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Olkiluoto 3: Finnlands EPR geht ans Netz
Olkiluoto 3: Finnlands EPR geht ans Netz
Veröffentlicht am 2022-03-09
Von Dirk Egelkraut
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Am 9. März 2022 ging Block 3 des finnischen Kernkraftwerks Olkiluoto nach etwas mehr als 16 Jahren Bauzeit ans Netz und speiste seine ersten Megawattstunden ein. Der Reaktor des Typs EPR ist mit seinen 1.720 Megawatt (MW) der leistungsstärkste in Betrieb befindliche Kraftwerksblock in Europa und der erste Druckwasserreaktor der Generation III+ in der Europäischen Union.

Finlands Greatest Climate Act

Am 21. Dezember 2021 um 3:22 Uhr morgens erreichte Olkiluoto 3 seine erste selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion, die sogenannte Erstkritikalität. Mit der heutigen Netzsynchronisation nahm der Block seinen eigentlichen Betrieb auf und begann erstmals, Strom in das Netz einzuspeisen. Auf vollen Touren erzeugt der Block 1.720 MW. 120 MW davon braucht die Anlage selbst, die übrigen 1.600 MW gehen ins Netz. Zusammen mit den Blöcken Olkiluoto 1 und 2 deckt der EPR zukünftig rund 30 Prozent des finnischen Strombedarfs von der Insel Olkiluoto aus.

Olkiluoto 3 wird Finnlands Kohleverstromung quasi ersetzen; bis 2030 wollen die Finnen aus der Kohle aussteigen. Im Vergleich zur Kohle spart allein dieser Block pro Jahr den Ausstoß von rund 10 bis 11 Millionen Tonnen CO₂ ein. Der Betreiber TVO spricht daher bei der Inbetriebnahme von »Finlands Greatest Climate Act«.

Von Euphorie zur Ernüchterung

Teollisuuden Voyma Oy (TVO) bestellte den Reaktorblock 2003 bei Areva und begann mit den Hochbauarbeiten im Jahr 2005. Die ambitionierte angestrebte Inbetriebnahme im Jahr 2008 erwies sich allerdings bereits ab dem ersten Jahr des Baus als unhaltbares Ziel. Fehlendes Know-how vieler Vertragspartner, das teilweise erst wieder erlernt werden musste, und strikte, teilweise über den Industriestandards liegenden Sicherheitsbestimmungen der finnischen Aufsichtsbehörde STUK führten zu Verzögerungen am Bau.

Der Block hatte zunächst nur eine Baugenehmigung für das Gesamtkonzept erhalten. So konnte man bereits mit dem Bau beginnen, während die STUK noch einzelne Subsysteme prüfte und erst nachträglich genehmigte – teils aber mit Änderungen. Dadurch mussten immer wieder Anpassungen an den Planungen oder sogar an bereits gebauten Strukturen erfolgen. Das verzögerte die Arbeiten immer weiter; teilweise mussten sie unterbrochen wurden.

Die Verzögerungen wirkten sich stark auf die Kosten aus. Aus den ursprünglich veranschlagten 3,2 Milliarden Euro wurden bis heute 8,5 Milliarden Euro. Für TVO ist der Deal dennoch ein Erfolg, da das Unternehmen die Anlage zum Festpreis für die ursprünglich veranschlagte Summe kaufte. Die Mehrkosten, inklusive einer von TVO eingeklagten Kompensation, trug deshalb der Lieferant Areva, der aufgrund mangelhafter Auftragslage und zu geringen Einnahmen große Verluste abschreiben musste. 2018 führte dies zu einer Reorganisation. Das Unternehmen firmiert heute wieder unter seinen alten Namen Framatome.

Trotz Verzögerung ein guter Deal für TVO

In der Bilanz von TVO hinterlässt Olkiluoto 3 dennoch Spuren. Durch den Bauverzug und dadurch entgangene Einnahmen aus dem Stromverkauf fielen Zinsen von rund 25,5 % an. Dadurch betragen die Kosten für TVO rund 4,48 Milliarden Euro.

