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Innovationen bei Kernbrennstoffen

Viele Innovationen in der Kerntechnik drehen sich um die Einführung einer Kreislaufwirtschaft und die Weiterverwertung nuklearer Reststoffe. Konstantin Vergazov vom russischen Kernbrennstoffhersteller TVEL erläutert, wo sein Unternehmen heute steht und welche Entwicklungen es außerdem vorantreibt.

Wer die Entwicklung neuer Kernreaktortypen verfolgt, stellt fest, dass viele von ihnen einen Beitrag zur Lösung des Atommüllproblems zum Ziel haben. Dazu sollen diese neuartigen Reaktoren die sogenannten »abgebrannten« Brennelemente herkömmlicher Leichtwasserreaktoren als Brennstoff nutzen. Denn was Kernkraftgegner gern als »Atommüll« bezeichnen, enthält noch immer rund 96 Prozent der ursprünglich vorhandenen Energie. Es handelt sich also eigentlich gar nicht um Müll, sondern um einen Energieträger. »Nukleare Wertstoffe« oder »nukleare Reststoffe« wäre wohl die bessere Bezeichnung. Diese Wertstoffe lassen sich als Brennstoff nutzen. Analog zu den Kreisläufen in der konventionellen Abfallwirtschaft spricht man in der Kernenergie von einem geschlossenen Brennstoffkreislauf.

Brennstoffe für neue Reaktortypen

Natürlich kann man gebrauchte Brennelemente aus herkömmlichen Leichtwasserreaktoren nicht unverändert in Reaktoren ganz anderer Typen verwenden. Vielmehr müssen die Brennstoffe mit Hilfe mehr oder weniger komplexer Verfahren extrahiert und aufbereitet werden, um dann zu neuen Brennelementen für neue Reaktoren verarbeitet zu werden.

TVEL ist die Kernbrennstoff-Tochter des staatlichen russischen Nuklearkonzerns Rosatom. Das Unternehmen entwickelt Verfahren zur Kernbrennstoffherstellung und setzt diese auch produktiv ein. Gegenwärtig arbeitet TVEL an einem zweiteiligen Ansatz zum Schließen des Kernbrennstoffkreislaufs. Außerdem entwickelt das Unternehmen unfallbeständige Brennstoffe (“accident tolerant fuel”, ATF) und bringt Innovationen bei Brennstoffen für »klassische« WWER-Anlagen, also Leichtwasserreaktoren, auf den Markt.

In einem Exklusivinterview mit World Nuclear News (WNN) erläuterte Konstantin Vergazov, TVELs Senior-Vizepräsident für Wissenschaft, Technologie und Qualität, kürzlich die Fortschritte in diesen Bereichen. Vergazov sprach am 16. April während des XI. Internationalen Forums Atomexpo 2019 in Sotschi, Russland, mit WNN. Das englischsprachige Original erschien am 30. April 2019 bei World Nuclear News. Wir bringen mit freundlicher Genehmigung der WNN im Folgenden eine deutsche Übersetzung.

Vergazov verwendet eine Reihe von Begriffen, die für den Laien nicht unbedingt verständlich sind. Im Anhang erläutern wir daher die Kernbrennstoffvarianten MOX, vibrokompaktiertes MOX, REMIX und Uran-Plutonium-Mischnitrid ein wenig näher. Außerdem erläutern wir, was es mit unfallbeständigen Kernbrennstoffen auf sich hat.

MOX und REMIX

Im vergangenen Jahr verabschiedete Rosatom eine Strategie mit einem Ausblick auf die nächsten 100 Jahre. Sie basiert sowohl auf schnellen Reaktoren als auch auf thermischen Reaktoren. Dafür entwickelt TVEL Mischoxid- (MOX) und REMIX-Brennstoff, die beide recyceltes Uran zusammen mit Plutonium nutzen. Dies ist der Zwei-Komponenten-Ansatz.

