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Von Tschernobyl zur Energiewende: Ist die Kernkraft Geschichte?

Von Dr. Anna Veronika Wendland

In letzter Zeit erweisen sich gewohnte stabile Zustände und liebgewordene Gewissheiten als trügerisch: Großbritannien in der EU, Merkel auf dem Zenit ihrer Macht – und auch das Erfolgsversprechen der Energiewende.

Erlanger Stadtwerke

Das wurde auf einer von der Universität und der Stadt Erlangen organisierten Podiumsdiskussion anlässlich einer im Foyer der Stadtwerke gezeigten Ausstellung über »30 Jahre Tschernobyl« rasch deutlich: offensichtlich geraten im Jahr 6 des Atomausstiegsbeschlusses angesichts ausbleibender Erfolge einige Fronten wieder in Bewegung. Und daher verlief auch die Diskussion anders, als das Vorgeplänkel hätte vermuten lassen.


Im Vorfeld war es zu Versuchen gekommen, mich als Input-Referentin – ohne meine Position überhaupt gehört zu haben – in die Atomlobby-Ecke zu stellen und die Weiternutzung einer meiner Publikationen durch Henryk Broders »Achse des Guten« als Beweis zu nehmen, ich sei Exponentin eines rechtspopulistischen AfD-Nuklearprogramms. Jeder, der die hitzigen Diskussionen darüber (und meine Beiträge dazu) in der Facebook-Gruppe »Pro Kernkraft« verfolgt hat, wäre mit mir in Lachen ausgebrochen.

Verunglimpfungsversuch der Erlanger Initiative „Atomausstieg jetzt“

Aber das Vorspiel zeigt: Die Nerven liegen blank bei den EEG-Konjunkturrittern, denn, um mal Frau Kässmann zu paraphrasieren, »nichts ist gut in Energiewendeland«.

Und das zeigte dann auch die Diskussion. Gekommen waren trotz des Biergartenwetters ca. 50 interessierte Erlanger, darunter etliche Atomgegner, die im Vorfeld dazu aufgerufen hatten »die Eigenen« auf dem Podium gegen die Atomlobby zu unterstützen. Die Eigenen, das waren die Umweltbürgermeisterin Susanne Lender-Cassens, der Bürgerinitiativ-Vertreter Heinz Horbaschek und auch der Stadtwerkechef Wolfgang Geus.

Die Atomlobby bestand aus dem Leiter der AREVA-Unternehmenskommunikation Matthias Schuch, mir selbst und im Publikum aus einigen AREVA-Leuten. Wie ich hörte, hatte AREVA aber im Betrieb keine Informationen über die Veranstaltung verbreitet oder sonstwie zur Teilnahme mobilisiert – repräsentativ für die Linie der Industrie, sich eher resignativ wegzuducken, und sich aus dem herauszuhalten, was man »Politik« nennt – da der Drops der deutschen Kernenergie mit dem Ausstiegsbeschluss gelutscht sei und man sich an die Gesetze halten müsse. Dem Vernehmen nach war es auch gar nicht so einfach gewesen, die AREVA überhaupt zur Teilnahme zu bewegen.

Auf dem Podium (v.l.n.r.): Matthias Schuch, AREVA; Heinz Horbaschek, BUND Erlangen; Wolfgang Geus, Erlanger Stadtwerke; Susanne Lender-Cassens, Bürgermeisterin; Anna Veronika Wendland. Nicht im Bild: Julia Obertreis, Prof. für Osteuropäische Geschichte an der Universität Erlangen, die die Diskussion moderierte.

Summa summarum war es also eher mir als Nicht-Erlanger Außenseiterin überlassen, der Diskussion etwas leidenschaftlichen Nuklearpfeffer zu geben, während Herr Schuch seine hochseriösen, sachlichen Ausführungen mit einem etwas unterkühlten Duktus vertrat.

In der Bilanz hatte ich den Eindruck, dass die Atomgegner, ob Podium oder Publikum, trotz einiger An-richtiger-Stelle-Klatscher, sonderbar saft- und kraftlos ihre alten Argumente von der ethischen Verwerflichkeit der »Atomkraft« und der ungelösten »Müllfrage« vortrugen. Vielleicht hatte sie die Sommerhitze fertiggemacht, während die Nukies, die immer im Sommer Revision machen müssen und die im Kraftwerk sowieso immer schwitzen, einen Klimavorteil hatten.

