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Grundwasser in Fukushima radioaktiv verseucht! Oder doch nicht?
Grundwasser in Fukushima radioaktiv verseucht! Oder doch nicht?
Veröffentlicht am 2013-06-06
Von Rainer Klute
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Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi. Im Vordergrund Tanks mit kontaminiertem Wasser, im Hintergrund die zerstörten Reaktorblöcke 1 bis 4. Quelle: Kiwinews

In den japanischen und englischsprachigen Medien macht gerade die Meldung die Runde, das Grundwasser in Fukushima sei radioaktiv verseucht. Tepco finds groundwater contaminated with radioactive cesium, titelt beispielsweise die Japan Times. In Reversal, Tepco Says Water at Fukushima Is Contaminated, ist in der New York Times zu lesen.

Grundwasser ins Meer

Worum geht es? TEPCO, die Betreiberfirma des havarierten Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi, kämpft mit gewaltigen Grundwassermengen, die durch Risse in die zerstörten Reaktorgebäude eindringen. Es fließt also kein radioaktives Wasser aus den Gebäuden heraus, wie viele glauben, sondern es ist genau umgekehrt: Wasser strömt hinein – und zwar jeden Tag 400 Kubikmeter.

In den Gebäuden wird das Wasser mit verschiedenen Radionukliden kontaminiert und hochradioaktiv. TEPCO pumpt zwar dieses Wasser ab und leitet es durch eine Dekontaminationsanlage. Da die aber nur Cäsium entfernt und die übrigen radioaktiven Materialien drinläßt, kann TEPCO das Wasser nach dieser Behandlung nicht einfach ins Meer leiten, sondern muß es in Tanks lagern. Inzwischen sind große Flächen des Kraftwerksgeländes mit Tanks vollgestellt. Das kann definitiv nicht über viele Jahre so weitergehen, weil der Platz dazu einfach nicht reicht.

TEPCO will daher verhindern, daß das saubere Grundwasser überhaupt erst in die Reaktorgebäude fließt. Besser wäre es doch, das Wasser vorher abzufangen und ins Meer abzuleiten. Im ersten Schritt hat das Unternehmen eine Reihe von Grundwasserbrunnen gebohrt, aus denen man das saubere Grundwasser abpumpen kann. Mit diesem Verfahren könnte TEPCO das Problem zwar nicht beseitigen, aber immerhin ein wenig abmildern: Statt 400 wären es dann nur noch 300 Kubikmeter täglich.

Kontaminiert!

Klingt gut, oder? Nicht radioaktives Wasser ins Meer leiten – dagegen kann doch niemand etwas haben, oder?

Doch nun dies: Radioaktivität sei im Grundwasser des Kraftwerksgeländes bei einer erneuten Messung gefunden worden, teilt TEPCO zerknirscht mit. Beim ersten Mal habe man leider nicht ganz richtig gemessen. Nun habe man 0,22 Becquerel pro Liter (Bq/l) für Cäsium-134 und 0,39 Bq/l für Cäsium-137 festgestellt.

Wie gefährlich ist das denn?

Welches Bild TEPCO in Sachen Krisenbewältigungskompetenz hier mal wieder abgibt, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern.

Interessant ist aber die Frage, wie gefährlich diese Radioaktivität im Grundwasser denn nun eigentlich ist. Folgen wir den Medien, so gilt die Gleichung: etwas ist radioaktiv, also ist es gefährlich.

Die Wirklichkeit ist natürlich komplexer. Da geht es nicht nur darum, ob etwas radioaktiv ist, sondern wie radioaktiv es ist. Und nur dann, wenn etwas so sehr radioaktiv ist, daß eine Gefahr besteht, sollten wir von Kontamination sprechen. Das gilt auch für das Grundwasser in Fukushima-Daiichi.

