Für den Klimaschutz sollte auch die Kernenergie zum Einsatz kommen, meint eine Mehrheit der Deutschen. Das zeigen zwei aktuelle Umfragen. Der Nuklearia e. V. hatte diese Umfragen in Zusammenarbeit mit Deutscher Arbeitgeberverband e. V. bei den Meinungsforschungsinstituten Allensbach und Civey in Auftrag gegeben.
Dieser Artikel ist eine überarbeitete und deutlich erweiterte Fassung unseres Beitrags vom 2021-06-11. Wir haben weitere Detailergebnisse der Umfragen ergänzt. Download-Links finden sich am Schluss des Beitrags.
Unterschiedliche Ansätze der Meinungsforschungsinstitute
Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach befragte Anfang Mai 2021 1027 repräsentativ ausgewählte Personen in persönlichen Interviews und stellte drei Fragen zur Kernenergie. Die ersten beiden Fragen sind nicht neu. Sie betreffen die Einstellung zum Atomausstieg. Allensbach hatte diese Fragen in der vergangenen Jahren bereits für andere Auftraggeber gestellt. Dadurch lassen sich die Ergebnisse vergleichen und Trends feststellen. Die dritte von Allensbach gestellte Frage ist neu. Hier wollten Nuklearia und DAV wissen, ob sich die Einstellung zum Atomausstieg ändert, wenn die Kernenergie unter dem Aspekt Klimaschutz gesehen wird.
Civey wählt einen anderen Ansatz. Das Unternehmen blendet fortlaufend Online-Umfragen auf vielen unterschiedlichen Websites ein. Die Antworten von Personen, die auch demografische Daten über sich verraten, fließen in die Analyse und in das repräsentative Ergebnis ein. Die unterschiedlichen Methoden von Allensbach und Civey sollen helfen, robuste Ergebnisse zu ermitteln und methodenbedingte Fehler zu minimieren.
Soll auch die Kernenergie dazu dazu beitragen, die Klimaziele der EU zu erreichen? Diese Frage stellt Civey seit Ende 2019. Mit der Beauftragung von Civey hat die Nuklearia das Recht erworben, die Ergebnisse einzusehen und zu veröffentlichen, auch die fortlaufend aktualisierten, künftigen Zahlen bis November 2021. Hätte nicht der atomfreundliche Verein, sondern die Grünen diesen Auftrag erteilt, wären die Ergebnisse dieselben gewesen.
Mehrheit für den Atomausstieg schwindet
Zwar sieht die Allensbach-Umfrage, über die die WELT bereits vorab berichtet hatte, noch immer 56 Prozent, die den Atomausstieg richtig finden. Doch der Anteil der Ausstiegsbefürworter geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Stimmten im Jahr 2012 noch 73 Prozent für den Atomausstieg, waren es 2019 nur noch 60 Prozent und ist seitdem weiter auf jetzt 56 Prozent zurückgegangen.
Die mehrheitliche Zustimmung zum Atomausstieg zieht sich durch fast alle Bevölkerungsgruppen. Besonders hoher Unterstützung erfreut sich der Atomausstieg bei Frauen, Jüngeren, den oberen sozialen Schichten und – wenig überraschend – Grünen-Wählern. Eine Ausnahme bilden die Wähler von FDP und AfD, die mehrheitlich gegen den Ausstieg sind.
Große Zweifel an der tatsächlichen Umsetzung des Atomausstiegs
Überraschend hoch sind die Zweifel in der Bevölkerung daran, dass der Atomausstieg tatsächlich umgesetzt wird. Der Anteil derer, die glauben, dass Deutschland auch über das Jahr 2022 nicht auf die Kernenergie verzichten wird, liegt seit 2004 mit Schwankungen um die 50-Prozent-Marke herum, wie Allensbach ermittelte. Selbst jetzt, nur 1,5 Jahre vor dem Ausstiegsdatum, sind die Zweifel an der Umsetzung nicht wesentlich kleiner geworden.
Die Zuversicht, dass der Atomausstieg tatsächlich wie geplant umgesetzt wird, besteht vor allem in den oberen sozialen Schichten, bei Grünen-Wählern, Ausstiegsbefürwortern und jüngeren Menschen. In keiner Gruppe jedoch liegt die Zuversicht oberhalb von 43 Prozent Zuversicht. Insgesamt überwiegen die Zweifel an der Umsetzung des Atomausstiegs, vor allem bei Ausstiegsgegnern, AfD-Wählern und Ostdeutschen.
Das Klima-Argument vergrößert das Lager der Kernenergie-Befürworter erheblich
Hatten die Antworten auf die erste Frage von Allensbach noch eine Zustimmung für den Atomausstieg ergeben, so wendet sich das Blatt, wenn die Fragestellung auch den Klimaschutz berücksichtigt. Viele Länder bekämpfen den Klimawandel mit beiden: mit erneuerbaren Energien und mit der Kernkraft. In Deutschland fänden es 42 Prozent der Befragten gut, diese Kombination auch für den Klimaschutz in Deutschland zu nutzen. Nur ein Drittel der Bevölkerung (34 Prozent) lehnt dies ab. Relativ viele Menschen, nämlich 24 Prozent, zeigte sich dem Allensbach-Interviewer gegenüber unentschieden.
