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Nuklearfreundliche Bevölkerung als wirtschaftlicher Standortfaktor
Nuklearfreundliche Bevölkerung als wirtschaftlicher Standortfaktor
Veröffentlicht am 2013-05-18
Von Rainer Klute
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Gastbeitrag von Dr. med. Tim-Rasmus Kiehl

Foto: © Suzy Hobbs Baker, @popatomicstudio, http://www.popatomic.org/

Günstige Energie ist ein wichtiges Fundament für einen Wirtschaftsstandort. Sie hat einen breiten stimulierenden Effekt auf diverse Wirtschaftszweige, insbesondere auf solche mit hohem Energiebedarf. Eine Verteuerung von Energie kann zu einem Abwandern energielastiger Sektoren führen und hat generell einen bremsenden Einfluß auf das Wirtschaftswachstum.

In volkswirtschaftlichen Begriffen ausgedrückt, kann eine Reduzierung des Energieverbrauchs eine Rezession begünstigen, zumindest in unserem derzeitigen wirtschaftlichen System. Diese Dinge werden wohl vielerorts verstanden, doch die gesamte Wertschöpfungskette gleichzeitig im Blick zu behalten, von Energie über Innovation zu Arbeitsplätzen sowie zurück zu Wissenschaft und Bildung, fällt der Politik und anderen Akteuren vielfach schwer.

Seit Jahrzehnten stockt in den klassischen, westlichen Industrieländern der Ausbau der Kernenergie. Nach einem Boom in den 1970er und frühen 1980er Jahren wurden die oft ehrgeizigen Pläne zurückgefahren. Ursachen dafür waren unter anderem ein nur noch langsam wachsender oder stagnierender Stromverbrauch, aber auch die Reaktorunfälle in Three Mile Island und Tschernobyl. Ein Atomunglück ist für viele die Apokalypse schlechthin, auch wenn weder in Three Mile Island noch in Fukushima jemand durch Strahlung ums Leben gekommen ist.

Den Medien kommt hier eine entscheidende Rolle zu. Nukleare Störfälle sind äußerst selten, was die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit garantiert. Dadurch eignen sich solche Ereignisse perfekt für die Medien, denen sie hohe Einschaltquoten und Auflagensteigerungen bringen. Im Vergleich dazu sind schwere, tödlich Unfälle bei Erdgas und erst recht bei Kohle so häufig, daß davon kaum noch Notiz genommen wird. Selbst die beeindruckenden Zahlen in puncto Sicherheit und Effizienz in der Nuklearindustrie – und das über Jahrzehnte hinweg – bewirken wenig, wenn der Bevölkerung die Kenntnisse fehlen, sie zu verstehen. Es reicht langfristig nicht aus, eine Kraftwerksflotte zu bauen, dabei aber den Kenntnisstand der Bevölkerung zu vernachlässigen. Zu einer nuklearen Infrastruktur gehören auch dauerhafte Bildungsprogramme für die Allgemeinheit. Programme wie in Schweden, wo über ein Drittel der Bevölkerung ein Kernkraftwerk besucht hat, dürfen keinesfalls fehlen. Andernfalls haben die Gegner leichtes Spiel, weiter die Angst vor der »bösen Atomkraft« zu schüren. Und im Laufe der Zeit ist dann womöglich auch die physische Infrastruktur gefährdet.

Eine wissenschaftlich-technisch versierte Bevölkerung (also mit hoher “science literacy”) kann Dramatisierung und Fehlinformation als solche erkennen. Bei ausgeprägten Defiziten im wissenschaftlichen Bildungsstand der Bevölkerung ist ein rationaler gesellschaftlicher Dialog über energiepolitische Fragen zunehmend unmöglich.

Innovative Materialien und Produkte sind vielfach komplex und setzen in ihrer Herstellung einen hohen Energieaufwand voraus. Ein Beispiel: Der Toyota Prius erfordert in der Herstellung einen um 50 Prozent höheren Energieaufwand als ein vergleichbares Auto mit Verbrennungsmotor. In einer von zunehmendem Konkurrenzdruck gekennzeicheten globalen Wirtschaft haben diejenigen Standorte einen Innovationsvorteil, die nicht durch ausufernde Energiekosten eingeschränkt sind. Außerdem dürften sich in dieser Wettbewerbssituation solche Standorte eher behaupten, an denen ein angemessenes regulatorisches Umfeld besteht. »Angemessen« sei hier verstanden als »dem wirklichen Risiko angemessen«, eine optimale Regulierung also, die nicht exzessiv, aber auch nicht zu lasch ist. Erforderlich ist eine evidenzbasierte Gesetzgebung (“evidence-based legislation”, abgeleitet von “evidence-based medicine”), die sich strikt an der wissenschaftlichen Datenlage orientiert.

Kommen wir zusammenfassend zurück auf das anfängliche Thema, Energie als wirtschaftlicher Standortfaktor. Eine wissenschaftlich gebildete und nuklearfreundliche Bevölkerung dürfte ein zunehmend wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor sein, da ihr die Bedeutung von angemessener Regulierung sowie hohem energetischen Erntefaktor (EROEI „ energy returned on energy invested“ – also Verhaeltnis von Energieaufwand bei der Erzeugung zu Energieausbeute) besser zu vermitteln ist. Das in einer tiefen Wirtschaftskrise steckende Europa sollte diesen Dingen Beachtung schenken, sonst droht eine weitere Abwanderung von Industrien und Abeitsplätzen.


Der Autor: Medizinstudium und Promotion im Bereich Humangenetik in Lübeck (1998). Forschungsauftenthalt am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, California (bis 2001). Facharztausbildung in allgemeiner Pathologie an der Stanford-Universität (bis 2003). Spezialisierung im Bereich Neuropathologie (Harvard Medical School / Massachusetts General Hospital). Seit 2006 an der Universität von Toronto, Ontario, und klinisch tätig am University Health Network, Toronto. Wissenschaftliches Interesse an neuen diagnostischen Methoden, die unter anderem auf Radionukliden basieren.

Dr. med. Tim-Rasmus Kiehl twittert als @trkiehl.

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