Dr. Anna Veronika Wendland bei ihrem Impulsreferat

Vielleicht lag es aber auch daran, dass mein Impulsreferat und was ich sonst noch so sagte, überhaupt nicht in das übliche Links-Rechts-Schema passte. Meine von der Moderation gestellte Aufgabe war es gewesen, die Diskussion ein wenig anzuheizen, aber auch einen Blick in meine eigene Forschungswerkstatt zu geben. Dass eine eher linksdrehende Historikerin freiwillig in Kernkraftwerken arbeitet, um ihrem Forschungsgegenstand gerecht zu werden, sorgte schon für einige Irritation gewohnten Schubladendenkens, und als ich kurz ausführte, dass keinesfalls die Erneuerbaren per se dezentral, kommunal und demokratisch seien und die Kernkraft per se zentralistisch und diktatorisch, sondern dass man auch ein Windkraftwerk als Großinvestorenmodell und ein Kernkraftwerk, vielleicht sogar mit Fernwärmeauskopplung, als kommunales Projekt betreiben könne – da gerieten einige der Unentschiedenen oder schlicht Wissbegierigen bereits ins Grübeln.

Ich hatte den Impulsvortrag mit der Perspektive Osteuropas begonnen und das am ukrainischen Beispiel ausgeführt: dass gerade das Land von Tschernobyl erst NACH Tschernobyl zu seinem fast schon französischen Atomstromanteil gekommen ist, sei ja erklärungsbedürftig und solle uns Deutschen zu denken geben. Aus der Sicht der Ost- und Ostmitteleuropäer sei Deutschland mit seiner Energiewendepolitik kein Vorreiter, sondern ein Geisterfahrer.

Unerwarteten Rückhalt bekam ich von Stadtwerke-Chef Geus, der zwar nicht von seiner Power-to-Gas-Speicherphilosophie lassen wollte, aber klipp und klar die Hoffnungen auf kommende Smart Grids als wirtschaftlichen und politischen Unsinn abwatschte und auf fränkisch-freie Art den Energiewendepolitikern ein verheerendes Zeugnis ausstellte. Im Grunde, so kann man seine Äußerungen zusammenfassen, sei die Energiewende in der heutigen Form gescheitert. Leider, ergänzte er, seien unsere Politiker »absolut beratungsresistent«.

Was mich bewog, eine Grundrevision der Energiewende vorzuschlagen, denn man könne aus Fehlsteuerungserfahrungen der Kernenergie, wie jener, die in Tschernobyl endete, nur lernen. Das erste Gebot sei, endlich kritische Expertise zu konsultieren, statt sich aufzuregen, wenn diese statt in der überregionalen Presse bei »Alternativ«medien wie der »Achse des Guten« eine Heimat fände. Statt Kritik auszublenden und totzuschweigen, müsse eine Wende der Wende her: hin zur Zielorientierung Versorgungssicherheit plus Luftschadstofffreiheit, was eben nur mit einer technologieneutralen Lösung unter Einschluss der Kernenergie zu machen sei.

Die Kernkraftgegner schlugen derweil ihre alten Schlachten, weil sie argumentativ weder Herrn Schuchs Richtigstellungen über die Entsorgung, deren Kosten und die allfälligen Subventionslegenden etwas entgegenzusetzen hatten, noch meinen Argumenten von der diskursiven Produktion der »menschenverachtenden Atomkraft«. Am schönsten war die Anti-Atom-Interpretation der ukrainischen pronuklearen Haltung: »Naja, die sind eben leidensfähig und obrigkeitshörig«, meinte Herr Horbaschek (BUND) und gab damit ein besonders feinsinniges Beispiel grüner Völkerpsychologie. »Richtig. Genauso leidensfähig und obrigkeitshörig wie Amerikaner, Briten, Spanier, Franzosen, und natürlich auch Bayern und Franken zur Bauzeit von Gundremmingen, Isar und Grafenrheinfeld«, ergänzte ich.

Hinsichtlich der »Menschenverachtung« von Technologien fragte ich, was dann mit dem immensen Material- und Flächenverbrauch und den uranhaltigen Abraumhalden der Windkraftanlagen-Rohstoffindustrie sei? Ich sei normalerweise kein Freund von Whataboutery – aber ich würde als Wissenschaftlerin doch dafür plädieren, die ökologischen und menschlichen Kosten der »Alternativen« zur Kernkraft endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, statt geschönte Geschichten zu erzählen.

Im Ergebnis habe ich, wenn ich das richtig überblicke, für genug Irritation gesorgt, um nach der Diskussion von vielen zu hören: »So habe ich das noch nie gesehen«. Aus dem Publikum kamen interessierte und kluge Nachfragen, etwa nach der Rolle von Tschernobyl beim Zusammenbruch der Sowjetunion oder nach der Entwicklung der Sicherheitskultur in osteuropäischen Kernkraftwerken.

