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Offener Brief an Angela Merkel

Steve Kirsch rät Präsident Obama, er möge Dr. Charles Till treffen und sich mit den  Möglichkeiten des Integral Fast Reactor beschäftigen. Dies brachte mich auf eine Idee…

Sehr geehrte Frau Merkel,

wir haben uns noch nie getroffen. Wir haben einen völlig unterschiedlichen Blick auf die Welt: Sie sind Staatsoberhaupt eines modernen Industrielandes, ich bin bislang Basismitglied der Piratenpartei. Mir ist völlig klar, dass Politik oft aus Kompromissen und „das-geht-zur Zeit-leider-nicht-anders“-Situationen besteht. Mir ist auch klar, dass vermutlich jeden Tag Berge von Briefen und Empfehlungen von allen möglichen Leuten die Regierung erreichen, von denen ein großer Teil nicht zu Unrecht im Papierkorb landet. Das ist in der Physik, in der Sie und ich ausgebildet sind, nicht anders: Universitäten werden am laufenden Band von irgendwelchen Amateurforschern kontaktiert, die die Relativitätstheorie widerlegt haben wollen und dergleichen. Daher habe ich volles Verständnis dafür, dass Sie keine Lust haben, sich mit Unfug zu beschäftigen. Ich möchte nicht, dass Sie Ihre Zeit vergeuden.

Wer seine Zeit nicht mit Unfug vergeuden möchte, dem ist daran gelegen, die Menge an Unfug, die sich in seiner weiteren Umgebung – in diesem Fall Deutschland – wie eine Art geistige Umweltbelastung ausbreitet, aktiv zu reduzieren. Hier können wir Wissenschaftler und Politiker tätig werden.

Zur Zeit tummeln sich zweierlei Legenden in Deutschland. Die erste ist die Legende von den fantastisch leistungsstarken Erneuerbaren Energiequellen. Die zweite ist die Legende, dass das Problem der Abfälle aus Kernkraftwerken ungelöst sei.

Was die erste Legende angeht – ich muß zugeben, mir schwillt der Kamm wenn die Photovoltaik-Industrie trompetet, an einem besonders sonnigen Tag hätten ihre Solarparks soundsoviele Kernkraftwerke ersetzt, und dabei fröhlich verschweigt, was an einem düsteren Dezembertag Sache ist. Es ist leider Usus geworden, dass die Erneuerbaren-Industrie sich auf den physikalischen Analphabetismus der breiten Mehrheit verlässt und – leider zutreffenderweise – davon ausgeht, dass nur die wenigsten den Unterschied zwischen Nennleistung und Durchschnittsleistung eines Energiesystems kennen. Zu diesem Thema weiß auch der Klimaschützer und Entwicklungshelfer Tom Blees einige deutliche Worte zu sagen!

Wir sind beide von Haus aus Physiker. Wir wissen, dass der Wert irgendeiner Energiequelle sich ausschließlich daran bemisst, wieviel Joule oder Kilowattstunden am Jahresende von ihr insgesamt erzeugt worden sind – mit anderen Worten: die Leistung im Zeitmittel – und nicht, was dann und wann unter besonders günstigen Bedingungen passiert ist. Denn diese insgesamt im Laufe eines Jahres (oder irgendeines anderen längeren Zeitraumes) eingespeiste Energiemenge ist es ja, die zur Verfügung steht, um unsere Volkswirtschaft anzutreiben.

Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Leistungsdichten von typischen Erneuerbaren Energiequellen – Wind, Solar, Wasser, Biomasse – dann kommt man auf geradezu erbärmliche Energieflußdichten von wenigen Watt pro Quadratmeter. Wind liegt bei 2 bis 3, unter äußerst günstigen Bedingungen im schottischen Hochland – die wohl in Deutschland selten bis nichtexistent sind – bei 7 Watt pro Quadratmeter. Solarenergie erreicht größenordnungsmäßig 10 Watt pro Quadratmeter, in der Praxis oft weniger. Andere Erneuerbare erzielen vergleichbare oder geringere Werte.

Deutschland verbraucht jährlich rund 4 Millionen Gigawattstunden an Primärenergie, was einem mittleren Leistungsverbrauch von 450 Gigawatt entspricht. Eine einfache Division verrät, was das Problem mit den Erneuerbaren ist: Damit sie substantielle Energiemengen einsammeln können, sind Anlagen von der Größe ganzer Bundesländer nötig! Wollte man nur 50 Gigawatt an Windstrom erzeugen (und zwar im Durchschnitt, nicht etwa Watt-Peak!), so müssten Windparks in der Größe von 25.000 Quadratkilometern gebaut werden. Zum Vergleich: Thüringen, das Bundesland in dem ich wohne, hat nur knapp über 16.000 Quadratkilometer Fläche!

