Neuartige Kernreaktoren wie die Aurora von Oklo brauchen hochgradig schwachangereicherten Kernbrennstoff
Von Sonal Patel
Sogar die Tagesschau ist auf ihn aufmerksam geworden, den Mikroreaktor Aurora des amerikanischen Nuklear-Startups Oklo. 1,5 Megawatt soll er leisten, der Reaktorzwerg – weniger als eine moderne Windkraftanlage, aber unabhängig von Wind und Wetter im zuverlässigen 24×7-Betrieb – und das jahrelang ohne Brennelementwechsel. Gedacht ist die Anlage vor allem für abgelegene Gebiete, die nicht am Stromnetz hängen, sondern ihren Strom teuer und umweltschädlich aus Diesel gewinnen müssen.
Eine Besonderheit ist der Brennstoff der Aurora: Für die Demonstrationsanlage, die nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens voraussichtlich ab 2022 oder 2024 auf dem Gelände des Idaho National Laboratory (INL) gebaut wird, soll sogenannter HALEU-Brennstoff zum Einsatz kommen, der aus Brennelementen des 1994 stillgelegten Experimental Breeder Reactor II (EBR-II), vulgo »Atommüll«, gewonnen wird.
HALEU ist nicht nur für die Aurora relevant, sondern auch für weitere fortschrittliche Reaktorkonzepte. Sonal Patel vom POWER-Magazin führte kürzlich ein Interview mit Caroline Cochran und Jacob DeWitte, dem Leitungsteam von Oklo, zu Aurora und HALEU und veröffentlichte einen längeren Hintergrundartikel. Wir bringen hier den am 20. Februar im POWER-Magazin erschienenen Beitrag in einer deutschen Übersetzung und danken für die freundliche Genehmigung!
Im Februar hatte das amerikanische Idaho National Laboratory (INL) die Entscheidung getroffen, der im Silicon Valley ansässigen Firma Oklo als erstem Unternehmen Zugriff auf wiederaufbereiteten HALEU-Kernbrennstoff zu geben. Oklo will diesen Brennstoff in einer vollständig ausgebauten Demonstationsanlage ihres Aurora-Mikroreaktors verwenden.
Führungskräfte des Unternehmens erläuterten in einem Exklusivinterview mit POWER, dass dieses Projekt weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft der Kernenergie haben könne.
Das INL hatte am 19. Februar bekannt gegeben, Oklo könne für die Demonstrationsanlage ihres 1,5-MW-Schnellreaktors Zugang zu wiederaufgearbeitetem, gebrauchtem Kernbrennstoff aus dem inzwischen stillgelegten Experimental Breeder Reactor-II (EBR-II) bekommen – ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung innovativer Kerntechnik, mit der Experten der Industrie die künftige Rolle der Kernenergie in einem sich schnell verändernden Energiesektor definieren wollen.
Der gebrauchte Brennstoff, der auf einen Anreicherungsgrad von knapp 20 % Uran-235 (HALEU, high-assay, low-enriched uranium) abgereichert wird, bleibt weiterhin im Besitz des US-Energieministeriums (DOE) und verbleibt am INL in Idaho Falls, Idaho. Für diesen Standort hatte Oklo im vergangenen Jahr eine Nutzungsgenehmigung zum Bau seiner Aurora-Anlage erhalten.
Laut INL ist zwar noch eine Kooperationsvereinbarung über die Verwendung des HALEU-Materials für die Demonstrationsanlage abzuschließen, doch sei die Entscheidung für Oklo ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer raschen Einführung kommerziell verfügbarer Mikroreaktoren. Wie Dr. John Wagner, Direktor des INL-Bereichs Nuklearwissenschaft und -technologie, erläuterte, liegt der Vorteil von Kernbrennstoffen mit höherem Uran-235-Gehalt darin, dass Reaktoren damit jahrelang ohne Brennelementwechsel betrieben werden können. »Das ist eine wichtige Eigenschaft, denn diese Technik soll auch in abgelegenen und schwer zugänglichen Gebieten eingesetzt werden.«
Was ist HALEU?
