Das Nuklearforum Schweiz kritisiert das deutsche Bundesumweltministerium wegen eines am 11. März veröffentlichten Positionspapiers zur »Vollendung des Atomausstiegs«, das indirekt auch ein vorzeitiges Ende der Kernenergie in der Schweiz fordert. Das Nuklearforum forderte die Schweizer Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf, gegenüber der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze Stellung zu beziehen. Die Nuklearia unterstützt diese Initiative.
Das Bundesumweltministerium sieht seinen Einsatz für den Atomausstieg in Deutschland Ende 2022 »noch lange nicht als beendet an«, schreibt es in seinem Positionspapier. Man arbeite mit voller Kraft weiter. »Es bleiben nukleare Risiken, die weitere konsequente Schritte erfordern: in Deutschland, in Europa und weltweit«, so das Ministerium. Die weitere Nutzung der Atomenergie im Ausland sei nicht im deutschen Interesse.
Druck aus Deutschland nicht akzeptabel
Hans-Ulrich Bigler, Präsident des Nuklearforums Schweiz, sieht dadurch die Energiesouveränität der Schweiz bedroht: »Offenbar denkt das deutsche Ministerium daran, auf Nachbarstaaten, die im Rahmen ihrer nationalen Energie- und Klimapolitik den Langzeitbetrieb der Kernanlagen prüfen, Druck auszuüben und Mitsprache bei innenpolitischen Angelegenheiten einzufordern, um damit das vorzeitige Abschalten bestehender Kernanlagen in Europa zu erzwingen. Das ist für die Schweiz nicht akzeptabel.« Insbesondere beim Thema Langzeitbetrieb sollte die deutsche Ministerin Svenja Schulze darauf hingewiesen werden, dass die Prüfung, ob die Schweizer Anlagen den hohen Sicherheitsanforderungen genügen, einzig dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) obliegen und nicht dem deutschen Umweltministerium.
»Es gilt daran zu erinnern, dass sich die Schweizer Bevölkerung per Volksabstimmung im Rahmen der Energiestrategie 2050 im Mai 2017 klar dafür ausgesprochen hat, Kernanlagen in der Schweiz so lange in Betrieb zu halten, wie sie sicher sind», schreibt Bigler zusammen mit Lukas Aebi, Geschäftsführer des Nuklearforums, an Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Das Nuklearforum hält es für erforderlich, dass die demokratische Souveränität der Schweiz in der Energiepolitik gegenüber der deutschen Umweltministerin nochmals deutlich gemacht werde.
Das Bundesumweltministerium begründet seine Position damit, dass die Risiken der Atomkraft nicht an Landesgrenzen halt machten. »Dazu sei die Frage erlaubt, ob die Schweizer Bevölkerung bei den energiepolitischen Entscheidungen in Deutschland und des sich wegen der Abkehr von der Kernenergie verzögernden deutschen Kohleausstiegs mitreden durfte«, so Bigler und Aebi.
Luftverschmutzung aus deutschen Kohlekraftwerken macht nicht an Landesgrenzen halt
Der Betrieb der deutschen Kohlekraftwerke sei fatal für die Umwelt und insbesondere für die Klimabilanz in ganz Europa. Die Kohleverstromung verursache Millionen von Tonnen an zusätzlichem klimaschädlichen CO₂ und belaste die Luft massiv durch Feinstaub und weitere Schadstoffe. »Somit gilt insbesondere, dass auch die Luftverschmutzung in Europa durch deutsche Kohlekraftwerke mit langen Laufzeiten nicht an Landesgrenzen halt macht«, unterstreichen Bigler und Aebi.