»Wir sind sehr engagiert in diesem Bereich, und im Moment ist das kostenintensiv«, sagte Vergazov. »Das ist aber nur die erste Phase. In Zukunft, wenn wir Plutonium und recyceltes Uran in den Brennstoffkreislauf integriert haben, werden die Brennstoffkosten für die Stromerzeugung sinken.«

Rosatom plant, zunächst kommerzielle Schnellreaktoren zu bauen. »Kein anderes Land hat derzeit eine derartige Technologie in Betrieb«, sagte Vergazov. »Im Sibirischen Chemiekombinat (SCC) in Seversk bauen wir ein Demonstrationszentrum, eine Reaktoranlage, eine Anlage zum Recycling gebrauchter Kernbrennstoffe und eine Fertigungsstätte zur Herstellung von Kernbrennstoffen für den schnellen Reaktor. Dies ist ein F&E-Investitionsprojekt, und wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir sie weltweit auf den Kernenergiemarkt bringen, aber wir werden zunächst in Russland beginnen.«

Der Standort befindet sich »auf einem hohen Niveau der Fertigstellung«, sagte er. »Alle erforderlichen Ausrüstungen für die Brennstofffertigung wurden beschafft und an den Standort geliefert. Die nächste Stufe wird der Bau des schnellen Reaktors BREST-OD-300 sein.«

Nächster Schritt: Bau des bleigekühlten Schnellreaktors BREST-OD-300

Der bleigekühlte Schnellreaktor BREST-OD-300 ist Teil des Rosatom-Projekts Proryv oder Breakthrough (»Durchbruch«), das einen geschlossenen Kernbrennstoffkreislauf ermöglicht. Letztendlich geht es darum, die Entstehung radioaktiver Abfälle bei der Kernenergieerzeugung zu eliminieren. Das Breakthrough-Projekt umfasst ein Brennstofffabrikations- und -aufarbeitungsmodul zur Herstellung von kompaktem Uran-Plutonium-Nitrid-Brennstoff für schnelle Reaktoren, ein Kernkraftwerk mit einem BREST-Reaktor und ein Modul zur Brennstoffwiederaufarbeitung.

Im Dezember letzten Jahres begann TVEL mit der Serienfertigung von MOX-Brennelementen für den natriumgekühlten Schnellreaktor BN-800, der als Block 4 des Kernkraftwerks Beloyarsk in der Region Swerdlowsk gebaut und im Oktober 2016 in Betrieb genommen wurde. Die Kapazität des 789-MWe-Blocks übertrifft die des weltweit zweitstärksten schnellen Reaktors, des 560 MWe starken BN-600 Beloyarsk 3.

Hohe Investitionen in langfristige Strategie

»Doch das sind nur die ersten Schritte auf einem langen Weg«, sagte Vergazov. »Der Bau eines kommerziellen schnellen Reaktors ist einzigartig in der globalen Nuklearindustrie, und der Bau einer neuen Fertigung für die Serienproduktion von MOX-Brennstoffen bedeutet einen gewissen Investitionsaufwand. Aber da unsere Strategie auf 50 bis 100 Jahre ausgerichtet ist, sind wir bereit, heute zu investieren, um in der Zukunft die Früchte zu ernten. Diese Strategie basiert auf der Kosteneinsparung für Kernbrennstoffe, denn durch die Einbeziehung von Plutonium und recyceltem Uran in den Kernbrennstoffkreislauf sparen wir Rohstoffe und erreichen wirtschaftliche Effizienz. Und wir werden auch den nuklearen Abfall aus thermischen Reaktoren – aus WWER-Blöcken – aufbereiten, um daraus Brennstoff für schnelle Reaktoren zu gewinnen.«