Hochgradig schwachangereichertes Uran (high-assay, low-enriched uranium, HALEU) ist ein Kernbrennstoff, der zu einem höheren Grad mit dem spaltbaren Isotop Uran-235 angereichert ist, nämlich zwischen 5 und 20 %. Im Unterschied dazu verwenden übliche Leichtwasserreaktoren (LWR) in der Regel Brennstoff, der auf unter 5 % Uran-235 angereichert ist. Experten betonen, dass HALEU im Vergleich zu herkömmlichen Reaktoren mehr Leistung pro Volumen bietet, und diese Effizienz des Brennstoffs ermöglicht kleinere Kernkraftwerk. Außerdem verspricht HALEU eine längere Lebensdauer des Reaktorkerns und eine höhere Abbrandquote des Nuklearabfalls.
Nach Angaben des Nuclear Energy Institute (NEI) könnten viele fortschrittliche Reaktorkonzepte diese Art von Brennstoff verwenden, darunter einige Mikroreaktoren (meist weniger als 10 MW), gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren zwischen 100 und 200 MW sowie Flüssigsalzreaktoren. HALEU ließe sich auch in bestehenden Leichtwasserreaktoren einsetzen. Das NEI schätzt zwar, dass der kommerzielle Bedarf an HALEU auf 185,5 Tonnen pro Jahr ansteigen könnte, doch wird derzeit überhaupt noch kein HALEU hergestellt. Der Aufbau einer kommerziellen HALEU-Produktion erfordert aber erstens eine ausreichende Nachfrage und zweitens mindestens sieben Jahre Vorlaufzeit für die Entwicklung der Brennstoffkreislauf-Infrastruktur. Die Industrie fordert daher das Energieministerium (DOE, Department of Energy) seit Jahren dazu auf, bis dahin das hochangereicherte Uran des Ministeriums zu nutzen und es für den Betrieb von Demonstrationsreaktoren zu HALEU abzureichern. Diesem Wunsch ist das DOE nun nachgekommen und hat kürzlich seine Aktivitäten zum Aufbau von HALEU-Produktionskapazitäten intensiviert. Für die Führungsrolle der USA werde dies in naher Zukunft von zentraler Bedeutung sein, so das Ministerium, denn der Wettbewerb auf dem Weltmarkt um Entwicklung und Bau modularer Kleinreaktoren (small modular reactors, SMR) und größerer Reaktoren, die keine Leichtwasserreaktoren sind, werde sich verschärfen.
Ein Meilenstein für Oklo und die innovative Nukleartechnik
Das 2013 gegründete Unternehmen Oklo ist nach einer Region im afrikanischen Gabun benannt, die für ihre Vorkommen von spaltbarem Uran-235 und ihre natürlichen Kernreaktoren bekannt ist. Das Konzept des Aurora-Reaktors hatte Oklo im Dezember vorgestellt und als »Kernspaltungsbatterie« beschrieben. Aurora verwendet metallischen Brennstoff und kann sowohl Strom als auch Wärme erzeugen. Für ihr Design ließen sich die Entwickler von einem NASA-Bild inspirieren, das das Polarlicht (Aurora) auf der Erde vom Weltraum aus zeigt. »Dieses Bild hat uns begeistert, weil es sowohl die Schönheit der Erde und unseren Energiebedarf zeigt, außerdem auch die Möglichkeiten des Menschen und die Schönheit des Weltraums. Die Aurora symbolisiert dies mit den Lichtern der Erde auf der einen Seite und dem Licht der Sterne auf der anderen. Wir finden es faszinierend, wie die Kernspaltung zur Weiterentwicklung der Menschheit beiträgt, die Umwelt schützt und sogar die Erforschung des Weltraums ermöglicht«, erläutert Caroline Cochran, Chief Operating Officer (COO) und Mitbegründerin von Oklo.
