In seinem Artikel zur Gründung des Vereins Nuklearia e. V. schreibt Peter Heller:
Es ist aus meiner Sicht nicht zielführend, Kernenergie in einem Wettlauf der Angst (“Strahlentod” kontra “Klimakatastrophe”) als das geringere Übel zu vermarkten. Man kann natürlich die inneren Widersprüche der Umweltbewegung, die das Klima schützen will, aber gleichzeitig Kernenergie zu diesem Zweck ablehnt, sehr gut herausarbeiten. Aber nur dann, wenn man Kernenergie als etwas ansieht, was auch ohne Klimakatastrophe aus sich selbst heraus sinnvoll und nützlich ist.
Bezüglich des anthropogenen Klimawandels stimme ich mit Peter nicht überein. Er sieht ihn als nichtexistent, oder wenn schon existent dann als kein schwerwiegendes Problem an, ich dagegen stelle mich vorsichtshalber auf die Position der derzeitigen Mehrheit der Wissenschaftler und setze als begründbare Arbeitshypothese voraus, dass es den anthropogenen Klimawandel tatsächlich gibt und dadurch bestimmte Schwierigkeiten auf die Zivilisation zukommen könnten.
Dennoch stimme ich Peter bezüglich des oben zitierten Absatzes zu!
„Meines ist schrecklicher als deines“ – es ist meiner Meinung nach nicht klug, Katastrophenängste gegeneinander auszuspielen. Angst hindert den Menschen daran, gute Entscheidungen zu fällen. Angst macht dumm und kurzsichtig.
Es ist in der Tat bizarr, dass viele Umweltschützer, vor allem in Deutschland, seit dem Unfall in Fukushima plötzlich das Wort „Klimaschutz“ nicht mehr kennen und sogar den Tausch „Kernkraftwerk gegen fossiles Kraftwerk“ als eine gute Sache anzusehen scheinen, und es ist überfällig, dass auf diese Inkonsistenz hingewiesen wird. Aber als Hauptargument für neue Kernkraftwerke scheint mir das Warnen vor der Klimakatastrophe ungeeignet. Denn selbst falls es gelingt, jemanden solcherart zu überzeugen, würde dadurch nur die panische Angst vor Radioaktivität durch die panische Angst vor Kohlendioxid ersetzt. Ist es nicht die Technophobie, den irrationalen, mittelalterlich anmutenden Grusel vor „Atomen“, „Genen“, „Industrie“ und sonstigem „Hexenwerk“, die die Menschheit überwinden muss? Damit sie ihre Zukunft gestalten können, sollten Menschen besonnen, angstfrei, optimistisch sein. Angstdominierte Menschen sind der Traum jedes Gewaltherrschers: Wer Angst hat lässt sich leicht in eine bestimmte Richtung scheuchen, sei es zum „Endsieg“, sei es zur „Energiewende“.
Wenn es uns gelänge, Leute mittels des Arguments „Klimawandel ist schlimmer als Radioaktivität“ von unseren Projekten zu überzeugen, wäre langfristig nichts gewonnen, denn dann würde nicht viel Zeit vergehen, bis ihnen wieder irgendetwas schreckliche Angst einjagt – z. B. Anwendungen der Nanotechnologie oder künstliche Intelligenz – und der ganze Zirkus geht von vorne los.
Welche Argumente sollten wir stattdessen verwenden? Es gibt sehr viel, was, um Peter zu zitieren, die Kernkraft aus sich selbst heraus sinnvoll und nützlich erscheinen lässt: Sie erzeugt große Energiemengen aus sehr kleinen Stoffportionen. Sie gehört zu den Industrien mit den niedrigsten Fehlerraten und verursacht geringe Schänden an Mensch und Umwelt pro Energiemenge. Sie setzt keine Abgase, Flugaschen u.ä. frei. Sofern der Brennstoffzyklus mit schnellen Reaktoren geschlossen wird, reichen die Rohstoffe bis in fernste Zukunft, ähnlich der Solarenergie. Schnelle Reaktoren vermögen langlebige radioaktive Abfallstoffe aus klassischen Kernkraftwerken zu recyceln und in kurzlebigere Spaltprodukte umzuwandenln.
Siehe auch: 17 Pro-Atom-Argumente. Eines davon ist die gute Klimabilanz der Kernkraft. Die anderen sind Vorteile, die die Kernkraft von sich aus hat, mit oder ohne Klimawandel.
Das stärkste Argument für Kernkraftwerke wäre freilich, wenn sie eine spezifische Eigenschaft hätten, die weder bei klassischen Erneuerbaren noch bei fossilen Energiequellen anzutreffen ist und die sie für die Menschheit besonders nützlich macht. Gibt es so eine Eigenschaft?
Ja: Es ist die Energiedichte! Sowohl die klassischen Eneuerbaren (Sonneneinstrahlung, Erdwärme und Gezeiten) wie auch chemische Verbrennungen aller Art weisen eine Energiedichte von größenordnungsmäßig einem Elektronenvolt pro Elementarteilchen auf. Kernspaltung und -fusion haben rund eine Million mal mehr „Power“: Bis zu einigen Megaelektronenvolt pro Elementarteilchen. Dies resultiert ganz einfach daraus, dass dabei die Starke Kernkraft freigesetzt wird, die ein Randeffekt des Gluonenfeldes ist, das die Materie im tiefsten Inneren zusammenhält. Chemische Reaktionen dagegen machen nur die elektromagnetische Wechselwirkung in Atomhüllen nutzbar.