Nach der Veranstaltung saß ein buntes Grüppchen aus Umweltbürgermeisterin, grünen Unileuten und Nukies diskutierend bei Pizza und Bier. Erlangen ist als Nuklearindustrie-Standort sicherlich nochmal ein besonderes Pflaster, aber der gute Ausklang ließ mich auch wieder hoffen, dass man womöglich mit neuen, auch jüngeren Leuten auf neue Weise diskutieren kann – anders als mit der Generation Hüttendorf, die aus dem Atomausstieg, leider ohne viel technisch-infrastrukturelles Basiswissen, ihr Lebensprojekt gemacht hat.


Fotos: Lou Elsen, Anna Veronika Wendland


Über die Nuklearia

Die Nuklearia ist ein gemeinnütziger, industrie- und parteiunabhängiger eingetragener Verein, der die Kernenergie als Chance begreift und darüber aufklären will. Wir sehen die Kernkraft als besten Weg, die Natur und das Klima zu schützen und gleichzeitig unseren Wohlstand zu erhalten. Denn Kernenergie ist emissionsarm, braucht sehr wenig Fläche und steht jederzeit zur Verfügung. Unser Ansatz ist wissenschafts- und faktenbasiert, unsere Vision humanistisch: erschwingliche und saubere Energie für alle.

2 Antworten

  1. Ein lobenswerter Versuch, die Atomkraftgegner zu verunsichern, aber was hat es gebracht ? Sollte man die Zeit und Mühe nicht besser darauf verwenden, wichtige Medien und Politiker (Entscheider) aufzuklären, so dass sie nicht kritiklos die Ansichten und Argumente der Atomkraftgegner übernehmen und verarbeiten ?

  2. Sehr guter Beitrag. Die Kernkraft ist natürlich nicht Geschichte, man muss sich nur umsehen. Dabei erkennt man sofort, dass nur wenige Länder so Ideologie-anfällig sind wie Deutschland. Bei Tschernobyl haben die meisten Länder nüchtern akzeptiert, dass dieses Ereignis nicht typisch für „die Kernenergie“ war, sondern dass nur ganz besondere Umstände zu diesem Unglück geführt haben. Daher haben die meisten Länder weiter auf Kernenergie gesetzt und nur darauf geachtet, diese Umstände zu vermeiden. In Deutschland wurde demgegenüber der Spruch „Tschernobyl ist überall“ kreiert und die Vermeidung der Kernenergie als solcher gefordert. Und bei Fukushima hat sich das Verhaltensmuster wiederholt: Andere Länder haben die dort aufgetretenen Probleme kritisch analysiert und daraus, soweit erforderlich, sachbezogene Verbesserungen abgeleitet, Deutschland hat Fukushima „ethisch“ bewertet und ohne sachlich begründete Übertragbarkeit den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen! Jetzt beginnt Deutschland sich langsam zu wundern, dass es dafür einen Preis zahlen muss: Der Strom wird immer teurer. Dabei ist das erst die Spitze des Eisbergs, am Ende werden es mehr als 5000 € pro Kopf sein! So viel ist im Rahmen der Energiewende heute jedenfalls schon vertraglich vereinbart, und die Kosten steigen immer weiter! Vereinfacht ausgedrückt: Die Energiewende kostet jede Familie ein Auto! Und das ohne Gegenleistung, weil die Energiewende gar keinen Erfolg haben kann, solange es keine geeigneten Speicher zum Ausgleich der Unstetigkeit von Wind und Sonne gibt. Solche Speicher zeichnen sich auch nicht ab. Schlimmer aber noch: Selbst wenn es solche Speicher eines Tages geben sollte, bliebe die Energiewende immer noch völlig wirkungslos! Ursache hierfür sind politische Vereinbarungen: Jede durch die Energiewende ggf. erreichte Reduzierung der CO2-Freisetzungen, egal, ob groß oder klein, setzt auch CO2-Zertifikate frei. Diese kommen – politisch vereinbart – in den Handel und für sie wird dann an anderer Stelle exakt die gleiche Menge CO2 freigesetzt. Am Ende bleibt immer nichts übrig. Die Energiewende-Politiker haben nicht nur vor der Physik den Kopf in den Sand gesteckt, sondern auch vor ihren eigenen Regelungen! Die deutsche Ideologie-Lastigkeit wird hoffentlich bald Geschichte sein – aber die Kernenergie wird es dann immer noch geben.

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