Banane. Quelle: Wikipedia

Radioaktivität ist überall

Wir sind umgeben von Radioaktivität. Sogar wir selbst sind radioaktiv, denn mit unserer Nahrung nehmen wir stets auch radioaktive Substanzen auf. Dazu braucht es weder Kernwaffenexplosionen noch havarierte Kernkraftwerke, sondern diese Stoffe sind auf völlig natürliche Weise in den Lebensmitteln enthalten.

Der größte Anteil unserer Radioaktivität stammt aus Kalium. Die Pflanzen nehmen dieses Mineral aus dem Erdboden auf, lagert es an, und so gelangt es auch in den Körper von Menschen und Tieren. Ein kleiner Teil dieses Kaliums ist radioaktiv: das Kalium-40.

Das alles braucht uns keine Sorgen zu machen, denn die Mengen sind derart gering, daß sie uns nicht gefährlich werden können.

Becquerel

Aber was bedeutet das nun konkret für das Grundwasser auf dem Kraftwerksgelände von Fukushima-Daiichi? Ist seine Radioaktivität hoch oder niedrig im Vergleich zur normalen Radioaktivität in Lebensmitteln? Wenn wir das wissen, haben wir einen Eindruck von der radiologischen Gefahr, die von diesem Grundwasser ausgeht.

Radioaktivität bedeutet, daß die Atome einer Substanz zerfallen. Je mehr Zerfälle in einer Sekunde stattfinden, desto höher ist die Radioaktivität.

Man gibt die Radioaktivität in der Einheit Becquerel (Bq) an. Beispielsweise besagt ein Wert von 50 Bq, daß 50 radioaktive Zerfälle pro Sekunde stattfinden. Nimmt man eine Tonne einer radioaktiven Substanz, finden darin natürlich mehr Zerfälle pro Sekunde statt als in einem Gramm derselben Substanz. Daher bezieht man sich meist auf ein Kilogramm – oder auf einen Liter, was bei Wasser ja dasselbe ist.

Wenn TEPCO von 0,61 Bq/l spricht (der Summe aus den Einzelwerten für die beiden Cäsium-Isotope), sind das also 0,61 radioaktive Zerfälle in einem Liter Grundwasser pro Sekunde.

Alles Banane?

Zum Vergleich schauen wir uns ein beliebtes Lebensmittel an, das durch seinen hohen Kaliumgehalt besonders radioaktiv ist: die Banane. Ein Kilogramm davon enthält 3,58 Gramm Kalium, wovon 0,0117 Prozent radioaktiv sind. Daraus läßt sich berechnen: Bananen haben aufgrund ihres Kaliumgehalts eine Radioaktivität von 114 Bq/kg.

So. Ab hier wirst du entweder nie wieder Bananen essen oder aber du hast nun ein Gefühl dafür, was gefährlich ist und was nicht. 114 Bq/kg sind definitiv nicht gefährlich. Und 0,61 Bq/kg sind es natürlich erst recht nicht.

Grenzwerte

Auch der Vergleich mit den gesetzlichen Grenzwerten sollte nicht fehlen. In Japan beträgt er für Radioaktivität in Trinkwasser 10 Bg/l, also das 16fache dessen, was TEPCO im Grundwasser entdeckt hat. Und so ein Grenzwert bedeutet natürlich nicht, daß es darüber sofort gefährlich wäre. Die japanischen Grenzwerte stehen zudem in besonderer Kritik: Viele Experten bewerten sie nach der Verschärfung zum 1. April 2012 als viel zu streng. Vor der Änderung betrug der Grenzwert für Trinkwasser in Japan 200 Bq/l. In Europa sind es 1.000 Bq/l, in den USA 1.200 Bq/l.

Vor diesem Hintergrund sich vor 0,61 Bg/l zu fürchten, ist absolut lächerlich. Selbstverständlich kann man dieses Grundwasser bedenkenlos ins Meer pumpen!