Die Schlußfolgerung ist simpel: Kleine, dicht besiedelte Länder wie die westeuropäischen, können von ihren eigenen Ressourcen an Erneuerbaren nicht leben – aus einem einfachen Grund: Die nötigen Anlagen passen nicht in sie hinein! Es gibt in Deutschland einfach nicht genug Fläche, die sich realistischerweise für Wind- und Solarparks nutzen lässt.

Politik und Industrie müssen aufhören, der Bevölkerung einzureden, dass Deutschland in naher Zukunft komplett von seinen eigenen Erneuerbaren Energiequellen leben könne, da dies unrealistisch und praktisch nicht durchführbar ist.

Die zweite Legende – bezüglich des Atommülls – ignoriert sämtliche Erfolge, die die Vereinigten Staaten von den 1960ern bis in die frühen 90er auf dem Gebiet der Schnellen Reaktoren erzielten. Das vom Argonne National Laboratory unter Benutzung der Versuchsanlagen des Idaho National Laboratory durchgeführte Forschungsprogramm, dass mit der Konstruktion des Experimental Breeder Reactor II begann und in der Entwicklung des Integral Fast Reactor (IFR) gipfelte, resultierte in einer einfachen, praktisch getesteten Reaktortechnik, die alle Einwände gegen die Kernkraft gegenstandslos werden lässt.

  •  Der IFR benutzt als Brennstoff den „Abfall“ aus herkömmlichen Kernkraftwerken. Zurück bleibt nur ein Mix von Spaltprodukten, der nach wenigen Jahrhunderten schwächer strahlt als natürliches Uranerz. Langfristige geologische Endlagerung ist dadurch unnötig!
  • Im Gegensatz zur Leichtwasserreaktoren, in denen das Kühlmittel ständig aktiv von Pumpen in Bewegung gehalten werden muß, funktioniert der IFR wie ein Kochtopf: Der Reaktor steht in einem großen Becken, das mit flüssigem Natrium gefüllt ist. Die Konvektion alleine reicht aus, um ausreichend Wärmetransport zu erzeugen. Kernschmelzen wie in Chernobyl und Fukushima sind daher beim IFR rein physikalisch unmöglich – er müsste die Naturgesetze brechen um zu schmelzen. Dies wurde in Experimenten praktisch am EBR-II getestet.
  • Die Nutzung von Atommüll als Brennstoff macht Uranabbau überflüssig – man führe sich vor Augen, dass die herkömmlichen Kernkraftwerke dem Uran noch nicht einmal ein Prozent seines Energiegehaltes entnommen haben. Der vorhandene Atommüll kann in IFRs Energie für viele Jahrhunderte erzeugen. Danach lassen sich aufgrund der enormen Effizienz des IFR – er nutzt nahezu 100% des Urans – exotische Uranquellen mit niedrigerem Gehalt nutzen: Phosphate, Tonschiefer, sogar Meerwasser. Die Brennstoffressourcen werden dadurch praktisch unbegrenzt!

Das bedeutet, dass der IFR mehrere Probleme auf einen Streich löst: Die Begrenztheit durch enormen Platzbedarf (und Unzuverlässigkeit) der Erneuerbaren, die Entsorgung des Atommülls, sowie die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen und die Emission von Treibhausgasen.

Die Deutschen indessen lamentieren mehrheitlich, der Atommüll sei ein ungelöstes Problem, und verabschieden zugleich ein Atomgesetz, das Kernkraftwerksneubau verbietet. Das ist irrational: Zum einen verschwindet der Atommüll ja nicht einfach mit der Abschaltung der Kernkraftwerke – er ist vielmehr vorhanden und verlangt unsere Ausmerksamkeit – zum anderen verhindert das Gesetz, dass dieses Problem durch Kernkraftwerke der IV. Generation, unter denen der IFR eines der vielversprechendsten Designs sein dürfte, gelöst wird, indem diese die in den verbrauchten Brennelementen enthaltenen Transurane spalten und die Lebensdauer des Materials auf wenige Jahrhunderte verringern.