Die natürlichen Energieflüsse auf der Erde entsprechen den für chemische Reaktionen typischen Werten. An ihrer Ursprungsquelle, Fusion im Sonneninneren, radioaktive Zerfälle im Erdmantel, haben sie eine hohe Energiedichte, aber auf dem Weg zur Erdoberfläche wird der Leistungsstrom ausgedünnt, es kommt nur ein sanfter Energieregen an. Dass dieser mit den Abständen zwischen den Energieniveaus der Atomhülle vergleichbar portioniert ist, ist ein sehr glücklicher Zufall, dem das Leben auf der Erde seine Existenz verdankt – wesentlich intensivere Energieströme würden die Molekülbindungen sprengen und das Leben zerstören (dies bemerkte ich auf’s Unangenehmste als ich vor längerer Zeit einmal auf Fuerteventura die Sonnencreme vergaß), schwächere würden zum Antrieb chemischer Reaktionen in der für Lebensvorgänge benötigten Geschwindigkeit nicht genügen.
Die Menschheit ist die erste Lebensform auf der Erde, die über die Biologie hinauszuwachsen vermag, durch Wissenschaft, Technologie und Etablierung industrieller Prozesse. Im Gegensatz zu den niederen Tieren sind wir keinen Wachstumsgrenzen unterworfen. Dies bedeutet jedoch auch, dass Energiequellen geringer Dichte (bzw. hoher Entropie) wie klassische Erneuerbare oder fossile Brennstoffe rasch an ihre praktischen Grenzen kommen. Dies zeichnet sich aktuell ab: Die nächsten Entwicklungsschritte der Menschheit sollten die Erschaffung einer weltweiten Nachknappheitsgesellschaft (zehn Milliarden auf europäischem oder höherem Niveau) und die Erschließung des Sonnensystems sein. Fossile Brennstoffe und klassische Erneuerbare alleine wären hiermit überfordert. Es werden hochkonzentrierte, saubere Energiequellen benötigt: Schnelle Kernspaltungsreaktoren mit geschlossenem Brennstoffzyklus und später Fusionsreaktoren.
Dies ist meines Erachtens nach unser bestes, stärkstes Pro-Atom-Argument: Wir benötigen Kernreaktoren, damit die Menschheit sich weiterentwickeln kann, die Kardaschowskala hinauf zur raumfahrenden Spezies!
In der Piratenpartei sind Raumfahrt und Futuristik weit verbreitete Interessen. Ich hoffe nach wie vor, dass die Damen und Herren Nerds sich irgendwann klarmachen, dass sich das Sonnensystem nicht auf Basis von Windmühlen, Grünschnitt und Kohleöfen besiedeln lässt.
Was den Klimawandel anbelangt: Solange die breite Mehrheit der Wissenschaftler ihn als Risiko ansieht, stelle ich mich wie schon gesagt auf die sichere Seite. Natürlich kann es sein, dass die Mehrheit der Wissenschaftler sich zur Zeit irrt! Betrachtet man die gesamte Menschheitsgeschichte, dann war das sogar eher die Regel als die Ausnahme. Es ist durchaus möglich, dass weitere Forschungen den anthropogenen Klimawandel eine Art modernes Ptolemäisches Weltsystem erscheinen lassen werden.
Würden wir die gute Klimabilanz der Kernenergie als Hauptargument nutzen, so bräche dieses dann sofort zusammen. Man würde sagen: „Na, wenn industrielle Kohlendioxidemissionen doch keine merklichen Klimaänderungen verursachen, dann können wir doch munter weiter Kohle- und Erdgaskraftwerke (und da und dort einen hübschen kleinen Windpark) bauen! Euer Integral Fast Reactor ist viel zu kompliziert und gefährlich, tschüss!“
Dies wäre der Zeitpunkt zu entgegnen: „Wie willst du mit Fossilbrennereien und hübschen kleinen Windparks zehn Milliarden Menschen ein Leben in Wohlstand ermöglichen? Und wie willst du ein ordentliches Raumschiff bauen, das hohen spezifischen Impuls mit hoher Schubkraft vereint, ohne Atomkerne zu spalten oder zu verschmelzen?“
Argumentieren wir lieber jetzt bereits positiv: Zeigen wir auf, dass die Kernkraft allerlei vermag, was fossile oder erneuerbare Energiequellen nicht wirtschaftlich (Nachknappheitsgesellschaft) oder sogar überhaupt nicht (leistungsstarke Raumschiffe antreiben) können. Die Klimabilanz ist ein feines Zusatzargument – interessant und nicht unwichtig, sofern der momentane wissenschaftliche Konsensus stimmt, irrelevant falls er widerlegt wird. Die Perspektiven, die wir anstreben, werden dadurch nicht berührt, denn sie beruhen darauf, was Kernreaktoren können, nicht darauf, was sie nicht tun.