Klimaschutz durch Kernenergie sogar für Ausstiegsbefürworter und Grüne attraktiv
Wie stark des Argument Klimaschutz zieht, zeigen zwei Zahlen ganz besonders: Für den Kampf gegen den Klimawandel auch die Kernenergie einzusetzen, findet ein Drittel (32 Prozent) der Ausstiegsbefürworter richtig. Sogar ein gutes Viertel (28 Prozent) der Grünen-Wähler kann sich dafür erwärmen.
Bestätigung durch Civey-Umfrage
Die von Civey seit Ende 2019 durchgeführte Umfrage bestätigt dieses Bild. Über den gesamten Erhebungszeitraum hinweg ergab sich eine stabile relative Mehrheit für den Einsatz der Kernkraft für den Klimaschutz.
Am 15. Juni 2021 waren gut 49 Prozent der Befragten der Ansicht, es solle weiterhin Atomkraft zur Stromerzeugung eingesetzt werden, um die Klimaschutzziele der EU zu erreichen.
Kernenergie ist klimafreundlich, weil sie im Betrieb keine CO₂-Emissionen freisetzt. Auch wenn man Uranbergbau und -anreicherung berücksichtigt, ist der CO₂-Ausstoß sehr gering und liegt mit Windkraft gleichauf. Trotz dieser Vorteile der Kernenergie lehnen immerhin 44 Prozent der von Civey Befragten diese Form der Stromerzeugung ab. Erheblich kleiner als bei Allensbach ist der Anteil der Unentschiedenen: Sind es bei Allensbach noch 24 Prozent, die zu dieser Frage keine Meinung haben oder sie nicht äußern wollen, sind es bei Civey nur 9 Prozent.
»AKW? Nee!« ist ein nordwestdeutsches Thema
Civey liefert auch eine Aufschlüsselung der Ergebnisse nach Bundesländern und Landkreisen. Ein Blick auf die Karte zeigt: Im Osten hingegen überwiegt klar die Zustimmung. Abgelehnt wird die Kernenergie mehrheitlich vor allem im Nordwesten der Bundesrepublik. Doch selbst dort, wo die Zustimmung der Kernenergie am geringsten ist, nämlich in Flensburg, rangiert sie mit 36,3 Prozent keineswegs unter ferner liefen.
Vor allem junge Menschen, FDP- und CDU/CSU-Wähler wollen die Kernkraft – sogar ein Viertel der Grünen ist dafür
Schlüsselt man die Ergebnisse nach politischen Vorlieben auf, stellt sich heraus, dass nicht nur viele AfD-Wähler für die Kernenergie sind, um Klimaziele zu erreichen. Hoher Zustimmung erfreut sich die Atomkraft vor allem bei FDP-Wählern (63 Prozent laut Allensbach, 76 Prozent laut Civey) sowie bei Anhängern von CDU und CSU (Allensbach: 44 Prozent, Civey: 64,6 Prozent). Erstaunlicherweise befürwortet sogar ein Viertel der Grünen-Wähler die Kernenergie, wenn sie im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt wird (Allensbach: 28 Prozent, Civey: 22,1 Prozent). Damit trägt jeder vierte Wähler der Grünen einen zentralen Punkt des grünen Parteiprogramms nicht mit.
Unterschiede bei den Unentschiedenen
Der größte Unterschied zwischen den beiden Umfragen liegt im Anteil der Unentschiedenen. Kernkraft für den Klimaschutz einsetzen oder nicht? Zu dieser Frage haben bei Allensbach 24 Prozent keine Meinung. Bei Civey sind es nur 8,1 Prozent.
Besonders hoch ist die Differenz bei den Jüngeren. Der Anteil der Unentschiedenen liegt laut Allensbach mit 28 Prozent überdurchschnittlich hoch. Bei Civey hingegen liegt dieser Anteil mit 7,1 Prozent signifikant unter dem Durchschnitt. Viermal mehr Unentschiedene bei Allensbach als bei Civey!
Eine mögliche Erklärung: Kernenergie ist in Deutschland für viele noch immer ein Tabuthema. Da mag es schwerfallen, einem Interviewer klar ins Gesicht zu sagen, man sei für oder gegen die Kernkraft. In einer Online-Umfrage ohne direktes Gegenüber auf Ja oder Nein zu klicken, ist offenbar sehr viel einfacher. Dieser Effekt ist in der Sozialforschung bereits nachgewiesen worden: Junge Studienteilnehmer stimmen sensiblen Fragen in Online-Umfragen signifikant häufiger zu als in Telefoninterviews (Milton et al., 2017).
Jüngere laut Civey klar für die Kernenergie
Wem kommt die Differenz zugute? Bei den politischen Parteien ist es diejenige Seite, die ohnehin die Mehrheit in dieser Frage stellt. Wähler von CDU/CSU, FDP und AfD stimmen der Kernenergie also noch deutlicher zu. Bei SPD-, Grünen- und Linke-Wählern zeigt sich eine noch stärke Ablehnung.
