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Sanmen 1: Erster AP1000-Reaktor geht in Betrieb
Sanmen 1: Erster AP1000-Reaktor geht in Betrieb
Veröffentlicht am 2018-06-25
Von Dominic Wipplinger
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Am 21. Juni 2018 wurde der erste AP1000, ein Kernreaktor der Generation III+ von Westinghouse Electric, im chinesischen Kernkraftwerk Sanmen erstmals kritisch, zwei Wochen nach der Erstkritikalität des ersten EPR des französischen Konkurrenten Framatome. Der Reaktor ist mit Erreichen der ersten selbsterhaltenden nuklearen Kettenreaktion nach dem WWER-1200/392M im Kernkraftwerk Nowoworonesch II, dem WWER-1200/491 im Kernkraftwerk Leningrad II und dem EPR im Kernkraftwerk Taishan der dritte Reaktortyp der neuen Generation III+, der den Betrieb aufnimmt. Westinghouse unterstrich diesen Meilenstein am selben Tag mit dem Beginn der ersten Kernbrennstoffbeladung in einem weiteren AP1000-Reaktor, nämlich Block 1 des Kernkraftwerks Haiyang, ebenfalls in China.

Lange Bauzeit trotz modularer Bauweise

Die Erstkritikalität des 1.251 MW starken Reaktorblocks beendet eine mehr als 9 Jahre lange Bauzeit, die von zahlreichen Verzögerungen geprägt war. Eigentlich sollte der AP1000 durch seine modulare Bauweise ähnlich einem Fertighaus eine sehr kurze Bauzeit ermöglichen. Wie das geht, zeigten die ABWR-Blöcke (Advanced Boiling Water Reactor, weiterentwickelter Siedewasserreaktor) im japanischen Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa: Durch ihre modulare Bauweise konnten sie nach einer Bauzeit von unter 4 Jahren den Betrieb aufnehmen. Auch für Sanmen war ursprünglich eine Bauzeit von gut 4 Jahren vorgesehen. Ähnlich wie beim EPR machte sich allerdings auch hier die bei Westinghouse verlorengegangene Erfahrung im Bau von Kernkraftwerken bemerkbar. In Kombination mit einem völlig neuen Reaktordesign dauerte der Bau doppelt so lange wie geplant. Es bleibt zu hoffen, dass Folgeprojekte schneller und günstiger realisiert werden können.

Passives Sicherheitssystem kühlt ohne Strom

Westinghouse setzt beim AP1000 auf ein innovatives, passives Sicherheitskonzept, welches selbst die schwersten anzunehmenden Störfälle ohne Notstromversorgung beherrscht. Das neue Design macht zudem zahlreiche sicherheitsrelevante Komponenten überflüssig. Das sparte die Kosten ein, die mit der Lizenzierung dieser Komponenten verbunden gewesen wären – und natürlich die Kosten dieser Komponenten selbst.

Das Containment des AP1000 verfügt über ein passives Notkühlsystem, das ohne Strom funktioniert. Ein Kernreaktor produziert auch nach Abschalten der nuklearen Kettenreaktion durch den Zerfall radioaktiver Spaltprodukte weiterhin Wärme, die sogenannte Nachzerfallswärme. Sie muss kontinuierlich abgeführt werden. In »normalen« Kernkraftwerken erledigen das aktive Sicherheitssysteme. Die sind allerdings auf eine funktionierende Stromversorgung angewiesen. Im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi waren sämtliche unabhängige Stromversorgungssysteme durch Erdbeben und Tsunami ausgefallen. Dadurch ließen sich die Reaktorkerne nicht mehr kühlen, und es kam zu drei Kernschmelzen.

Mit dem AP1000 wäre es dank seines passiven Notkühlsystems nicht soweit gekommen, denn dieser Reaktor kann die Nachzerfallswärme über die Wände an die Atmosphäre abgeben. Das funktioniert so: Zwischen dem Reaktorgebäude (Schildgebäude), welches das Containment vor äußeren Einwirkungen schützt, und dem Containment selbst befindet sich der sogenannte Ringspalt. Durch diesen kann kalte Luft von draußen an der Stahlwandung des Containments nach oben entlangströmen und dort weiter ins Freie gelangen. Dieser Luftstrom kühlt das Containment bei Störfällen passiv.