Dennoch kostet die Anlage pro installiertem Kilowatt TVO nur 3.514 € – deutlich weniger als der Durchschnitt von 4.000 bis 6.000 € pro installiertem Kilowatt für Kernkraftwerksneubauten in der Europäischen Union. Mit etwaigen Nebenkosten liegt der Preis für die Megawattstunde (MWh) aus Olkiluoto 3 damit bei nur 46,50 €. Bei den derzeitigen Marktpreisen von rund 150 €/MWh ist daher zu erwarten, dass Olkiluoto 3 seine Kosten effizient amortisiert.

EPR-Varianten und künftige Modelle

Bei Olkiluoto 3 handelt es sich um eine speziell für Finnland lokalisierte Variante des EPR, den FIN-EPR. Es ist daher nicht zu erwarten, dass dieses Modell noch einmal geordert wird. In den nächsten Jahren will TVO keine weiteren Kernkraftwerke bauen, gab das Unternehmen im Januar 2022 bekannt. Es muss jetzt erst einmal die Schulden aus Olkiluoto 3 tilgen. Auch andere finnische Energieversorger haben derzeit kein Interesse, einen weiteren EPR zu errichten.

International hat der EPR allerdings durchaus eine Zukunft. Zwei Blöcke der lokalisierten Variante UK-EPR werden derzeit im Vereinigten Königreich im Kernkraftwerk Hinkley Point C errichtet. Vier weitere Reaktoren für Sizewell C und Moorside sind in Planung.

Die langfristige Zukunft des Reaktordesigns wird allerdings der EPR2 tragen, eine optimierte Variante des EPR. Der EPR2 ergibt sich sozusagen als Lernerfolg aus den Fehlern, die beim Bau der bisherigen Anlagen gemacht wurden, darunter auch Olkiluoto 3. Sechs Reaktoren dieses Typs plant Frankreich derzeit. Sie sollen als Doppelblockanlagen in den Kernkraftwerken Penly, Gravelines sowie Bugey oder Tricastin entstehen. Mit der verkleinerten 1200 MW starken Variante EPR1200 hat sich Framatome erstmals für den Bau von Dukovany 5 in Tschechien beworben.

EPR-Anlagen in aller Welt

LandAnlageNettoleistungBruttoleistungStatus
ChinaTaishan 11660 MW1750 MWBetrieb
ChinaTaishan 21660 MW1750 MWBetrieb
FinnlandOlkiluoto 31600 MW1700 MWInbetriebnahme
FrankreichFlamanville 31630 MW1720 MWBau
Vereinigtes KönigreichHinkley Point C 11630 MW1720 MWBau
Vereinigtes KönigreichHinkley Point C 21630 MW1720 MWBau
FrankreichPenly 31600 MW1650 MWPlanung
FrankreichPenly 41600 MW1650 MWPlanung
FrankreichGravelines 71600 MW1650 MWPlanung
FrankreichGravelines 81600 MW1650 MWPlanung
FrankreichBugey 6 oder Tricastin 51600 MW1650 MWPlanung
FrankreichBugey 7 oder Tricastin 61600 MW1650 MWPlanung
IndienJaitapur 11650 MW1740 MWPlanung
IndienJaitapur 21650 MW1740 MWPlanung
Vereinigtes KönigreichSizewell C 11630 MW1720 MWPlanung
Vereinigtes KönigreichSizewell C 21630 MW1720 MWPlanung
Vereinigtes KönigreichMoorside 11630 MW1720 MWPlanung
Vereinigtes KönigreichMoorside 21630 MW1720 MWPlanung

Dirk Egelkraut

Dirk Egelkraut ist Mechatroniker in der Automatisierungsbranche und als Mitglied in der Nuklearia aktiv. Er betreibt die Deutsche Nucleopedia und befasst sich technisch und historisch mit der russischen Atomwirtschaft.