Auf die Frage, ob vibrokompaktiertes MOX noch als der richtige Weg nach vorne gesehen wird oder ob die künftige Produktion eher konventionell gesintertes MOX sein wird, sagte Vergazov: »Wir gehen beide Wege und beschränken uns nicht nur auf einen.« Er fügte hinzu: »Obwohl es gewisse Schwierigkeiten mit vibrokompaktiertem Brennstoff bei der Herstellung gibt, halten wir diese Vorgehensweise immer noch für sehr wichtig. Das Herstellungsverfahren ist technologisch komplexer als die klassischen keramischen Brennstoffpellets aus Urandioxid. Wenn wir über den sogenannten MNUP-Brennstoff (“mixed nitride uranium-plutonium fuel”, Uran-Plutonium-Mischnitrid-Brennstoff) sprechen, dann ist das eine Nitrattechnik. Wir haben probeweise eine Reihe solcher Brennelemente hergestellt, und sie werden derzeit in den schnellen Reaktor BN-600 geladen. Außerdem haben wir eine Machbarkeitsstudie über die Sicherheit und die Zuverlässigkeit zur Reaktorkernausnutzung durchgeführt.«

Der TVEL-Standort in Seversk kümmert sich zwar um MNUP-Brennstoff, könnte aber eines Tages auch MOX-Brennstoff produzieren, sagte Vergazov. Im Juni 2016 belud Rosatom Block 3 des Kernkraftwerks Balakovo in der Region Saratow, einen WWER-1000-Reaktor, mit drei experimentellen REMIX-Brennelementen, nachdem die Regulierungsbehörde Rostechnadzor eine Genehmigung dazu erteilt hatte.

»Damit läuft alles gut«, sagte Vergazov, »und wir haben dieses Jahr entschieden, dass wir einen dritten Zyklus anhängen, wobei jeder Zyklus 18 Monate dauert.«

Internationale Vermarktung von REMIX-Brennstoff braucht nationale Tests

Außerdem verlängert TVEL die Bestrahlung von REMIX (“regenerated mixture”, aufbereitete Mischung) im MIR-Forschungsreaktor der Kernforschungszentrum RIAR in Dimitrovgrad. »Wir machen dazu sehr detaillierte Studien. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber sobald es beendet ist, werden wir offiziell über die Ergebnisse informieren. Das ist eine neue Erfahrung für uns, und gegenwärtig schauen wir uns die vorläufigen Ergebnisse an.«

Über die Pläne für einen [kommerziellen natriumgekühlten, Anm. d. Übers.] Schnellreaktor vom Typ BN-1200, für den bereits 2027 als Fertigstellungsdatum gehandelt worden war, sagte Vergazov: »In nächster Zeit werden wir diese Idee am Standort in Seversk untersuchen, wo wir das Demonstrationszentrum und den Energiekomplex bauen. Es gibt aber noch keine offizielle Entscheidung, weder zum Bau dieses Reaktors noch zu den Investitionen in diese Anlage. Im Rahmen unserer 100-Jahres-Strategie haben wir mit Natrium und Blei als Kühlmittel zwei Optionen, auf welche Weise wir die Schnellreaktortechnik weiterentwickeln können.«

Auf die Frage, wann REMIX kommerziell verfügbar sein werde, sagte Vergazov, dass TVEL alle nötigen Studien zum Einsatz des gemischtem Uran-Plutonium-Brennstoffs abgeschlossen habe – und zwar nicht nur in Schnellreaktoren, sondern auch in den Reaktorkernen konventioneller thermischer Einheiten. »Wir haben Bestrahlungstests im Kernkraftwerk Balakovo durchgeführt, um die Ergebnisse dieser Studien zu bestätigen. Aber es muss uns auch klar sein, dass die Einbeziehung von Plutonium in den Kernbrennstoffkreislauf Auswirkungen auf den gesamten Brennstoffkreislauf haben wird, auch im Backend. Sowohl recyceltes Uran als auch Plutonium erscheint sehr attraktiv, aber es erfordert unterschiedliche Herangehensweisen beim Umgang mit den Uran- und Plutonium-Abfällen und mit den gebrauchten Brennstoffen, und zwar sowohl beim Recycling als auch bei der Endlagerung.