Das Unternehmen sei bereits seit 2016 mit der US-Atomaufsichtsbehörde (Nuclear Regulatory Commission, NRC) im Gespräch zum Genehmigungsverfahren für das Aurora-Konzept, erläuterte Jacob DeWitte, Mitbegründer und CEO von Oklo, am 17. Februar in einem Exklusivinterview mit POWER. »In der kommenden Woche« wolle das Unternehmen den Zulassungsantrag einreichen. »Wir rechnen mit etwa zwei Jahren für die Bearbeitung des Antrags, vielleicht weniger.« Zur Frage, wann die Arbeit am Demonstrationsreaktor auf dem INL-Gelände beginnen könne, sagte DeWitte, dazu könne Oklo noch keine konkreten Angaben machen. »Wir haben den Zeitraum von 2022 bis 2024 im Auge, irgendwann in dieser Zeit.«
Dieser Zulassungsantrag sei übrigens der erste für einen zivil entwickelten Mikroreaktor und auch der erste für einen nicht wassergekühlten Reaktor, so DeWitte. Die Standortgenehmigung des INL und die Möglichkeit, HALEU zu nutzen, seien »ziemlich wichtige Schritte, um schon in den frühen 2020er Jahren etwas zeigen zu können.«
Große Schritte in Richtung HALEU-Produktion
Die Entscheidung des DOE, HALEU zur Verfügung zu stellen, ist ein wichtiger Schritt im Rahmen im Bemühen des Ministeriums, eine große Lücke in der HALEU-Produktion zu schließen. Nach Ansicht des DOE ist das nötig, um Interesse zu wecken und um die Entwicklung fortschrittlicher Kernreaktorkonzepte zu fördern. Diese Entscheidung ist einer von mehreren Schritten, mit denen sich das Ministerium in letzter Zeit um eine kommerzielle Produktion von HALEU gekümmert hat.
Dan Brouillette, seinerzeit stellvertretender Energieminister und heute US-Energieminister, hatte im Januar 2019 angekündigt, das DOE wolle ab Oktober 2020 HALEU produzieren. Dies solle in einem ersten Projekt mit einem Volumen von 115 Millionen Dollar im American Centrifuge Plant erfolgen, einer Urananreicherungsanlage des Ministeriums in Piketon, Ohio. Im November letzten Jahres unterzeichneten das DOE und Centrus Energy einen Dreijahresvertrag über den Betrieb einer Zentrifugenkaskade zur Anreicherung dieses Kernbrennstoffs. Der Vertrag sieht vor, dass Centrus AC100M-Zentrifugen und die zugehörige Infrastruktur zur Herstellung von HALEU lizenziert, baut, montiert und betreibt. Nach den Unterlagen des DOE könnte der Bau der Zentrifugen zwar noch in diesem Jahr beginnen, doch könne das Projekt womöglich bereits im September 2021 abgeschlossen werden, obwohl der Vertrag bis 2022 läuft.
Mitte Februar vergab die dem DOE untergeordnete Behörde für nukleare Sicherheit (National Nuclear Security Administration, NNSA) einen ersten Auftrag im Umfang von 3,6 Millionen Dollar an die BWXT Nuclear Operations Group, eine Tochtergesellschaft von BWX Technologies (BWXT). Das Unternehmen soll einige Teile seiner Anlage in Lynchburg, Virginia, stilllegen und andere Teile modernisieren, damit dort ab 2024 hochgradig schwachangereichertes Uran aus Uran-Molybdän-Legierungen (U-Mo HALEU) produziert werden kann. Dieser Brennstoff soll in bundesstaatlich betriebenen US-Forschungsreaktoren zum Einsatz kommen, die heute mit hochangereichertem Uran (high enriched uranium, HEU) betrieben werden. Laut BWXT arbeitet das Unternehmen seit 2006 sowohl allein als auch zusammen mit der NNSA an der Entwicklung des Brennstoffs U-Mo HALEU, der »die Leistung der Reaktoren aufrechterhalten und zugleich das Proliferationsrisiko verringern soll«.
Bis Ende des Jahres will BWXT außerdem die Vorbereitungen zur Wiederaufnahme der Produktion von TRISO-Brennstoff (TRi-structural ISOtropic) abschließen. TRISO ist ein spezieller HALEU-Brennstoff, der aus vielen sehr kleinen Uran-Körnchen besteht, die mit auf Silizium und Kohlenstoff basierenden Materialien beschichtet sind. TRISO-Brennstoff ist dafür ausgelegt, extremer Hitze zu widerstehen. Zugleich sind die Proliferations- und Umweltrisiken gering. Die bestehenden TRISO-Produktionskapazitäten werde das Unternehmen in die Lage versetzen, die sich abzeichnende Nachfrage des Verteidigungsministeriums für Mikroreaktoren, der NASA für nuklearthermische Antriebe sowie ziviler Unternehmen für fortgeschrittene Reaktoren zu befriedigen, erläuterte BWXT gegenüber POWER. Die Erhöhung der Produktionskapazität zur Deckung der steigenden Nachfrage habe Priorität, so das Unternehmen. Es wies auch darauf hin, dass es als derzeit einziges Unternehmen in den USA über private sogenannte Kategorie-1-Lizenzen verfüge, und dass es diese auch zur Produktion von Material der Kategorie 2 nutzen könne, wozu auch HALEU zähle. Die Erlangung solcher Lizenzen könne »mehrere Jahre und erhebliche Investitionen erfordern«.