Titelbild: Olkiluoto 3. Quelle: TVO

Kategorien
EPR
Klimaschutz
Werner Mueller sagt:

Dirk Egelkraut, Mitglied in der Nuklearia schreibt:
„Dennoch kostet die Anlage pro installiertem Kilowatt TVO nur 3.514 € – deutlich weniger als der Durchschnitt von 4.000 bis 6.000 € pro installiertem Kilowatt für Kernkraftwerksneubauten in der Europäischen Union.“

Laut dem World Nuclear Industry Report (25. März 2022) stiegen die Kosten von anfänglichen 3 Milliarden Euro auf rund 11 Milliarden Euro beim AKW Olkiluoto 3.

11 Milliarden Euro / 1600MW = 6875€/kWe

Nun wie kommt einer von Nuklearia auf ca. 3.514 €/kW ?

Rainer Klute sagt:

Sie haben offenbar in dem von Ihnen zitierten Satz drei wesentliche Buchstaben übersehen: TVO. Wie der Text ausführlich erklärt, hatte TVO die Anlage zum Festpreis beauftragt.

Dirk Egelkraut sagt:

Man muss dazu wissen, das ist vielen nicht bekannt, dass bisher alle EPR, außer Hinkley Poiint C, zu einem Festpreis errichtet wurden. Alle wurde in etwa der gleichen Preisklasse festgelegt, haben aber ihren eigentlichen preis überschritten. Für den Käufer macht das allerdings herzlich wenig aus, außer die Zinsen durch etwaigen Bauverzug.

Zum WNISR: Ich kenne die Zahlen, die dort publiziert werden. Die sind allerdings in dem Bericht nicht mit einer einzigen Quelle belegt. Das ist das eine, das andere, dass es von offizieller Seite nie eine Aktualisierung der Kosten über die 8,5 Milliarden Euro gab, was vornehmlich damit zusammenhängt, dass seit 2016 die Anlage praktisch fertig war. Ab dann wurden noch einige Mängel festgestellt bei den Abnahmeprüfungen, die Nachbesserungen erforderten, diese aber im Garantiefall des jeweiligen Lieferanten lagen und daher die Kosten da angesiedelt wurden, das mit den reinen Baukosten der Anlage aber nichts zu tun hatte, sondern hier nur noch Zinsen für TVO anfielen.

Was letztlich Zeit gekostet hat waren in OL3 insbesondere Tausch von Leitungen, die vom Zulieferer getauscht werden mussten (2016 bis 2018), sowie das Surgeline-Problem, das alle EPR betraf, nachdem TSN1 in China unter Vorbehalt der chinesischen Aufsichtsbehörde mit beschränkt 20% ans Netz durfte. Surgeline und Ausbesserung hat noch mal knapp von 2019 bis 2021 gedauert. Das waren letztlich die Kernprobleme, warum OL3 verzögert wurde. Das hat auf die Kosten tatsächlich wenig aufgetragen.

Was noch nicht absehbar ist, aber keine Ursache in der Reaktorkonstruktion hat, ist das grid-to-rod-fretting, das insbesondere in Taishan ausgeprägt war. Da OL3 seine Brennelemente von der ANF mit einer veränderten Konstruktion hat, ist dort das Fretting auszuschließen. Im Gegensatz zu TSN gab es in OL3 auch während des Warmprobebetriebs keine Vibrationen. Letztlich wird das aber auf die Kosten nicht weiter aufschlagen. Lösen kann man das Problem relativ einfach, indem man die Brennelementkonstruktion mehr versteift. Da aber für den EPR die im Westen traditionellen Zircalloy-4-Legierungen verwendet werden, ist das etwas mehr begrenzt durch dessen Verhalten bei thermischer Ausdehnung.

Michael Anschütz sagt:

1) Sicherheitsstränge: Der Hualong One hat doch drei und der WWER-1200 nur zwei, wobei letzterer nicht ganz vergleichbar wäre mit dem EPR, oder?
AP 1000 passives Sicherheitskonzept.