»Deshalb haben wir noch keine endgültige Entscheidung über die Produktion von REMIX-Brennstoff getroffen. Wir sind in einem F&E-Prozess. Wir haben es nicht eilig, mit der Kommerzialisierung von REMIX zu beginnen. Zuerst wollen wir unsere Ideen in russischen Reaktoren hier in Russland testen, denn um eine technische Innovation zu kommerzialisieren, müssen Sie dem Kunden nachweisen können, dass sie funktioniert. Und auch der grenzüberschreitende Transport von Plutonium ist ein Thema, das es zu lösen gilt. Nicht, dass das nicht machbar wäre, aber es ist eine heikle Angelegenheit, die einen besonderen Ansatz erfordert.«

Andere Länder könnten die Technologie eines Tages mit ihrem eigenen Plutonium nutzen, solange sie zu den Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags gehören.

Das Verfahren könne möglicherweise ohne Modifikationen in einem Standarddruckwasserreaktor eingesetzt werden, sagte er, »aber zuerst müssen wir sehr genau und präzise unsere Studien, Bestrahlungs- und Nachbestrahlungstests hier in Russland durchführen und zuerst auf dem Heimatmarkt testen. Um die Technologie einem ausländischen Kunden anbieten zu können, müssen wir zunächst selbst hundertprozentig robuste Erfahrung damit gewinnen.«

China hat beschlossen, einen schnellen Reaktor – den CFR-600 – zu bauen und möchte, dass die Technologie aus China stammt, sagte Vergazov und fügte hinzu, dass TVEL den Brennstoff dafür herstellen wird. »Dieser Brennstoff befindet sich derzeit in der Entwicklung, und sobald die abgeschlossen ist, wird TVEL mit der Herstellung im Maschinenbaubetrieb Elektrostal beginnen«, sagte er. »Für unsere chinesischen Partner ist das eine völlig neue Erfahrung, und wir wünschen ihnen viel Erfolg damit. Das würde bedeuten, dass unsere Strategie zur Einbindung schneller Reaktoren nicht nur in Russland funktioniert, sondern weltweit umgesetzt werden kann. Für die gesamte internationale Industrie wird das China-Projekt ein gutes Referenzmodell sein, das beweist, dass diese Strategie funktioniert.«

Unfallbeständiger Brennstoff

TVEL arbeitet gleichzeitig an vier Optionen für unfallbeständigen Brennstoff (ATF), und alle werden im MIR-Reaktor in Dimitrovgrad bestrahlt. Die »revolutionärste« Lösung ist die nichtzirkonische Ummantelung, sagte Vergazov.

Von den vier Optionen betreffen zwei das Hüllmaterial: eine mit einer Beschichtung der Zirkoniumhülle, eine andere mit einer Nicht-Zirkoniumhülle, nämlich einer Chrom-Nickel-Legierung. Zwei weitere Optionen betreffen die Brennstoffmatrix: einmal klassisches Urandioxid, zum anderen eine Uran-Molybdänlegierung. Eine weitere mögliche Option, so Vergazov, sei eine Uran-Siliziummatrix (Uransilicid).

»Im Januar haben wir die experimentellen Brennelemente für die ersten Zyklen in den Reaktor geladen. Ein Brennelement ist für einen klassischen WWER-Reaktor, ein anderes für einen [westlichen, Anm. d. Übers.] Druckwasserreaktor. Jedes Brennelement hat Brennstäbe mit vier verschiedenen Kombinationen aus Hüllmaterial und Brennstoffmatrixmaterial, und deshalb sagen wir, dass jetzt alle vier Optionen bestrahlt werden. Wir testen sie gleichzeitig mit unterschiedlichen Wasserkreisläufen«, sagte er.

Auf die Frage, welche ausländische ATF-Technologie er am interessantesten fände, sagte er: »Wir wissen, dass man auch Uran-Silizium-Brennstoff testet und Beschichtungen ohne Zirkonium hinzufügt. So wie andere Global Player versuchen wir, Brennstabummantelungen aus einem Siliziumcarbid-Material herzustellen.«

Jedes dieser experimentellen Brennelemente enthält 24 Brennstäbe mit unterschiedlichen Materialkombinationen, die im MIR-Reaktor unter möglichst betriebsnahen Bedingungen getestet werden, einschließlich der Kühlmittelparameter von WWER und [Anmerkung des Übersetzers: westlichen] Druckwasserreaktoren. Das Design des Forschungsreaktors ermöglicht parallele Studien in separaten Kühlkreisen, was angesichts der gleichzeitigen Brennstoffprüfung für Reaktoren russischer und ausländischer Bauart besonders wichtig ist.

