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Das Kernkraftwerk im Hinterhof: keine große Sache

Das Kernkraftwerk Pickering produziert rund 15 Prozent der Elektrizität in Ontario. Zusammen mit den KKW Darlington und Bruce kommt Kernenergie auf einen Anteil von über 60 Prozent. Die Schwerwasserreaktoren verwenden natürliches Uran und kommen ohne Anreicherung aus. Quelle: Ontario Power Generation

Von James Conca (Übersetzung: Rainer Klute)

Damit dürfte diese Frage endgültig geklärt sein: Kernkraftwerke haben keine Auswirkungen auf die Krebshäufigkeit der Menschen in ihrer Nachbarschaft. Punkt. Oder müssen wir das immer wieder auf’s Neue beweisen?

Im Mai 2013 veröffentlichte die Canadian Nuclear Safety Commission (CNSC) eine Langzeitstudie, die das sehr umfassend und akribisch für die Bevölkerung in der Umgebung dreier Kernkraftwerke in der kanadischen Provinz Ontario untersucht hat.

Die Studie Radiation and Incidence of Cancer Around Ontario Nuclear Power Plants from 1990 to 2008 (RADICON-Studie) zeigt: Es gibt keinerlei Nachweis für Kinderleukämie-Cluster, für eine Zunahme von Non-Hodgkin-Lymphomen oder für die Zunahme irgendeiner Krebsart in irgendeiner Altersgruppe in der Bevölkerung im Umkreis von 25 Kilometern um die Kernkraftwerke Pickering, Darlington und Bruce herum.

Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit allen anderen seriösen Studien zu weiteren Kernkraftwerken in aller Welt, siehe den COMARE-Bericht. Das heißt: Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Kernenergie und Krebs. Viele Möchtegernstudien behaupten allerdings das Gegenteil, siehe dazu meinen Blogpost vom 1. April.

Die RADICON-Studie untersucht Strahlendosen und Krebshäufigkeiten von Menschen in der Nähe der drei Kernkraftwerke über einen Zeitraum von 18 Jahren und vergleicht diese Daten mit entsprechenden Werten der allgemeinen Bevölkerung von Ontario. Betrachtet werden Schilddrüsenkrebs, Lungen- und Bronchialkrebs, Brust-, Eierstock-, Speiseröhren-, Magen-, Darm-, Leber- und Blasenkrebs, Tumore in Gehirn und Nervensystem, Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom – und schließlich alle Krebsarten zusammen.

Die Schwankungen unter den Krebsfallzahlen in den drei Bevölkerungsgruppen stellten sich als völlig zufällig heraus, wie es bei Krebs zu erwarten ist, der aufgrund anderer Faktoren als Strahlung entsteht. Einige Krebsarten traten häufiger auf, andere seltener.

Die besondere Stärke der RADICON-Studie sind die detaillierten Informationen zu den von der Bevölkerung aufgenommenen Strahlendosen durch radioaktive Freisetzungen der Kernkraftwerke. Hinzu kommen die unmittelbar erfaßten Umweltdaten. Die Studie berücksichtigt die Daten sämtlicher Emissionsspitzen aus den Kraftwerken. Diese Methodik ist erheblich genauer als die jüngerer epidemiologischer Kinderkrebsstudien. Diese setzen nicht die tatsächlich gemessenen Strahlendosen an, sondern gehen stattdessen vereinfachend davon aus, daß die Strahlung proportional zur Entfernung vom Kernkraftwerk ist.

Die Ergebnisse der Studie sind nicht wirklich überraschend, denn die radioaktiven Freisetzungen aus dem Betrieb von Kernkraftwerken betragen lediglich 0,001 – 0,050 mSv/a (Millisievert pro Jahr) – ein Hundertstel bis ein Tausendstel der natürlichen Hintergrundstrahlung von 2 – 10 mSv/a. Interessant ist die Beobachtung, daß die Strahlendosis eben nicht der Entfernung zum Kernkraftwerk entspricht. Andere Faktoren, wie die vorherrschende Windrichtung oder die Ernährung, haben einen größeren Einfluß auf die Strahlendosen der Bevölkerung als der Abstand zum Kernkraftwerk.

Die Strahlendosen in der Nähe der Kernkraftwerke waren nicht durchweg höher als die Dosen in größerer Entfernung – und umgekehrt. Den Abstand zum Kraftwerk kann man daher nicht als geeigneten Ersatz für die Dosis verwenden, was viele Studien jedoch fälschlicherweise tun.

Andererseits beeinflussen die Menschen ihr Krebsrisiko stark durch ihren Lebenstil: Tabakkonsum, schlechte Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel sind für etwa 60 Prozent aller Krebstoten verantwortlich.

Insgesamt zeigt die RADICON-Studie, daß alle Krebsarten aller Altersgruppen klar innerhalb der normalen Schwankungsbreite dieser Krankheiten in Ontario liegen. Die Abbildung unten veranschaulicht das für zwei Altersgruppen von Kindern: zum einen für Neugeborene bis Vierjährige, zum anderen für Neugeborene bis Vierzehnjährige. Es gibt keinerlei Unterschiede in den Krebshäufigkeiten zwischen Menschen, die in der Nähe von Kernkraftwerken leben, und solchen, die weit entfernt wohnen.

Abbildung B aus der RADICON-Studie: Vergleich der Krebsfallzahlen aus zwei Altersgruppen von Kindern, die sowohl nah wie auch weit entfernt von drei kanadischen Kernkraftwerken leben. Mit Standardisierten Inzidenzverhältnissen (Standardized Incidence Ratios, SIR) werden die Krebshäufigkeiten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und in verschiedenen Gebieten verglichen. Sie stellen das zahlenmäßige Verhältnis dar zwischen der Anzahl der beobachteten Fälle dividiert durch die Anzahl zu erwartender Fälle in der allgemeinen Bevölkerung. Eins (1) ist normal (graue vertikale Linie). Die Fehlerbalken stellen Konfidenzintervalle von 95 Prozent dar. Große Fehlerbalken zeigen eine sehr kleine Zahl von Krebsfällen. Es ergeben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede in diesen Krebshäufigkeiten. Dieses Ergebnis gilt für sämtliche Altersgruppen. Die Daten für das Kernkraftwerk Bruce sind kaum darstellbar, weil es in der Umgebung dieses Kraftwerks so wenige Krebsfälle gibt.

Falls es in der Nähe eines Kernkraftwerks zu erhöhten Krebsfallzahlen kommt, ist Strahlung dafür jedenfalls keine plausible Erklärung.

So, können wir uns jetzt bitte um die wichtigeren Fragen rund um Energie und speziell um Kernenergie kümmern?


Dieser Beitrag erschien im englischen Original als Nukes In My Backyard – No Big Deal. Der Autor James Conca twittert als @JimConca.

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