Von Rainer Klute
Den Abschluss unserer Serie »Mein Fukushima« bildet der Beitrag des Nuklearia-Vorsitzenden Rainer Klute. Er beschreibt, wie er das Unglück erlebte, wie es zur Gründung der Nuklearia führte und was danach geschah.
Für mich persönlich war das Fukushima-Unglück der Einstieg in die Kernenergie. Als Informatiker brauche ich zwar ständig Strom, doch wo der herkam, war für mich damals kein Thema, an das ich viele Gedanken verschwendet hätte. Da ich aber naturwissenschaftlich interessiert bin, wusste ich über die verschiedenen Verfahren der Stromerzeugung Bescheid, zumindest ungefähr. Als sich mir Anfang März 2011 die Gelegenheit bot, das Kernkraftwerk Emsland (KKE) zu besichtigen, habe ich sie gern genutzt.
Besuch im Kernkraftwerk Emsland
Unsere Gruppe war von einem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der RWE Power AG organisiert worden. Deshalb bekamen wir nicht nur die übliche Besuchertour verpasst, sondern auch einen Fachvortrag durch den Kraftwerksleiter himself. Wir durften auch in den Kontrollbereich hinein, also in das Standort-Zwischenlager mit den Castor-Behältern und in die Kuppel, das Reaktorgebäude. Dort standen wir oben auf einer Galerie und schauten ehrfürchtig auf einen Betondeckel herab. Unter dem, das wussten wir nun, werkelte der Reaktor und erzeugte Strom für fast zwei Millionen Menschen. (Na gut, den Strom erzeugte genau genommen der gewaltige Generator in der Turbinenhalle nebenan.)
Ich fand das alles höchst interessant und habe viel gelernt. Ich hatte im Nebenfach Physik studiert, darunter auch ein Semester Kernphysik, darum waren mir die physikalischen Grundlagen der Kernspaltung und das Prinzip der emissionsfreien Stromerzeugung durch Kernenergie vertraut. Aber zu sehen, wie dies praktisch umgesetzt wird, das war noch einmal eine ganz andere Sache. Auch über die mehrfach gestaffelten und redundanten Sicherheitsvorkehrungen eines Kernkraftwerks hatte ich im Studium nichts erfahren. Diesen Überblick bekam ich erst hier vor Ort. Den hat also auch eine gestandene Physikerin nicht automatisch.
Naturkatastrophe und Reaktorunglück in Japan
Sechs Tage später bebte in Japan die Erde. Das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi wurde von einem gewaltigen Tsunami überrollt und geriet außer Kontrolle. In jenen Tagen klebte ich am Stream von NHK World, dem englischsprachigen Programm des japanischen Fernsehens. Erschüttert verfolgte ich die Bilder, wie ganze Städte überflutet und Häuser wie Holzklötze weggespült wurden.
Wenig später geriet dann Fukushima-Daiichi in den Fokus. Kompletter Ausfall der Stromversorgung und der Kühlung – dank meines Besuchs im Kernkraftwerk Emsland wusste ich nun, was das bedeutete. Dann die Wasserstoffexplosionen in den Blöcken 1, 3 und 4 – Moment mal, haben die denn dort keine Wasserstoffrekombinatoren? Nein, hatten sie nicht, wie sich später herausstellte.
Medien-GAU in Deutschland
Sehr schnell fiel mir eines auf: Das, was die deutschen Medien brachten, entsprach nicht dem, was ich gerade erst über Kernkraftwerke gelernt hatte. Es entsprach auch nicht dem, was NHK World berichtete, oder dem, was ich über die Reaktortypen von Fukushima-Daiichi recherchieren konnte. Und nicht nur die Bildzeitung schrieb vom »Atom-Horror«, sondern auch das eigentlich seriösere Handelsblatt. Obwohl ich erst vor Kurzem angefangen hatte, mich mit Kernenergie und Strahlung zu befassen, merkte ich schnell: Vielen sogenannten Experten in den Medien fehlten grundlegende Kenntnisse.
Das ärgerte mich maßlos! Warum machten die Medien das? Warum ergingen sie sich in wilden Spekulationen? Warum spielten sie mit den Ängsten der Menschen? Warum informierten sie nicht sachlich und nüchtern über das, was in Japan geschah?
Bei mir führte dies zu dem starken Wunsch, diesem GAU in den Medien mit echten Informationen zu begegnen. Ich war damals Mitglied der Piratenpartei, und dort fand ich einige nukleare Gleichgesinnte. Im Oktober 2011 gründeten wir eine Arbeitsgruppe in der Piratenpartei. Damals machte gerade eine innerparteiliche Gruppe namens »Datenschutzkritische Spackeria« von sich reden. In Anlehnung an deren Namen nannten wir uns »Ausstiegskritische Nuklearia«. Später ließen wir das »Ausstiegskritische« weg, ohne aber das Ausstiegskritische wegzulassen.