Brennstoff für WWER-1000-Reaktoren

TVEL hat für WWER-1000-Reaktoren eine Brennelementlinie der »vierten Generation« entwickelt, die TVS-4. Diese Brennelemente mit erhöhter Kapazität und fortschrittlicher Auslegung dürften die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Kernkraftwerken deutlich verbessern und zugleich dasselbe Maß an Sicherheit bieten, sagt das Unternehmen. Auf diese Weise könne der Brennstoffanteil an den Stromgestehungskosten von Kernkraftwerken um 2 bis 4 Prozent gesenkt werden. In europäischen Kernkraftwerken mit WWER-Reaktoren werden diese Brennelemente der vierten Generation eingeführt – im vergangenen Jahr wurde die dritte Charge TVSA-12 in die Kozloduy-Reaktoren in Bulgarien geladen und die erste Charge TVSA-T.mod.2-Brennelemente im Kernkraftwerk Temelín in der Tschechischen Republik. TVEL plant, Brennelemente der vierten Generation auch in andere Länder zu liefern.

TVEL ist auch bereit, Brennstoff mit einer Anreicherung von mehr als 5 Prozent (im Vergleich zu derzeit 4,85 Prozent) einzuführen. Sie wird es Kernkraftwerken ermöglichen, zu einem 24-monatigen Brennstoffzyklus überzugehen, das heißt, ein Reaktor braucht nur alle zwei Jahre zum Brennelementwechsel heruntergefahren zu werden, nicht mehr wie bisher alle anderthalb Jahre.

Rosenergoatom, die Kernkraftwerksbetreiber-Tochter von Rosatom, hat ihre WWER-1000 bereits vom 12-monatigen Brennstoffzyklus auf einen 18-monatigen umgestellt. Dasselbe ist für die WWER-1200-Reaktoren geplant.


Anhang

MOX

MOX steht für »Mischoxid-Brennstoff«. Das ist Kernbrennstoff, der aus Uranoxid und Plutoniumoxid besteht, möglicherweise auch aus weiteren Transuranoxiden.

Kernbrennstoff besteht üblicherweise anfänglich überwiegend oder ganz aus Urandioxid. Allgemein wird seine Qualität mit dem Anreicherungsgrad des thermisch (siehe unten) spaltbaren Isotops Uran-235 angegeben. Stammt das Uran aus der Wiederaufarbeitung, gibt man zusätzlich an, wie viel der unerwünschten Uran-Isotope 234 und 236 enthalten sind. Der Anreicherungsgrad variiert in der Praxis für kommerzielle leichtwasser- oder graphitmoderierte und wassergekühlte Reaktoren im engen Bereich von 4 bis 5 Prozent. Ein Ausnahmefall sind Schwerwasserreaktoren, auf den hier nicht eingegangen wird.

Natururan besteht zu 0,72 Prozent aus Uran-235. Um 4 bis 5 Prozent Uran-235 in der Anfangzusammensetzung des Urandioxids zu erhalten, muss es angereichert werden. Dies ist ein wichtiger Kostenfaktor bei der Herstellung von Kernbrennstoff.

Unterschiedliche Qualitäten von Mischoxid-Brennstoffen

Auch das Plutonium besitzt je nach Isotopenzusammensetzung eine bessere oder schlechtere Qualität bezüglich seiner Spaltbarkeit im thermischen Neutronenspektrum. Je höher der Anteil der geradzahligen Plutonium-Isotope 238, 240 und 242 ist, desto schlechter ist seine Qualität. Und je öfter dasselbe wiedergewonnene Plutonium in thermischen Reaktoren als Brennstoff dient und wiederaufbereitet wird, desto mehr verschlechtert sich das nicht gespaltene restliche Plutonium für den nächsten Zyklus in einem thermischen Reaktor. Für die Verwendung in schnellen Reaktoren ist dieser Zusammenhang jedoch kaum von Relevanz.