Wassertank reicht für drei Tage

Unterstützt wird das bei Bedarf durch Besprühen des Containments mit Wasser. Zu diesem Zweck befindet sich auf dem Dach des Schildgebäudes ein großer Wassertank (Passive Containment Cooling Ancillary Water Storage Tank). Auch dieser Vorgang funktioniert ohne Strom, da das Wasser einfach durch die Schwerkraft auf das Containment fließen kann. Es dauert drei Tage, bis dieser Tank leer ist. Innerhalb dieses Zeitraums ist zur Beherrschung diverser Störfälle keine (Not-)stromversorgung erforderlich, und es bleibt viel Zeit, die Stromversorgung wiederherzustellen.

Abb. 1: Passive Kühlung des AP1000. Quelle: Nucleopedia

Im Normalbetrieb erfolgt die Kühlung des Reaktors über den Primärkreis. Er leitet das im Reaktorkern erhitzte Kühlmittel Wasser zu den Dampferzeugern, wo es Wärme abgibt, und wieder zurück zum Reaktorkern. Bei einem Störfall mit Stromausfall, aber intaktem Primärkreis, gibt Letzterer die Nachzerfallswärme innerhalb des Containments über einen Wärmetauscher an das Flutbecken ab. Das dort verdampfende Wasser kondensiert an den kühlen Wänden des Containments und fließt wieder zurück in das Flutbecken. So wird eine passive Kühlung sichergestellt.

Bei einem Kühlmittelverluststörfall, spricht: im Primärkreis tritt ein Leck auf, gleichen zunächst passive Druckspeicher den Wasserverlust im Primärkreis aus. Sinkt der Druck im Primärkreis in Folge des Lecks bis auf den Druck der Containment-Atmosphäre ab, fließt über ein passives Ventil Wasser aus dem Flutbecken in den Reaktor. Da das Flutbecken laufend über das an der Wand des Containments kondensierende Wasser nachgefüllt wird, stellt sich auch hier ein passiver Kühlkreislauf ein, der den Kern sicher kühlt.

Um bei kleinen Kühlmittelverluststörfällen zu verhindern, dass der Primärkreis trockenfällt, bevor der Druck weit genug abgesunken ist, um den Primärkreis passiv über das Flutbecken zu bespeisen, kann man den Primärkreis in solch einem Fall mit Hilfe von Sprengventilen druckentlasten. Deren Betätigung erfordert nur einen kleinen Stromimpuls zur Zündung, sodass für die nötige elektrische Energie batteriegestützte Notstromsysteme völlig ausreichen. Sollte es trotz allem zu einer Kernschmelze kommen, kann die Reaktorgrube über Motor- oder Sprengventile mit Wasser aus dem Flutbecken gefüllt werden. Der Reaktordruckbehälter wird damit von außen gekühlt, was ein Durchschmelzen verhindert.

Westinghouse-Pleite beeinträchtigt AP1000-Geschäft

Außerhalb Chinas befinden sich derzeit zwei AP1000-Blöcke im Bau, und zwar im Kernkraftwerk Vogtle (USA). Weitere Großprojekte sind in Planung. Das größte unter ihnen ist das 6.000 MW starke Kernkraftwerk Kovvada in Indien, für das der nötige Landkauf vor wenigen Wochen abgeschlossen wurde. Ebenfalls verhandelt die Türkei den Bau von zwei AP1000 und zwei CAP1400 am Standort İğneada.

Allerdings beeinträchtigte die Insolvenz von Westinghouse die Aussichten für den Bau weiterer AP1000-Blöcke beträchtlich. So wurde der Bau von zwei Blöcken im Kernkraftwerk V.C. Summer in den Vereinigten Staaten abgebrochen, ebenso die Planungen für drei Blöcke im Kernkraftwerk Moorside im Vereinigten Königreich.

Die Inbetriebnahme von Sanmen 1 könnte der Vermarktung des Reaktortyps neuen Schwung verleihen und das Geschäft von Westinghouse neu beflügeln.

AP1000 in China durch chinesische und russische Reaktoren unter Druck

Westinghouse war 2006 als Sieger einer Ausschreibung für den Bau von bis zu sechs Blöcken am Kernkraftwerksstandort Sanmen hervorgegangen und hatte auch die Ausschreibung von sechs Blöcken im Kernkraftwerk Haiyang gewonnen. Damit verbunden hatte Westinghouse einem Technologietransfer an die China State Nuclear Power Technology Company (SNPTC) zugestimmt. Das chinesische Unternehmen darf den AP1000 unter Lizenz von Westinghouse in Serie bauen, jedoch nicht im Ausland vermarkten.