Wie das INL HALEU für Kleinserien herstellen will
Das Entstehen eines kommerziellen HALEU-Marktes setzt voraus, dass bereits mehrere fortschrittliche Reaktoren zumindest als Demonstrationsanlagen im Bau sind und absehbar ans Netz gehen werden. Bis dahin will sich das INL darum kümmern, Kernbrennstoff für Forschungs und Demonstrationsanlagen bereitzustellen. Das HALEU für Oklo will man durch Abreicherung aus hochangereichertem Uranbrennstoff (HEU) gewinnen. Dieser stammt noch aus dem EBR-II, einem 19-MW-Demonstrationsreaktor, der von 1963 bis 1994 in Betrieb war. Dieser Brennstoff war eigentlich schon für die Entsorgung behandelt und aufbereitet worden.
Das Verfahren zur Abreicherung des HEU zu HALEU besteht aus einer dreistufigen elektrometallurgischen Behandlung. Zunächst wird der bestrahlte HEU-Brennstoff vorbereitet und in einen Elektroraffinierer mit einer Salzschmelze gegeben. Das ermöglicht die Abtrennung des Uranmetalls von Spaltprodukten und Transuranen. Anschließend wird das zurückgewonnene Uran einer Vakuumdestillation unterzogen, um Salzreste aus der Elektroraffinierung zu entfernen, und der Anreicherungsgrad wird auf unter 20 % Uran-235 abgesenkt. Das zurückgewonnene Uranmetall ist nur noch schwach radioaktiv. Zur Vorbereitung der Brennstoffherstellung wird es erhitzt und in kleine HALEU-Barren von 1,5 – 3 kg gegossen.
Mit diesem Verfahren kann das INL bis zu 10 Tonnen HALEU für Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationszwecke produzieren. Allein der Anteil, den Oklo erhalten wird, ist mehr als genug, um die Aurora-Demonstrationsanlage 20 Jahre lang laufen zu lassen, ohne dass ein Brennelementwechsel nötig sei, erläuterte Oklo-COO Cochran gegenüber POWER. DeWitte fügte hinzu, Oklo wolle die Demonstrationsanlage als vollwertige Aurora-Einheit bauen und über ihre gesamte Lebensdauer betreiben, um möglichst viele Daten und Erfahrungswerte zu sammeln. Dies könne sich für künftige Anlagen als wichtig erweisen. »Aus rein technischer Sicht ist aber durchaus eine fünfmal längere Lebensdauer als 20 Jahre möglich«, so DeWitte.
Dem INL verbleibt nach diesem Herstellungsprozess genügend HALEU für weitere Institutionen, die ebenfalls innovative Kernreaktoren entwickeln und durch das neu gegründete Nationale Reaktorinnovationszentrum (National Reactor Innovation Center, NRIC) gefördert werden. Das Zentrum stellt eine Umgebung zur Durchführung von Tests, für Demonstrationsanlagen und zur Leistungsbewertung zur Verfügung. Sein Hauptziel ist die beschleunigte Einführung innovativer Nukleartechnik. Wie Dr. Wagner vom INL ergänzte, führt das Institut Gespräche mit weiteren Antragstellern, um festzustellen, wie es deren Arbeit unterstützen kann.
Während das INL POWER gegenüber erklärte, zur Unterstützung von F&E-Demonstrationsanlagen stünden auch weitere HALEU-Bezugsquellen zur Verfügung beziehungsweise könnten bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden, ist nicht klar, ob das Institut tatsächlich auch noch andere Methoden zur HALEU-Herstellung einsetzen wird. INL-Dokumente aus Juni 2019 lassen vermuten, dass das Institut vorhatte, Tests innovativer Reaktorkonzepte durch eine vollständig ausgebaute ZIRCEX-Pilotanlage (ZIRCEX = Zirkonium-Extraktion) zu unterstützen. Im ZIRCEX-Prozess werden im Wesentlichen die Zirkonium- oder Aluminiumhüllen gebrauchter Brennelemente entfernt, anschließend wird das Uran mit einem »sehr kompakten, modularen Lösungsmittelextraktionssystem« von den Spaltprodukten befreit. Das Uran wird dann vor seiner Verfestigung und der Brennstoffherstellung auf unter 20 % abgereichert. Im Moment scheint sich das ZIRCEX-Programm aber noch im Forschungsstadium zu befinden.