Die Anreicherung mit höheren Plutonium-Isotopen führt durch diverse Prozesse außerdem zur Entstehung und Anreicherung sogenannter minorer Actiniden. Das sind Elemente mit höheren Ordnungszahlen als Plutonium, insbesondere Neptunium, Americium, Curium, seltener Californium. Diese Elemente entstehen während des Reaktorbetriebs immer zu einem gewissen Teil durch Neutroneneinfang. Dabei führen insbesondere Americium-Isotope aus diversen neutronenphysikalischen und chemisch-materialwissenschaftlichen Gründen zu Komplikationen in der weiteren Verwendung.

Warum ist gerade die Anreicherung mit Uran-235 interessant? Warum bezieht sich die Qualität des Plutoniums sich auf die thermisch spaltbaren Isotope? Das liegt an der Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl der heute bestehenden Kernreaktoren mit langsamen Neutronen arbeiten. Diese Neutronen wurden abgebremst (»moderiert«). Ihre Energien liegen bei der sogenannten thermischen Energie. Im Gegensatz dazu arbeiten schnelle Reaktoren in einem Neutronenspektrum, welches um viele Größenordnungen energiereicher ist als das thermische Spektrum. Je nach einfallender Neutronenenergie und je Zielisotop unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten für Kernreaktionen (Kernspaltung, Neutroneneinfang usw.) um Größenordnungen.

Energiereiche Neutronen spalten auch geradzahlige Isotope

Diese Tatsache hat weitreichende Konsequenzen. Im thermischen und angrenzenden Energiebereichen sind die Wahrscheinlichkeiten für die Spaltung geradzahliger Isotope von Uran, Plutonium und der weiteren Actiniden entweder sehr niedrig oder praktisch null. Das ändern sich ab einer Energie von ca. 0,1 bis 1 Megaelektronenvolt (MeV), dem Anfang des »schnellen« Bereichs. Dann beginnen nämlich die Kernspaltungswahrscheinlichkeiten auch bei den thermisch nicht spaltbaren Isotopen signifikant zu steigen. In der Kerntechnik unterscheidet man daher sehr deutlich zwischen thermischen und schnellen Reaktoren.

Ein Großteil des sogenannten Atommülls besteht aber gerade aus thermisch nicht spaltbaren Isotopen der Actiniden. Vielen kerntechnische Experten favorisieren daher schnelle Reaktoren für zukünftige Reaktorentwicklungen.

Schnelle Reaktoren wurden in Vergangenheit und Gegenwart erfolgreich entwickelt und betrieben. Das beste Beispiel eines sich aktuell im Betrieb befindlichen schnellen Reaktors in kommerzieller Größe ist der BN-800 im russischen Kernkraftwerkskomplex Belojarsk.

REMIX

REMIX ist eine in Russland entwickelte spezielle Variante von MOX. Üblicherweise enthält MOX aus der Wiederaufarbeitung gewonnenes Uran. Dieses besteht zu etwa 99 Prozent aus Uran-238, welches mit Neutronen thermischer Energie nicht spaltbar ist, und zu etwa 1 Prozent aus dem thermisch spaltbaren Uran-235. Ergänzt wird dieses Uran um Plutonium, das ebenfalls aus der Wiederaufarbeitung stammt. Insgesamt kommt man dadurch beim Leichtwasserreaktorbrennstoff auf etwa 5 Prozent thermisch spaltbarer Schwermetalle. Bei Brennstoff für schnelle Reaktoren liegt der spaltbare Anteil sehr viel höher, er beträgt nämlich bis zu etwa 20 Prozent.

Der REMIX-Brennstoff enthält weniger Plutonium. Stattdessen wird der Uran-235-Anteil durch Zugabe angereicherten Urans erhöht. So kommt man insgesamt wiederum auf 5 Prozent thermisch spaltbares Schwermetall. REMIX hat zwei Vorteile: Erstens lässt sich dadurch eine schlechtere Plutoniumqualität in thermischen Reaktoren nutzen. Zweitens kann man REMIX-Brennstoff auch in Reaktoren einsetzen, deren reaktorphysikalische Auslegung für normales MOX nicht geeignet ist. Nachteilig ist allerdings, dass REMIX-Brennstoff zum Verwerten derselben Menge Plutoniums größere MOX-Produktionskapazitäten erfordert. Außerdem muss vergleichsweise teures angereichertes Uran hinzugefügt werden.