Der britische Umweltschützer George Monbiot formuliert es am besten: „We can’t wish nuclear waste away: we must choose one of three options for dealing with it.“ 

Ich möchte mich Steve Kirsch anschließen: Es wäre sehr wichtig, dass Politiker sich mit den Wissenschaftlern, die an Projekten wie dem Integral Fast Reactor beteiligt waren, zusammensetzen und sich mit ihren Forschungsergebnissen und Vorschlägen befassen. Was spricht dagegen, Forscher wie Dr. Charles Till zu einem Gespräch nach Deutschland einzuladen, und darüber in den Medien zu berichten? Wieso wird in den deutschen Medien nie erwähnt, dass es in Form des IFR eine vielversprechende Lösung für das „Problem Atommüll“ gibt? Warum scheinen Politiker sich nie damit zu beschäftigen? Soetwas würde ins Fernsehen, in den Spiegel, den Stern oder die großen Tageszeitungen gehören! Okay… die FAZ hat einen Anfang gemacht.

Natürlich haben weder Politiker noch Wissenschaftler einen direkten Einfluss auf die Berichterstattung in den Medien.  Aber gerade deshalb sollten sie sich gegenseitig ernst nehmen: Wissenschaftler müssen selbstverständlich respektieren, dass Politiker innerhalb eines beschränkten Handlunsspielraums manövrieren, und oft auf Pragmatismus angewiesen sind – Politiker hingegen sollten sich mit der Arbeit von Wissenschaftlern auseinandersetzen, insbesondere wenn diese Lösungen für Probleme hervorbringt, die gemeinhin als unlösbar gelten.

Alle beide „Fraktionen“ haben die Verpflichtung, die Öffentlichkeit ehrlich und umfassend über alle Zusammenhänge, Chancen und Einschränkungen zu informieren. Die Piratenpartei fordert nicht umsonst Transparenz. Und es besteht in der Tat in der ganzen festgefahrenen Energiefrage ein hoher Transparenzbedarf. Es geht nicht, dass die Photovoltaikindustrie suggeriert, mit einer hübschen, handlichen Solarzelle auf jedem Südbalkon würden sich die meisten Energiesorgen in Luft auflösen! Die Bürger haben das Recht, die nackten Tatsachen bezüglich der Erneuerbaren Energiequellen zu hören. Genauso wie sie das Recht haben, darüber informiert zu sein, dass sich mit einem geeigneten Schnellen Reaktor das Problem des langlebigen Atommülls lösen lässt und zugleich gewaltige Mengen klimaneutraler Energie erzeugt werden können.

Mein Vorschlag beschränkt sich nicht auf Dr. Charles Till, obwohl er zweifellos als ehemaliger IFR-Projektleiter den umfassendsten wissenschaftlichen Durchblick hat – die deutsche Politik sollte sich mit den Argumenten von Pro-Atom-Aktivisten wie beispielsweise Barry Brook, Tom Blees oder George Monbiot auseinandersetzen. Dies würde den bei uns auf dem Papier so geschätzten Meinungsdialog in die politische Lebensrealität zurückholen.

Mit freundlichen Grüßen,

Fabian Herrmann 

4 Antworten

    1. Ich hab ihn nicht wirklich ins Kanzleramt geschickt 😉 Es schien mir eine interessante „Einkleidung“ für einen Artikel zu sein. Wenn man den Brief wirklich nach Berlin schicken würde, käme höchstwahrscheinlich irgendeine Standardantwort a la „Vielen Dank für Ihre Ideen, wir werden uns damit beschäftigen…“ zurück, und der Brief würde in Wirklichkeit ungelesen in den Papierkorb wandern – vermute ich.

  1. Hallo!
    Versuche es doch einfach mal – eteas schlimmeres als ein verbrämtes LMAA kann doch nicht erfolgen. Ich würde es ja selber machen, aber das wäre Hochstapelei – leider.
    Gruss

    1. Naja, man sollte bedenken, dass das Kanzleramt tagaus tagein vermutlich zahllose Briefe bekommt von irgendwelchen Leuten die befinden, der Regierung irgendetwas mitteilen zu müssen.

      Daher wäre die Antwort mit 99%iger Wahrscheinlichkeit ein Formbrief a la „Vielen Dank für Ihren Brief, wir werden darüber nachdenken…“ o. ä.

      Ich denke, Briefe an einzelne Politiker sind nicht der richtige Weg, um auf unsere Konzepte aufmerksam zu machen. Viel eher sollten sie in der Bevölkerung großflächig bekannt gemacht und in die Diskussion gebracht werden – dann werden auch die Politiker aufhorchen!

      Viele Grüße,
      F.

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