Obwohl die Forschungsinitiativen des INL entscheidend für die Kommerzialisierung von SMRs und anderer fortschrittlicher Nukleartechnologie sind, ist ihre künftige Finanzierung noch offen. Das für das Finanzjahr 2020 bewilligte Budget des DOE enthält zwar die Mittel zur Verarbeitung des EBR-II-Brennstoffs, künftige Mittel müssen jedoch noch vom Kongress bewilligt werden. Der jüngste Haushaltsentwurf des DOE sieht jedoch eine drastische Kürzung der Mittel für das Demonstrationsprogramm neuartiger Reaktoren vor und halbiert die Finanzmittel für Forschung und Entwicklung beim Brennstoffkreislauf um fast die Hälfte.
Ein Paradigmenwechsel für die Nukleartechnik
Das Wichtigste an der Entscheidung des INL, Oklo HALEU zur Verfügung zu stellen, ist aber vielleicht die Tatsache, dass sie sich vor allem an den Punkten positiv auswirken könnte, an denen der Nuklearsektor seit Jahrzehnten leidet: beim Bau neuer Reaktoren und bei der Entsorgung des Atommülls.
Oklos Plan, einen Demonstrationsreaktor in voller Größe zu bauen, sei ein deutlich anderer »Paradigmenwechsel« als konventionelle Ansätze, die sich häufig als exorbitant teuer und mit unüberwindbaren Herausforderungen verbunden erwiesen hätten, stellt DeWitte fest. Sein Projekt sei unendlich kleiner als herkömmliche Reaktorprojekte – die Anlage beim INL wird höchstens ein Siebtel eines Fußballfeldes benötigen. Dennoch: »Angesichts der Höhe des erforderlichen Kapitals braucht es bestimmte wirtschaftliche Randbedingungen, um sich mit dieser Investition wohlzufühlen«, so DeWitte.
»Weil wir klein anfangen, können wir im Blick auf unser Geschäftsmodell sehr viel schlanker und wendiger sein, und das ist wirklich wichtig. Als risikofinanziertes Unternehmen können wir Dinge zügig umsetzen, haben aber aber auch Zugang zu Kapital, das es uns ermöglicht, etwa den Bau eines Prototypreaktors in Angriff zu nehmen, von dem wir lernen können. Wir sind aber auch, nun, eine Art Exponat in einem Ausstellungsraum. Für kommerzielle Anwendungen ist das sehr wertvoll«, sagt DeWitte.
Ein weiterer interessanter Aspekt »ist, dass man gebrauchte Kernbrennstoffe tatsächlich wiederverwenden kann«, so DeWitte. Das ist eine wichtige Erkenntnis, kommt doch die nukleare Entsorgung in den USA seit fast drei Jahrzehnten nicht voran, vor allem, weil sie politisch in einer Sackgasse steckt. Heute sind laut NEI über 84.000 Tonnen gebrauchten Kernbrennstoffs in Lagerbecken und -behältern in 35 US-Bundesstaaten zwischengelagert.
In seinem jüngsten Budgetantrag regte das DOE an, Alternativen zu dem vom Kongress als Endlager vorgesehenen Yucca Mountain zu untersuchen. Es wurden aber kaum Einzelheiten genannt. Immerhin sieht der Haushaltsplan 295 Millionen Dollar zur Finanzierung des experimentellen Versatile Test Reactors (VTR) vor. Dieser Schnellreaktor ist ein weiteres wichtiges Projekt, bei dem das INL eine Vorreiterrolle spielt. Es soll der Privatwirtschaft bei der Entwicklung und Demonstration neuer Technologien helfen.
