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Mochovce 3: Reaktorblock geht erstmals ans Netz
Mochovce 3: Reaktorblock geht erstmals ans Netz
Veröffentlicht am 2023-02-01
Von Dirk Egelkraut
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Am 31. Januar 2023 speiste Block 3 des slowakischen Kernkraftwerks Mochovce erstmals Strom ins Netz ein. Mit der Inbetriebnahme ging ein langes Warten zu Ende, und die Anlage, deren Bau 1987 begann, wurde endlich fertiggestellt. Mit Mochovce 4 soll ab 2025 der Elektrizitätssektor der Slowakei nachhaltig dekarbonisiert werden.

Dekarbonisierung mit Exportüberschuss

Am 22. Oktober 2022 um 1:16 Uhr morgens erreichte Mochovce 3 seine erste selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion, die sogenannte Erstkritikalität. Die jetzt erfolgte Netzsynchronisation ist Teil der energetischen Inbetriebnahme. Sie markiert den eigentlichen Betriebsbeginn. Unter Volllast erzeugt der Block 471 Megawatt (MW), von denen 31 MW als Eigenbedarf verbraucht werden. Die übrigen 440 MW werden in das Stromnetz gespeist.

Mochovce 3 und 4 werden nach Fertigstellung zusammen 880 MW liefern und ermöglichen der Slowakei den Kohleausstieg 2023. Die beiden Reaktorblöcke werden die Leistung der slowakischen Kohlekraftwerke nicht nur ersetzen, sondern zusätzlich die Slowakei zum Stromexporteur machen. In der aktuellen Energiekrise wird Mochovce 3 allein 13 % des slowakischen Stromverbrauchs decken und den Atomstromanteil von 52 % auf 65 % anheben. Damit leistet Mochovce 3 einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung sowohl der Klima- als auch der Energiekrise, und zwar nicht nur in der Slowakei, sondern auch in ihren Nachbarländern.

Samtene Revolution stoppte den Bau

Bereits im Jahr 1982 hatten die tschechoslowakischen Elektrizitätswerke alle vier Blöcke des Typs WWER-440/213 bestellt, die im Kernkraftwerk Mochovce im Einsatz sind. Mochovce 3 und 4 gingen 1987 in Bau mit einer anvisierten Inbetriebnahme 1991 und 1992. Doch nach der samtenen Revolution von 1989 und der anschließenden Auftrennung der Tschechoslowakei in zwei einzelne Staaten am 1. Januar 1993 war der slowakische Staat nicht mehr in der Lage, den Bau der beiden Blöcke zu finanzieren. Der neue Eigentümer Slovenské energetické podniky ging bankrott. Trotzdem schloss der Energieversorger in Eigenbemühung mit eigenem Personal das Dach der Blöcke, um die Bausubstanz für einen späteren Weiterbau zu schützen.

Ab 1996 wurde der Bau von Mochovce 1 und 2 fortgesetzt und bis 1998 und 1999 abgeschlossen. Die finanzielle Situation der slowakischen Wirtschaft erlaubte den Weiterbau von Mochovce 3 und 4 allerdings zunächst nicht. Mit der angestrebten EU-Mitgliedschaft der Slowakei lebte diese Option wieder auf. Österreich forderte 1999 für einen Verzicht auf ein Veto gegen die Mitgliedschaft, das Kernkraftwerk Bohunice V1 bis zum Jahr 2009 stillzulegen. Um dessen Kapazität zu ersetzen, bot sich die Fertigstellung der teilvollendeten Reaktoren in Mochovce an. Um die finanziellen Mittel zu beschaffen, veräußerte der slowakische Staat 2002 Anteile des Stromversorgers Slovenské elektrárne zur Privatisierung. Nach mehrjährigen Verhandlungen erwarb der italienische Energieversorger ENEL 2005 Anteile des Unternehmens. ENEL brachte das nötige Kapital ein, um die Blöcke zu vollenden.

Bekannter Reaktor in verbessertem Gewand

Um den WWER-440/213 auf den Stand der Technik zu bringen und genehmigungsfähig zu machen, wurde das Reaktormodell zwischen 2005 und 2007 überarbeitet. Die Sicherheit des Designs wurde dadurch auf die internationalen Sicherheitsansprüche für neue Kernkraftwerke angehoben und übertreffen diese teilweise. Verbesserungen umfassen eine optimierte Auslegung gegen Erdbeben und Flugzeugabstürze sowie eine neue digitale Leittechnik. Sie ist in Technik und Architektur identisch mit der Leittechnik des Framatome-EPR.

Das evolutionär verbesserte Design trägt die neue Bezeichnung WWER-440/213+. Im Jahr 2009 erhielt Škoda JS in einem Konsortium mit tschechischen und slowakischen Unternehmen den Zuschlag für den Bau von Mochovce 3 und 4. Am 11. Juli 2009 wurde der Bau der Blöcke fortgesetzt. Es ist das einzige Kernkraftwerksprojekt mit einem russischen Reaktordesign des Typs WWER, das ohne Beteiligung eines russischen Unternehmens errichtet wird.

