wissenschaftlicher Sicht einen guten Überblick.