Faktenbasierte Infos in der Nuklearia
In der Piratenpartei erreichten wir jede Menge Aufmerksamkeit. Das lag weniger an unseren Sachinformationen, sondern vor allem an unserer bloßen Existenz. Wie konnte man nur für Kernenergie sein, erst recht nach Fukushima! Insgesamt stießen wir nicht auf sehr viel Zustimmung, auch wenn einige interessant fanden, was wir über neuartige Kernreaktoren erzählten. Der Landesverband Sachsen-Anhalt nahm sogar unsere Forderung nach Atommüllrecycling in sein Landtagswahlprogramm auf.
Über die sozialen Medien erreichten wir auch Kernkraftbefürworter außerhalb der Piratenpartei. Vor allem in der Facebook-Gruppe »Pro Kernkraft« stießen wir auf Gleichgesinnte. Für diese Personen war unsere parteipolitische Bindung aber eher hinderlich.
Aus diesem Grund haben wir am 30. Oktober 2013 den Nuklearia e. V. als eingetragenen Verein gegründet. Nun sind wir unabhängig von jeder politischen Bindung und gemeinnützig unterwegs. Von 35 Gründungsmitgliedern sind wir auf über 300 Mitglieder angewachsen. Wir sind international vernetzt. Und wir werden von den Medien wahrgenommen.
Die Nuklearia wirkt kräftig daran mit, dass immer mehr Menschen entdecken: Kernenergie ist klimafreundlich und umweltverträglich. Sie ist auch nachts und bei Windstille verfügbar. Sie ist bezahlbar. Die hochradioaktiven Hinterlassenschaften traditioneller Kernkraftwerke lassen sich in neuartigen Reaktortypen als Brennstoff nutzen. Und Kernenergie kann sogar mehr als nur Strom.
Als Klimaretter in der Diskussion
Unsere Arbeit trägt Früchte. Seit etwa Herbst 2018 bringen die Medien zunehmend sachlichere und ausgewogenere Beiträge zur Kernenergie. Die schrillen Töne werden weniger. Immer häufiger lassen Zeitung, Radio und Fernsehen nicht nur Atomkraftgegner zu Wort kommen, sondern auch Kernkraftbefürworter. Das ist erfreulich, auch wenn immer noch reichlich Luft nach oben ist.
Besonders in der Klimadebatte kann die Kernenergie punkten, denn sie ist so gut wie CO₂-frei. Das macht sie als »Klimaretterin« attraktiv. Und falls es mit der Klimarettung nicht klappen sollte – ich sehe da insgesamt ziemlich schwarz –, so ist Kernenergie ein wirksames Mittel, um mit den Folgen des Klimawandels besser klarzukommen. Viele Länder haben das erkannt. Sie bauen ihre bestehenden Kernkraftkapazitäten aus oder steigen sogar erstmals in die Kernenergie ein. Beides geschieht auch in Deutschlands direkten Nachbarländern – und nicht nur dort.
Unter dem Schlagwort #SaveGER6 versucht die Nuklearia, die letzten sechs deutschen Kernkraftwerke zu retten. Wir finden, dass stattdessen lieber Braunkohlekraftwerke stillgelegt werden sollten. Dies würde jedes Jahr viele Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Dafür sind wir im letzten Jahr auf die Straße gegangen. Wird es gelingen? Werden wir Erfolg haben? Wird die Politik den Atomausstieg auf den letzten Metern doch noch kippen? Vernünftig wäre es, also stehen die Chancen leider schlecht.
Jedenfalls sorgen wir dafür, dass der Ausstieg nicht so geräuschlos über die Bühne geht, wie es die Bundesregierung, die gehorsamen und atomausstiegsentschädigten Stromversorger und andere Atomkraftgegner gern sähen. Und danach? Dann steht der Wiedereinstieg auf der Tagesordnung. Denn eine zuverlässige, CO₂-arme und bezahlbare Stromversorgung kriegen allein mit erneuerbaren Energie nicht hin. Die Realität wird Deutschland einholen. Wir brauchen Erneuerbare und Kernkraft im Verbund.
Eine Antwort
Zuerst einen dicken Applaus und viel Sympathie. Die meisten Punke teile ich mit vollem Herzen. Auch dass es wohl mit der Klimarettung nichts werden kann. Denn wenn das Klima mehr oder minder durch natürliche Faktoren bedingt is, ist der Einfluss des Menschen zwar vorhanden, aber nicht leicht steuerbar. Im Besonderen, da Deutschland, einschließlich Hausbrand und Industrie, nur zu 2 % zu den weltweiten CO2 Emissionen beiträgt und ein weiteres Wachstum der Emissionen in China, Indien und anderen Entwicklungsländern zu erwarten ist. Kurz, die Klimafreundlichkeit der Kernenergienutzung ist m.E. nur ein Sahnehäubchen. Die anderen Vorteile aber sind so gewaltig, dass es einem absurd erscheint, mit welch dürftigen Argumenten und nackter Angstmache diese Zukunftstechnologie in D ausgebremst wird.