Trotz hoher Kosten ein Erfolg

Die ursprünglich veranschlagten Kosten für die Fertigstellung von Mochovce 3 und 4 lagen bei 2,7 Milliarden Euro mit einer Inbetriebnahme im Jahr 2012. Aufgrund des langen Baustillstands mussten jedoch zusätzliche Arbeiten durchgeführt werden, was zu Verzögerungen führte. Daraus ergaben sich Kostensteigerungen auf 6,2 Milliarden Euro. Umgerechnet sind das Kosten von 7.045 Euro pro installiertes Kilowatt. Das liegt am oberen Ende des EU-Durchschnitts für neue Kernkraftwerke.

Allein schon während des Baus waren Mochovce 3 und 4 als größtes Investitionsprojekt in der jungen slowakischen Geschichte ein Gewinn für die Wirtschaft. Während der Bauzeit wurden 10.000 Arbeitsplätze geschaffen, und die hohen Investitionssummen flossen hauptsächlich an rund 100 slowakische Unternehmen. Dies hatte einen positiven Effekt auf die Wirtschaftsentwicklung der Slowakei.

Im Vergleich zu alternativen konventionellen Stromerzeugern wie GuD-Kraftwerken und Wirbelschichtkessel-Kohlekraftwerken liegen die Kosten für Mochovce 3 und 4 bei einer hohen Auslastung im Schnitt niedriger. Anders als Kohlekraftwerke emittieren Kernreaktoren im Betrieb jedoch keinerlei Schadstoffe oder klimaschädliches CO₂. Mochovce 3 und 4 tragen somit nachhaltig zu den europäischen Zielen CO2-Neutralität bis 2030 und vollständige Dekarbonisierung bis 2050 bei.

Ohne Containment sicher – wie geht das?

Manche Atomkraftgegner vertreten die These, Mochovce 3 sei nicht sicher, weil die Anlage über kein Containment, sondern nur über ein minderwertiges “Confinement” verfüge. Das ist allerdings nicht richtig. 

Ein Containment (Reaktorsicherheitsbehälter) ist ein Schutzgebäude, in dem der Reaktor untergebracht ist. Seine Aufgabe ist es unter anderem, bei einem schweren Unfall den Austritt radioaktiver Stoffe in die Umwelt zu verhindern. Bei einem Leck, einem sogenannten Kühlmittelverluststörfall, kann das radioaktive Kühlwasser des Primärkreislaufs verdampfen. Ein Volldruckcontainment ist so konstruiert, dass es den gesamten Wasserdampf, der bei solch einem Unfall entstehen kann, aufnimmt und dem Druck standhält. 

Der WWER-440/213-Reaktor hat kein Volldruckcontainment, sondern verhindert den Austritt von Radioaktivität auf andere Weise. Er verwendet dazu ein Druckunterdrückungscontainment. So etwas ist sonst eher bei Siedewasserreaktoren üblich.

Druckabbau im Kondensationsturm

Statt den Wasserdampf nur aufzufangen, kondensiert ein Druckunterdrückungscontainment den Dampf schnell und verhindert so einen zu hohen Druckanstieg. Im WWER-440/213 passiert dies durch das Einleiten austretenden Dampfs in Wasserbecken (Blasenkondensatoren) in einem speziellen Gebäude, dem Kondensationsturm. Die WWER-440/213+ in Mochovce 3 und 4 verfügen außerdem über eine besondere Eigenschaft: Das kondensierte Wasser wird auf passive Weise in die Reaktorgrube geleitet und kühlt dort den Reaktordruckbehälter von außen.

Einige Veröffentlichungen bezeichnen den Containmenttyp des WWER-440/213 auch als »Confinement« (Reaktorsicherheitsumhüllung). Das ist nicht falsch, denn ein Confinement ist ebenfalls ein Schutzgebäude, in dem ein Reaktor untergebracht ist. Ein Containment muss jedoch nach gängiger Definition allen plausiblen Unfallszenarien (Auslegungsstörfällen, »GAU«) standhalten; ein Confinement kann auch weniger robust sein.

Verbesserungen gegenüber dem Vorgängermodell

Dass das Schutzgebäude des WWER-440/213 »Confinement« genannt wird, hat aber auch historische Gründe. Sein Vorgängermodell WWER-440/230 verfügte nämlich noch über keinen Kondensationsturm und war daher nicht in der Lage, große Kühlmittelverluststörfälle ohne Druckentlastung in die Atmosphäre und Freisetzung von Radioaktivität auszuhalten. Beim WWER-440/213 wurde dieses Confinement um den Kondensationsturm erweitert, wodurch es zu einem Druckunterdrückungscontainment wurde.


Titelbild: Kernkraftwerk Mochovce. Quelle: NZZ, Public Domain.


Dirk Egelkraut

Dirk Egelkraut ist Mechatroniker in der Automatisierungsbranche und als Mitglied in der Nuklearia aktiv. Er betreibt die Deutsche Nucleopedia und befasst sich technisch und historisch mit der russischen Atomwirtschaft.

Kategorien
Kernenergie
Klimaschutz
Achim Behrenwaldt says:

440 MW für 6,2 Milliarden Euro ? Das schafft der DFR mit 10% der Summe und 10% der Bauzeit !