Die für China angepasste Variante des AP1000 mit 50-Hz-Pumpen, lokalisierter Automatisierung usw. heißt CAP1000 (China Advanced Passive 1000). China darf den CAP1000 für 15 Millionen Euro Lizenzkosten pro Block selbst errichten. Allerdings legt eine vertragliche Sperrklausel eine Leistungsobergrenze von 1.350 MW für alle abgewandelten Reaktordesigns fest Das motivierte China dazu, den 1.400 MW starken CAP1400 zu entwickeln. Der erste Reaktor dieses Typs steht kurz vor seinem Baubeginn im Kernkraftwerk Shidaowan.

Seit 2010 gingen mehrere Dutzend Kernkraftwerksprojekte mit CAP1000-Reaktoren in Planung. Heute geht der Trend jedoch eher dahin, statt des CAP1400 den von China komplett selbstentwickelten und mittlerweile zur Marktreife gebrachten Hualong One (HPR-1000) einzusetzen. Im Kernkraftwerk Xudabao, das ursprünglich mit sechs CAP1000-Reaktoren geplant war, wurde erst kürzlich der Bau des dritten und vierten Blocks an Russland vergeben, das dort zwei WWER-1200 errichten soll. Westinghouse ließ diese Entscheidung Chinas unkommentiert.

Hintergrund ist auch eine Weisung der chinesischen Atomaufsichtbehörde, die den Bau weiterer CAP1000-Blöcke untersagte, bis die ersten beiden Referenzeinheiten Sanmen 1 und Haiyang 1 in Betrieb seien. Dennoch liefen die Arbeiten an zwei weiteren Standorten weiter: Die Bauvorbereitungen für die CAP1000-Blöcke Xudabao 1 und 2 sowie Lufeng 1 und 2 sind weit genug gediehen, dass nach der erfolgreich abgeschlossenen Inbetriebnahme von Sanmen 1 der Bau dieser Blöcke beginnen kann.

Literatur


Titelbild: Kernkraftwerk Sanmen, China. Quelle: Westinghouse


Dominic Wipplinger

Dominic Wipplinger studiert Elektrotechnik und ist in der Österreichischen Kerntechnischen Gesellschaft sowie in der Nuklearia aktiv. Er hat bereits in etlichen Kernkraftwerken als Messtechniker gearbeitet.

Kategorien
Reaktortypen
Michael Anschütz sagt:

Guter Artikel.

Da Sie als Messtechniker in vielen (in süddeutschen?) AKW´s gearbeitet haben,
erlaube ich mir, zwei Fragen zu stellen:

1) Es fühlt sich so an, als ob die deutsche Atomindustrie sich selber schon aufgegeben hat – sterbende Industrie. Auf meine Mails hat sie gar nicht mehr reagiert.
Ist denn überhaupt noch eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen 7 bzw. 6 deutschen AKW´s realistisch? Ist noch genügend Know how vorhanden?
Philippsburg 2 wird wohl planmäßig nächstes Jahr heruntergefahren.
Sollten die anderen 6 abgeschaltet werden, droht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Black-Out – Lastabwurf – Lücke zwischen Stromangebot und -nachfrage kann dann nicht mehr geschlossen werden –
wahrscheinlich in der Dunkelflaute Januar oder Februar oder windstille Hitze im Juli/August.
2) Wie viele hochqualifizierte Menschen sind für den Betrieb eines AKW nötig (von mir geschätzt ca. 40-60), andere (z.B. Elektrikermeister) können ersetzt werden.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir antworten werden.

Dominic Wipplinger sagt:

1) Ja, die deutsche Atomindustrie hat sich weitgehend aufgegeben. Auf Seiten der Hersteller ist nicht mehr viel da. Viele bekannte Firmen in dem Bereich existieren nicht mehr (etwa Interatom, HTRB), andere haben ihre Nuklearsparte an einen ausländischen Konzern verkauft welcher ihre Tätigkeit zunehmend ins Ausland verlagert oder verlagert hat (etwa Siemens-KWU). Die Energieversorger haben auch jede Hoffnung und jegliche Lobbyarbeit für den Weiterbetrieb ihrer KKW aufgegeben. Speziell Preussen Elektra (Eon) hat überhaupt praktisch jegliche Öffentlichkeitsarbeit aufgegeben. Auch beim Personal herrscht eine gewisse Untergangsstimmung und fehlende Hoffnung. Jeder denkt primär darüber nach wie es mit der eigenen Karriere nach dem Ausstieg weiter geht (oder darüber wie hoch die Pension ausfallen wird) aber kaum jemand ist bereit irgendeine politische Initiative zu ergreifen bzw. mitzutragen um den Ausstieg doch noch abzuwenden.