Vibrokompaktiertes MOX

Vibrokompaktiertes MOX ist eine spezielle Herstellungsvariante von MOX. Normalerweise wird oxidischer Kernbrennstoff hergestellt, indem der Brennstoff zu keramischen Pellets gesintert wird, die anschließend in ein Hüllrohr gefüllt werden. Der Durchmesser der Pellets muss innerhalb enger Toleranzen mit dem Hüllrohr-Innendurchmesser übereinstimmen. Bei vibrokompaktiertem MOX wird der Brennstoff einfach in Pulverform in das Hüllrohr gefüllt und dann durch externe Vibration  im Hüllrohr selbst kompaktiert. Das ermöglicht eine einfachere automatisierte Massenproduktion. Schwierigkeiten gibt es aber vor allem bei Brennstäben, die im Vergleich zu ihrem Durchmesser lang sind, etwa Brennstäbe für Druckwasserreaktoren. Deshalb ist das Verfahren bisher nicht sehr verbreitet. Eine einfache, automatisierte Herstellung der MOX-Brennstäbe ist sehr wichtig, denn die übliche, teilweise manuelle, Herstellung in Handschuhkästen ist aus Strahlenschutzgründen problematisch, arbeitsintensiv und teuer.

Uran-Plutonium-Mischnitrid

Uran-Plutonium-Mischnitrid, (U,Pu)N, ist eine Alternative zu MOX und eignet sich aufgrund seiner höheren Dichte und Wärmeleitfähigkeit sowie seiner chemischen Eigenschaften vor allem für den Einsatz als Kernbrennstoff in flüssigmetallgekühlten schnellen Reaktoren. Die höhere Dichte hat wünschenswerte neutronenphysikalische Konsequenzen; die höhere Wärmeleitfähigkeit führt zu signifikant besseren Sicherheitseigenschaften.

Unfallbeständiger Brennstoff

Unfallbeständiger Brennstoff (accident tolerant fuel, ATF) ist spezieller Kernbrennstoff für wassergekühlte Reaktoren, der sich in verschiedenen Unfallszenarien günstiger verhalten soll als herkömmlicher. Vor allem soll ATF erst bei höheren Temperaturen schmelzen. Das erhöht den Abstand zwischen der regulären Betriebstemperatur der Brennelemente und ihrem Schmelzpunkt deutlich, so dass bei einem Ausfall der Kühlung mehr Zeit bleibt, um Gegenmaßnahmen zu treffen. Außerdem soll ATF zu einer verzögerten chemischen Reaktion mit dem Kühlwasser führen, so dass bei einer Kernschmelze nur in einem geringeren Umfang explosionsgefährlicher Wasserstoff entsteht – idealerweise gar keiner. Dies wird durch neue Hüllrohr-Materialien oder -Beschichtungen erreicht. Eventuell kommt auch eine neue Brennstoffmatrix anstelle von Uranoxid zum Einsatz, zum Beispiel Uran-Silizium-Verbindungen.

Neben diesen Sicherheitsvorteilen kann die Entwicklung von ATF auch wirtschaftliche Vorteile bringen. So kann ATF höhere Abbrände erlauben, den Brennstoff also besser ausnutzen. Er kann billiger in der Produktion sein und Brennstoffvarianten für fortschrittliche Reaktoren den Weg ebnen.

Angestoßen wurde die Entwicklung von ATF in den USA nach den Unfällen in Fukushima-Daiichi. Neben TVEL arbeiten auch der französische Kernbrennstoffhersteller Framatome, die US-Hersteller Westinghouse und General Atomics sowie Global Nuclear Fuel (General Electric, Hitachi) an der Entwicklung von ATF. Verschiedene Typen unfallbeständiger Brennstoffe sind bereits testweise in Leistungsreaktoren im Einsatz.