Die Nuklearia unterstützt die Initiative des Nuklearforums Schweiz. Ihr Vorsitzender Rainer Klute: »Diese Einmischung in die energiepolitische Souveränität unserer Nachbarstaaten durch die deutsche Umweltministerin ist anmaßend, arrogant und unerträglich. Soll mal wieder am deutschen Wesen die Welt genesen? Ich hatte gehofft, diese Haltung hätten wir überwunden. Das Schweizer Volk hat über seine Energieversorgung demokratisch entschieden, und da hat keine deutsche Ministerin hineinzureden. Gerade die Schweiz betreibt ja ein vorbildlich klimafreundliches Stromsystem, das zu 90 Prozent CO₂-frei ist. Die Kombination aus Kernkraft und Erneuerbaren macht es möglich. Ich kann der Schweiz nur empfehlen, sich möglichst unabhängig von Stromimporten aus Deutschland zu machen. Durch den Wegfall der Kernenergie in Deutschland und durch die Stilllegung von Kohlekraftwerken ist in Zukunft nichts Planbares mehr aus unserem Land zu erwarten.«
Quellen
- 12 Punkte für die Vollendung des Atomausstiegs – die Position des Bundesumweltministeriums; 2021-03-11
- Nuklearforum Schweiz
- KernD-Positionen zu Perspektiven der Kerntechnik; Kerntechnik Deutschland e.V. (KernD); 2021-03-17; hier ergänzt am 2021-03-17
Über das Nuklearforum Schweiz
Das Nuklearforum Schweiz ist ein Verein zur Förderung der sachgerechten Information über die zivile Nutzung der Kerntechnik. Seit 60 Jahren unterstützt das Forum als wissenschaftlich-technische Fachorganisation die Meinungsbildungsprozesse im Bereich der Kernenergie sowie die Anwendung nuklearer Techniken in Medizin, Industrie und Forschung.
3 Antworten
Ich halte die Argumentation der Schweiz gegen oder für eine Energiewendepolitik der BRD für halbgar. Denn die Umweltbelastung, die durch Kohlekraftwerke besteht, sind m.E. eine Petitesse und belasten die Schweiz kaum merklich. Dafür aber wird das Energienetz und die Wirtschaftlichkeit der Pumpspeicher-Kraftwerke massiv geschädigt. Diese sind vor allem für einen Tagesausgleich konzipiert. Dadurch, dass man aber mittags vermehrt den Solarstrom hat, bringt die PSKW an den Rand der Wirtschaftlichkeit. Eine Langfrist-Speicherung für Dunkelflauten ist aber bei den erforderlichen Kapazitäten kaum möglich und auch Wirtschaftlich nicht darstellbar. Auch sind die Preisentwicklungen der Strombörse nicht geeignet, eine vernünftige Entwicklung zum Ausbau der Kapazitäten sicherzustellen. Kurz: Die deutsche Stromwirtschaft belastet die Schweizer Stromwirtschaft erheblich, und dennoch regt sich von dort kaum Widerstand.
Liebe Schweizer, stört Euch nicht an der BRD, wir leben unter dem selben Himmel, aber nicht jeder hat den gleichen Horizont.
Als Deutsche sehe ich bei unserem kommenden Blackout (der mit dem Strom, der andere läuft bereits) gerne auf die beleuchtete und geheizte Schweiz. Ein Stern am Horizont!
Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze, ausgewiesene Atomexpertin durch ihr Studium der Germanistik und Politikwissenschaft, erklärte in einem Interview der WELT am Sonntag vom 28.2.2021, die Wiederbelebung der Kernkraft in Deutschland sei ein „Märchen“. Derartige Expertise ist bei den derzeitigen Flops der Bundesregierung ziemlich ungewöhnlich. Angesichts der Stromlücke, auf die Deutschland nach Stilllegung aller Kernreaktoren und Kohlekraftwerke zuläuft (siehe der nach Protesten zurückgenommene §14 des Energiewirtschaftsgesetzes) wird diese Ministerin noch einmal froh sein, wenn in den Nachbarländern einige Kernkraftwerke existieren, die bereit sind, Deutschland bei Dunkelflaute Strom zu liefern. Vorher wäre aber zu wünschen, das an der Spitze des Ministeriums wieder etwas mehr Fachexpertise einkehrt.