Beim VTR wird es sich höchstwahrscheinlich um einen natriumgekühlten Pool-Typ-Reaktor handeln, der metallische Brennstoffe verwendet – einschließlich HALEU. Das DOE geht davon aus, dass die Anlage 2026 betriebsbereit ist, wobei die Kosten für den Bau zwischen 3 und 6 Milliarden Dollar liegen dürften. Das Ministerium legt besonderes Augenmerk auf Schnellreaktoren, da, wie POWER berichtete, Systeme, die mit schnellen Neutronen arbeiten, aus dem Uran 60 mal mehr Energie als die heutigen thermischen Reaktoren gewinnen können. Zugleich tragen sie zu einer erheblichen Verringerung der radioaktiven Abfälle bei. Das Interesse an Schnellen Reaktoren ist in letzter Zeit weltweit stark gestiegen. Doch trotz des technischen Fortschritts und zunehmender Betriebserfahrung steht diese Technologie auch heute noch vor technischen, regulatorischen und wirtschaftlichen Herausforderungen.
Doch das ist nur ein weiterer Grund, warum die erste Aurora-Reaktoranlage wichtig ist. Die innovative Nutzung von HALEU im Rahmen dieses Projekts nennt DeWitte »die materialtechnische Reise eines Einzelkämpfers«, die aber durchaus zu bewältigen sei. Die Möglichkeiten zur Forschung böten den Entwicklern beträchtliche Einblicke in diejenigen Fragen, die häufig als Haupthindernisse genannt werden, darunter das Zulassungsverfahren, der Brennstoffkreislauf und die umfangreichere Brennstofflieferkette, sagt er. Viele Aspekte des bestehenden Nuklearsystems, einschließlich Infrastruktur, Lizenzierung und Technologie, seien jedoch schon auf höher angereicherte Brennstoffe ausgerichtet. »Letztendlich stellt sich die Frage, wie wir HALEU behandeln, als was wir es betrachten und wie wir es verwalten«, meint DeWitte. »Der einzige Grund, aus dem wir die Buchstaben ›HA‹ [für ›hochgradig‹] dem ›LEU‹ [für ›schwachangereichertes Uran‹] voranstellen, ist die Tatsache, dass die heutigen Reaktoren kein HALEU nutzen. Wegen der Überlegungen, die sich daraus ergeben, wird eine Abgrenzung vorgenommen. Es ist ein wenig vereinfachend, aber im Grunde ist HALEU bloß LEU.«
Aurora basiert auf dem EBR-II, der Schnellreaktor-Ikone
DeWitte ging auch die Frage ein, ob Oklo mit besonderen technischen Herausforderungen bei der Nutzung von recyceltem Brennstoff rechne, weil eventuell Rückstände von Radionuklidanteilen enthalten sind, mit denen nicht alle fortschrittliche Reaktoren umgehen können. Da die Aurora ein Schneller Reaktor sei, so DeWitte, besitze sie die inhärente Fähigkeit, mit solchen Verunreinigungen umzugehen und trotzdem effizient zu arbeiten. »Da dieses Material bereits in einem anderen Reaktor, dem EBR-II, bestrahlt worden ist – was für uns auch deshalb faszinierend ist, weil der EBR-II für uns eine bedeutende Quelle der Inspiration war –, wird es noch immer Spuren von Verunreinigungen enthalten. Und obwohl das INL das Material ziemlich gut reinigen kann, verbleiben einige dieser Unreinheiten über den gesamten Prozess und die Abreicherung hinweg. Wenn man Uran wiederverwendet, hat man außerdem eine etwas andere Zusammensetzung der Uran-235-, Uran-234- und Uran-236-Isotope. Die Unterschiede sind zwar ziemlich gering, aber durchaus vorhanden. Und in einem Reaktor, der mit abgebremsten Neutronen arbeitet, also in einem thermischen Reaktor, sind die Auswirkungen dieser und anderer Verunreinigungen viel stärker spürbar, während sie in einem Schnellen Reaktor nahezu keine Folgen haben«, erklärt DeWitte.
Wirtschaftliche Argumente für die Mikrokernkraft
DeWitte und Cochran erhoffen die Klärung solcher Ungewissheiten durch das Demonstrationssystem. Sie weisen aber zugleich darauf hin, dass genau aus diesem Grund die erste Aurora-Anlage im Vergleich zu bestehenden Techniken, die im Kleinmaßstab Strom erzeugen, nicht wirklich kosteneffizient sein wird. »Der kommerzielle Wert dieser Anlage ist ein anderer«, bemerkt DeWitte. »Und mit den nachfolgenden Anlagen können wir klar zeigen, wo wir wettbewerbsfähig sind, nämlich vor allem in netzfernen, abgelegenen Märkten, die heute auf Dieselkraftstoff angewiesen sind«, so DeWitte.