Titelbild: TVEL, Uran-Anreicherung

Teile dieses Beitrags erschienen im englischsprachigen Original am 30. April 2019 bei World Nuclear News.

7 Antworten

  1. Veröffentlicht am 2019-05-30 von Rainer Klute
    „Aber da unsere Strategie auf 50 bis 100 Jahre ausgerichtet ist, sind wir bereit, heute zu investieren, um in der Zukunft die Früchte zu ernten.“

    Hallo Herr Rainer Klute,
    da sind die PV-Leute schneller innerhalb von einem Tag ist eine kleine PV-Anlage aufgebaut und kommen die ersten kWh.

    Das mit der Strategie auf 50 bis 100 Jahre ist da doch etwas lächerlich bei schnell sich verändernden Stromsektor, Strommarkt.

    1. Schön und gut, allerdings haben Sie dann lediglich eine Solaranlage. Wenn Sie einen Lkw brauchen, hilft es Ihnen ja auch nichts, wenn Ihnen jemand ein Fahrrad hinstellt.

      1. Hallo Herr Rainer Klute,
        wenn Sie einen Lkw brauchen, hilft es Ihnen ja auch nichts, wenn der erst in 50 oder 100 Jahren fertiggestellt wird.
        Das Fahrrad hat man innerhalb von einem Tag hinstellt.

        Ist nur fraglich ob die Leute, der Einzelne einen Lkw braucht, denen recht auch ein Fahrrad.

        1. Wenn ich auf einen Lastwagen 50 oder 100 Jahre warten muss, dann würde ich mich nach einem anderen Lieferanten umschauen. Und wenn aus politischen Gründen keine neuen Lastwagen mehr zugelassen werden, dann wird es höchste Zeit, die Politik zu ändern.

          Jedenfalls könnte ich – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil meines Umzugs mit dem Fahrrad erledigen. Schrankwand, E-Herd und Waschmaschine bleiben da außen vor. Das ginge auch nicht mit 100 Fahrrädern, selbst wenn die Sonne scheint und der Wind weht.

          Ein Fahrrad hat einen bestimmten Einsatzbereich, für den es gut geeignet ist. Ich bin selbst passionierter Radfahrer und habe noch nie ein Auto besessen. Aber ich weiß um seine Grenzen und fahre daher auch mit öffentlichen Verkehrsmittels oder miete ein Auto, bei Bedarf auch einen Lastwagen.

          Wer glaubt, erneuerbare Energien sein für alles geeignet, kommt wir vor wie manch einer, der einen Hammer hat: Für ihn sieht alles wie ein Nagel aus.

  2. Nuklearia veröffentlicht am 30.5.2019:
    „Über die Pläne für einen [kommerziellen natriumgekühlten, Anm. d. Übers.] Schnellreaktor vom Typ BN-1200, für den bereits 2027 als Fertigstellungsdatum gehandelt worden war, sagte Vergazov: »In nächster Zeit werden wir diese Idee am Standort in Seversk untersuchen, wo wir das Demonstrationszentrum und den Energiekomplex bauen.“

    Und was muss man jetzt aus Russland so vermelden ?
    Nichts bis 2027 mit dem BN-1200 sehen ob das 2035 klappt?

    „Gemäß dem Protokoll des Energieministeriums ermöglicht Rosatom die Möglichkeit, die Inbetriebnahme des Blocks BN-1200 im Kernkraftwerk Belojarsk über das Jahr 2035 hinaus zu verschieben“

    https://www.kommersant.ru/doc/4074420

  3. Sehr geehrter Herr Klute
    Ich war selbst Atomkraftgegner, aber die Zeiten für einen co2 ausstieg wurden politisch verschlafen. Wenn die Technologie der Natrium gekühlten schnellen Brüter unsere resturanmüllvorkommen reduzieren und auch deren Halbwertszeit, darf keine weitere Zeit verschlafen werden dies den Bürgern und den Politikern klar zu machen. Sollte diese Technologie unser Klima retten können, dürfen sie da nicht noch 50 Jahre warten!

    dieter dangel

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