2) Für den Betrieb eines deutschen KKW sind in der Regel etwa 70 Personen mit einer Kerntechnischen Spezialqualifikation zusätzlich zu einem normalen Studium bzw. einer Lehrer erforderlich. Diese Personen sind tatsächlich relativ schwer zu ersetzen weil man sie zunächst einige Monate oder sogar Jahre ausbilden muss bevor sie ihren Beruf ausüben können.

Michael Anschütz sagt:

Vielen Dank Herr Wipplinger,

die Antwort ist ehrlich, mit einer unbeantworteten Frage:
Wäre eine Laufzeitverlängerung noch möglich oder mangels Personals (70 hochaqulifizierte Mitarbeiter) utopisch?
Ich kann weniger in die Herzen und Gedanken der Menschen schauen als Sie, der Sie mit den Menschen sprechen.
Meine Meinung:
1) Eine Frage des Geldes.
2) Eine Frage der Wertschätzung.

Leider in dieser Reihenfolge.

Dominic Wipplinger sagt:

Unrealistisch sind Laufzeitverlängerungen deswegen nicht. Das Personal ist ja noch vorhanden und geht auch nicht synchron zum Laufzeitende in Pension.

Die Möglichkeit von Laufzeitverlängerungen steht und fällt mit dem politischen Willen welche zu ermöglichen (wobei sich weder Betreiber noch Belegschaft ernsthaft darum bemühen!) und natürlich mit der Wirtschaftlichkeit von Laufzeitverlängerungen.

Wie wirtschaftlich Laufzeitverlängerungen sind hängt maßgeblich davon ab wie lange sie sind. 1-2 Jahre Laufzeitverlängerung als Notlösung zur Überbrückung einer Strommangellage sind etwa vermutlich weniger wirtschaftlich als 10 Jahre.

Sehr kurzfristig beschlossene Laufzeitverlängerungen können auch zu Problemen unter anderem bei der Brennstoffbeschaffung führen und damit fallweise zu einem monatelangen Stillstand bevor der Betrieb wieder aufgenommen werden kann; fällt der Politik erst kurz vor Laufzeitende ein das ein bestimmtes KKW doch noch gebraucht wird um sicher über den Winter zu kommen kann es dafür zu spät sein.

Michael Anschütz sagt:

Vielen Dank.

Alles richtig überlegt.

Als Idee möchte ich anregen,
einmal einen Artikel über die besagten 70 hochqualifizierten Mitarbeiter zu schreiben oder natürlich einen Kommentar.
1) Schichtbetrieb der Kernmannschaft von 10-15 Leuten und welche Aufgaben diese haben.
2) Darüber hinaus ca. 30-40 und welche Qualifikationen und Aufgaben diese haben.

Natürlich nur, wenn Sie wollen.
Ich darf sagen, dass ich dreimal Hernn Klute auf die Neugründung einer PRO-ATOM-PARTEI angesprochen habe (telefonisch und per Mail) und dreimal zurückgewiesen wurde.
Neben der kurzfristigen Feindseligkeit der Mehrheit der Deutschen zur Atomenergie haben wir ein vielleicht noch größeres Problem:
Niemand möchte sich von wem etwas sagen wollen,
niemand möchte auf etwas verzichten,
wenige oder gar keine möchten etwas geben,
so dass das Ergebnis ist:
EIN STERBENDER PLANET – nur der TOD ist gut.

Rainer Klute sagt:

Lieber Herr Anschütz, ich habe überhaupt nichts gegen die Gründung einer Partei, die sich für Kernenergie einsetzt. Bevor ich mich aber dort engagiere, müßte dem ein Konzept zugrundeliegen, das mich überzeugt.

Thorben Meyer sagt:

Eine Pro-Atom-Partei wäre etwas monothematisch. Sinnvoller wäre nach einem Kollaps der ein oder anderen grünen Lebenslüge die Umwandlung der FDP in eine echte Fortschrittspartei.

Helmut Pöltelt sagt:

Ich bin an Informationen über fortgeschrittene Nukleartechnologien für Kernkraftwerke interessiert.

Dominic Wipplinger sagt:

Das ist die richtige Einstellung! ⚛