Zu den wichtigsten wirtschaftlichen Aspekten gehört für DeWitte vor allem die Energiedichte von HALEU. Unterschiedliche fortgeschrittene Reaktoren nutzen unterschiedliche Anreicherungsgrade von HALEU. »Je kleiner die Reaktoren werden, desto mehr kommen sie in den Bereich von 19,75 %. Wir liegen ebenfalls in dieser Größenordnung, haben aber die genaue Zahl noch noch nicht bekanntgegeben«, sagt er. HALEU eignet sich für moderne Reaktoren vor allem deshalb besonders gut, weil der Brennstoff lange Betriebszeiten ermöglicht und Reaktoren damit ihr Potenzial besser ausschöpfen können. Aus dem gleichen Grund setzt übrigens auch die bestehende Leichtwasserreaktorflotte zunehmend auf fortschrittliche Brennstoffe wie etwa unfallresistente Brennelemente, stellt DeWitte fest.
»Es ist wirklich stark, wenn man sich vor Augen führt, dass wir hier einen Brennstoff mit einer so viel höheren Energiedichte haben als die nächstbeste Alternative«, sagt DeWitte. »Er ist die treibende Kraft und der Grund dafür, dass es jetzt eine ganze Welle neuartiger Reaktorentwicklungen gibt. Hinzu kommen all die wirtschaftlichen Vorteile sowie die Emissionsfreiheit, die sich daraus ergeben.« Fortschrittliche Designs wie die Aurora seien einfach, inhärent und passiv sicher – einschließlich Selbststabilisierung – und »dadurch kann man sehr viel im Bereich der Konstruktion tun, das wirklich dabei hilft, die Kosten zu senken«, meint er.
Oklo will die Erfahrungswerte nutzen, die Technologie über über mehrere Generationen weiterentwickeln und dadurch wettbewerbsfähige Kosten von umgerechnet 0,45 Eurocent pro Kilowattstunde erreichen. »Wenn man eine Brennstoffquelle hat, die einem einen Millionen-Dollar-Wettbewerbsvorteil verschafft, dann kann man ganz bestimmt auch wirtschaftlich wettbewerbsfähig sein«, sagt DeWitte. »Und ich denke, wir haben eine ziemlich gute Chance, das zu schaffen.«
Titelbild: Aurora, Oklo Inc.
Übersetzung: Rainer Klute
Sonal Patel ist Senior Associate Editor beim POWER Magazine (@sonalcpatel, @POWERmagazine).
8 Antworten
Ohne dieses Vorhaben einschätzen zu können: Ich freue mich über jeden Fortschritt, jede Diversifizierung der Kernenergietechnik – schon aus psychologischen Grunden (auch wenn es komisch klingt).
Mikroreaktor geistern bereits seit 10 nein seit 15 Jahren durch die Presse und außer Spesen nichts gewesen.
Gut, werte Freunde von Nuklearia und Umfeld, dass nun zum ersten Male (meies Wissens) hier die TRISO-Elemente erwähnt werden. Sie sind ja auch das entscheidende Element des Hochtemperatur- Reaktors mit Kugelbett-Technik (Schulten, Jülich, Hamm, Tsinghua, Shidaowan).
Und diese Technik ist die einzige in der Welt – seit 80 Jahren – mit der dreimal ein GAU absichtlich provoziert wurde, der aber dann sich selbst „gelöscht“ hat. Er fand nicht statt, weil der Neutroneneinfang durch Überhitzung so weit steigt, dass die Kettenreaktion zum Erliegen kommt. Die Nachzerfallswärme kann dann an die Luft abgegeben werden Nach wenigen Stunden (auch Tagen) wurden die zwei Reaktoren weiter betrieben, Der TÜV schaute zu.
Dass die Energiedichte dabei viel geringer ist, als bei Wasser-Reaktoren, ist zwar unschön.Doch gegen einen möglichen GAU gut aufzuwiegen.
findet: Jochen Michels – http://www.gaufrei.de.