2) Doppeltes Containemnt: Mir vorliegenden Informationen zufolge haben sowohl der Hualong One als auch der WWER-1200 ein doppeltes Containemnt, zumindest wenn gegoogelt wird. Soll sich das in Zukunft ebenfalls ändern – einfaches Containemnt oder erleben wir gerade bei der Nuklearindustrie, dass jeder nur noch macht, was er will? Der Kostenfaktor für das doppelte Containment ist doch überschaubar, oder?

Dirk Egelkraut sagt:

Der Hualong hat drei Stränge, der WWER-1200 hat 4×100% bzw. für die passiven Designs gleiche Redundanz, aber anderer Aufbau mit 2x(2×100%). Prinzipiell sind die Anlagen schon alle miteinander vergleichbar und vom Konzept her gesehen gleich. Die Differenz ist eben, dass der EPR und EPR1200 praktisch nur aktive Sicherheitssysteme nutzt.

Prinzipiell kann jeder machen was er will. Beim EPR kommt noch dazu, dass das Reaktorgebäude bereits äußerst groß ist (obwohl für das Reaktordesign zu wenig Platz) und der Bauaufwand für zwei Containments durchaus eine große aufwändige Hürde ist. Kostenfaktor ist es weniger, das ist richtig. Aber eben im Bauprozess bremst das stark aus. Um das äußere Containment zu schließen, muss man erst das innere Containment fertig haben. Entsprechend auch für die äußeren Umbauten muss entsprechend weit das äußere Containment vollendet sein. Und das geht auf die Bauzeit. Hinkley Point C ist derzeit so ein Beispiel, wie lange man deshalb in diesem kleinen Baustadium stehtt, bis man wirklich an Höhe gewinnt.

Michael Anschütz sagt:

Ja einverstanden, dass es so Sinn macht:
1) 1.200 MW-Klasse – richtige Dimensionierung – wie die internationale Konkurrenz auch eindeutig zeigt – in der bisher gebauten Größe war der EPR einfach nicht konkurrenzfähig
2) statt 4 nur noch 3 redundante Sicherheitsstränge
3) das Doppelcontainment wird durch ein einfaches Containment ersetzt

Michael Anschütz sagt:

„langfristige Zukunft des Reaktordesigns wird allerdings der EPR2 sein“:
Wo sollen die Verbesserungen gegenüber Taishan 1 und 2 sein – auch Doppelblockanlagen, wenn nachgefragt werden darf?

Dirk Egelkraut sagt:

Im Gegensatz zu dem traditionellen Basisdesign wurde das Over-engineering beseitigt, das während des Baus der derzeitigen EPR-Generation ebenfalls ein Problem darstellt. Das heißt anstatt 4 redundanter Sicherheitsstränge werden es beim EPR2 nur noch 3 sein, das Doppelcontainment wird durch ein einfaches Containment ersetzt und das gesamte Gebäude drumherum wird architektonisch einfacher konstruiert. Die eigentlichen Sicherheitseigenschaften und auch der Kernfänger bleiben bestehen.

Dass solch eine Entschlackung des Designs zu Kosteneinsparungen insbesondere beim Hochbau führt konnte Frankreich bereits in den 1980ern beweisen mit der Entschlackung des Paluel 4-loop designs (P4) zum P’4, der sich lediglich durch eine einfachere Konstruktion unterscheidet. Das heißt es gibt generell schon Erfahrung mit solch einen Vorgang seitens Framatome.

Was den EPR2 vorteilhaft macht durch diese Einsparungen ist die Möglichkeit durch Reduzierung der Primärkreise von 4 auf 3 stück auch ein kleineres Reaktormodell in der 1200 MW-Klasse anzubieten. Das heißt zu den heute klassischen Reaktoren wie WWER-1200, AP1000 und Hualong One, die in dieser Leistungsklasse angeboten werden und sehr erfolgreich auf dem Neubaumarkt sind, hat Framatome mit dem EPR1200 und der gleichen Konstruktion wie für den EPR2 nicht nur ein konkurrenzfähigeres Design, sondern auch durch die Verwendung vieler identischer Bauteile sogar praktisch ein Referenzdesign.

Mathias Bräsel sagt:

So geht Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Da kann der mittlerweile verdummte Deutsche mal was lernen.