Zu jüngeren Menschen zeichnen die beiden Umfragen ein komplett unterschiedliches Bild. Überwiegt bei Allensbach die Ablehnung der Kernenergie, können von der sehr viel geringeren Unentschiedenheit bei Civey ausschließlich die Kernkraftbefürworter profitieren. Hier ergibt sich nicht einfach nur eine Zustimmung zur Kernenergie, sondern dies sogar mit einer starken absoluten Mehrheit.
Wie wird sich die Zustimmung Jüngerer zur Kernenergie künftig entwickeln? Sollte sich der seit Anfang 2020 zu beobachtende Trend fortsetzen, könnte es durchaus weiter nach oben gehen.
Stimmen zu den Umfrage-Ergebnissen
Rainer Klute, Vorsitzender des Nuklearia e. V., sagt zu den Ergebnissen: »Die Umfragen zeigen, dass die meisten Deutschen in der Kernenergie eher eine Lösung als ein Problem sehen. Unsere Forderung nach einer Laufzeitverlängerung für die verbliebenen sechs Kernkraftwerke kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Das werden wir auch in diesem Jahr durch Demonstrationen an den Standorten der Kernkraftwerke deutlich machen. Motto: »Critical Climate Action«. Nun suchen wir nach Verbündeten in der Politik, die umsetzen wollen, was sich viele Wähler wünschen.«
Dr. Björn Peters, Ressortleiter Energiepolitik und Bundesvorstandsmitglied bei Deutscher Arbeitgeberverband e. V., betont: »Die deutsche Energiewende scheitert im Vergleich zu Schweden und Frankreich. CO2-Emissionen und Kosten sind in Deutschland sehr viel höher. Deshalb ist die Kernenergie die Gretchenfrage in der Energiepolitik: Nur mit ihrer Hilfe können wir die Energiewende noch zum Erfolg führen. Politiker sollten zur Kenntnis nehmen, dass es für die Kernkraft auch in Deutschland mittlerweile eine Mehrheit gibt. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass gerade die FDP davon profitieren würde, wenn sie sich klar zur Kernenergie bekennen würde.«
Quellen
- Die Beurteilung der Kernenergie vor dem Hintergrund der Klimadebatte – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage; Institut für Demoskopie Allensbach; 2021-05-21
- Meinungsumfrage zur Kernenergie, Ergebnispräsentation Allensbach; Rainer Klute; Nuklearia e. V.; 2021-06-15
- Meinungsumfrage zur Kernenergie, Ergebnispräsentation Civey; Björn Peters; Deutscher Arbeitgeberverband e. V.; 2021-06-15
- Comparison of Self-Reported Telephone Interviewing and Web-Based Survey Responses: Findings From the Second Australian Young and Well National Survey; Alyssa C Milton; Louise A Ellis; Tracey A Davenport; Jane M Burns; Ian B Hickie; 2017-09-26
Übrigens: Die Umfragen haben Geld gekostet. Wir danken sehr für (steuerabzugsfähige) Spenden! Konto: IBAN DE30 6225 0030 0002 3209 84 oder https://www.paypal.me/nuklearia/.
Über den Deutschen Arbeitgeberverband
Der Deutscher Arbeitgeberverband e. V. wurde 1948 als erster freier Wirtschaftsverband gegründet, als nach dem Zweiten Weltkrieg sämtliche Wirtschaftsverbände durch die Siegermächte aufgelöst worden waren. Maßgeblicher Ideengeber war Ludwig Erhard, von dessen Konzept des Ordoliberalismus die West-Alliierten überzeugt waren. Die einstigen Gründer des Verbandes, unter ihnen auch der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, sahen die Notwendigkeit, die Wirtschaft aus den Zwängen der Politik zu befreien und die Rolle des Staates nach der national-sozialistischen Katastrophe klar zu definieren und einzugrenzen. Der Verband wurde damit zu einer zentralen Interessenvertretung der Sozialen Marktwirtschaft jenseits von tages- und tarifpolitischen Interessen und Einzelfragen.
Der Verein versteht sich heute als wirtschaftsliberale, der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtete Denkfabrik. Gemeinsam mit den Partnern in Politik und Wirtschaft möchte er ein fortschritts-, wissenschafts- und technologiefreundliches, rationales Leitbild für Staat und Wirtschaft schaffen, das wieder Wohlstand für alle schafft, den Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie herstellt und dem Staatsbürger die Mündigkeit zurückgibt.
- https://deutscherarbeitgeberverband.de/
- Kontakt: Dr. Björn Peters, E-Mail: peters@arbeitgeberverband.de, Telefon: 0178 / 2589700
Eine Antwort
Passend dazu eine Petition, die fordert, den Kohleausstieg vor dem Atomausstieg durchzuführen. #kohlezuerst
https://www.openpetition.de/petition/blog/co2-sparen-zuerst-raus-aus-der-kohle-danach-aus-der-kernkraft