Allerdings punktet nicht nur der Kugelhaufenreaktor bei der inhärenten Sicherheit: Auch der natriumgekühlte Schnellreaktor EBR-II hat zwei »Super-GAU«-Tests erfolgreich absolviert. Unter https://youtu.be/Sp1Xja6HlIU gibt es dazu einen knapp 8-minütigen Ausschnitt aus dem Film »Pandora’s Promise« und unter https://www.eurekalert.org/features/doe/2002-02/dnl-psr060302.php etwas für alle, die lieber lesen. Die Konzepte des EBR-II finden sich heute übrigens im PRISM wieder bzw. im Versatile Test Reactor (VTR), den die USA bauen wollen.
der Schwerpunkt meines Kommentars liegt auf den TRISO Elementen. Ob sie bisher schon bei anderen GAU-Tests im Einsatz waren, ist mir nicht bekannt. Da sie den Vorteil haben, auch ihr eigenes „Endlager“ zu sein, halte ich dies für ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.
Endlager sind, wie auch vielfach andernorts erwähnt, sind unnötig. Es genügen Läger, die nur bis zum Abklingen auf Umweltniveau geplant sind. Wir nennen das lieber „Abklinglager“
Vielen Dank Herr Klute, dass Sie auch auf den EBR II verweisen. Mein Kommentar hatte vor allem das TRISO Element im Fokus. Da es bereits sein „Endlager“ enthält, ist es ein entscheidender Unterschied für alle damit betriebenen Reaktoren.
Zum EBR II liegen (mir) leider nur ganz wenige Daten vor, die eine Bewertung bzw. Vergleich ermöglichen. Die seit August 2019 veröffentlichte Vergleichstabelle zeigt daher für diesen Typ viele Leerstellen. Sobald diese einigermassen aussagefähig gefült werden, erlaubt sich eine Gegenügerstellung mit der Kugelbett-Technik. Dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie dies ergänzen würden. Sie sind ja auf Gaufrei.de registriert und finden das unter der Kachel „Reaktoren“ in der ersten Zeile. Beste Grüsse Jochen Michels
Lieber Herr Michels,
alles zum EBR-II finden Sie im Buch »Plentiful Energy – The Story of the Integral Fast Reactor« von Charles Till und Yoon Il Chang. Den 406-Seiter finden Sie auch hier zum kostenfreien Download: http://www.thesciencecouncil.com/pdfs/PlentifulEnergy.pdf.
“This wonderful book by fast reactor pioneers Charles Till and Yoon Chang, two of the foundational developers of the IFR during the fabulously productive years of research and development at the Argonne National Laboratory from the 1980s to early 1990s, explains in lucid terms the historical, philosophical and technical basis for truly sustainable nuclear energy. It’s quite a story.
There is something here for the non-specialist scientist and engineer, but also for the historian, social scientist, and media commenter. It is wrapped up in a grand narrative and an inspiring vision that will appeal to people from all walks of life – indeed anyone who cares about humanity’s future and wants to leave a bright legacy for future generations that is not darkened by the manifold problems associated with extracting and burning ever dwindling and environmentally damaging forms of fossil carbon, like coal, oil and gas.”
Barry W. Brook, Ph.D.
Sir Hubert Wilkins Professor of Climate Change
The University of Adelaide, Australia
Vielen Dank Herr Klute, für das dicke Buch über den EBII. Es würde geraume Zeit dauern, bis ich daraus verantwortbare Schlüsse zum Ergänzen in der Vergleichstabelle ableiten kann. Das – meine ich -gehört auch nicht in meinen Aufgabenkreis. Ich setze mich für den HTR mit Kugelbett-Technik ein. Für den habe ich viele persönliche Quellen und auch einige gedruckte Unterlagen und Internet-Berichte ausgewertet, verifiziert, erörtert und abgewogen. Das kann ich für den EBRII nicht annähernd leisten. Wenn sich niemand anderes findet, werden leider die Leerstellen im Vergleich noch lange leer bleiben. Es sollten sich Personen bemühen, die dieser Technik näher stehen als ich.
Vielleicht gibt es Professoren die so etwas sine ira et studio tun. Für mich wäre es eher eine Art Prävarikation, um mal mit einem rechtilichen Begriff zu hantieren. Das überlasse ich gern Berufeneren.
Beste Grüsse
Jochen Michels