Verantwortung der Medien

Es wäre Aufgabe der Medien, dem Leser diese Zusammenhänge und Größenordnungen zu vermitteln. Ich finde es unverantwortlich, 0,61 Bq/l derart zu dramatisieren und die Menschen weiter zu verunsichern statt sie aufzuklären. Aber Angstmacherei und Atompanik verkaufen sich natürlich weit besser, und letztlich zählt ja nur das.

Dosis, Gray und Sievert

Okay, eine Sache muß ich noch nachtragen und präzisieren, weil ich die nun doch etwas vereinfacht dargestellt habe.

Die Anzahl der radioaktiven Zerfälle pro Sekunde ist nämlich nur die halbe Miete. Für Bananenesser und Wassertrinker ist viel wichtiger, welche Strahlendosis der Körper aufnimmt (gemessen in Gray) beziehungsweise wie die biologischen Auswirkungen dieser Strahlendosis sind. Das ist die Äquivalentdosis und wird in Sievert angegeben. Und wenn nicht der ganze Körper gleichmäßig der Strahlung ausgesetzt ist, sondern nur bestimmte Regionen – zum Beispiel bei einer Strahlentherapie – ist die Organdosis interessant.

Wie das für Cäsium-134, Cäsium-137 und Kalium-40 im Körper aussieht, mag der interessierte Leser gerne recherchieren und hier als Kommentar eintragen. An der Größenordnung dürfte sich nichts ändern.

Update 1 (2013-06-14)

TEPCO lieferte am 2013-06-12 neue Meßwerte: Demnach beträgt der höchste gemessene Radioaktivitätswert statt zuvor 0,61 Becquerel pro Liter jetzt nur noch 0,055 Bq/l – ein Elftel des alten Wertes.

Praktisch heißt das: Das Grundwasser ist frei von Radioaktivität. Das darf TEPCO so natürlich nicht sagen, weil dann sofort Leute kommen, die TEPCO Lüge, Täuschung und Verharmlosung vorwerfen. Also nennt TEPCO brav den gemessenen Wert. Und da dieser größer als Null ist, lautet der Vorwurf, das Wasser sei verstrahlt und eine Gefahr für die Fische im Meer und die Menschen, die sie verzehren. Nun ja, das Thema sollte jetzt durch sein.

Update 2 (2013-06-18)

Hier noch zwei Veröffentlichungen von TEPCO:

Update 3 (2013-06-19)

Die oben beschriebene Situation betrifft das Grundwasser auf der Westseite der Reaktorgebäude. Ganz anders sieht es auf der Ostseite aus zwischen dem Kernkraftwerk und dem Meer. Heute gab TEPCO Tritium- und Strontiumwerte im Grundwasser bekannt, die deutlich über den gesetzlichen Höchstwerten liegen. In diesem Bereich war im April 2011 tagelang hochradioaktives Wasser aus Rissen in einem Schacht ins Meer geströmt, bis es dem Betreiber gelang, den Schacht zu versiegeln. Hier könne durchaus noch Wasser in den Schächten und Stollen stehen, so TEPCO. Während das Cäsium aus diesem Wasser in den Erdboden gelangt sei, habe das Tritium seinen Weg ins Grundwasser gefunden. TEPCO will das aber alles noch genauer untersuchen – und die Sperre verstärken, die verhindern soll, daß radioaktives Wasser in den Pazifik gelangt.

Kritik muß sich TEPCO wegen des erneut zögerlichen Informationsflusses gefallen lassen. Die Kraftwerksleitung kannte die Tritium-Werte bereits am 31. Mai, wollte aber noch die Strontium-Ergebnisse abwarten, was mehr Zeit in Anspruch nehme.

Ein ausführlichere Darstellung veröffentlicht TEPCO hier:

Update 4 (2013-06-23)

Mit Chemikalien und Verfüllungen der Risse im Fundament zwischen den Wassereinläufen von Block 1 und Block 2 will TEPCO die weitere Ausbreitung radioaktiven Wassers im Boden zwischen den Turbinenhäusern und dem Meer stoppen:

Update 5 (2013-06-30)

Die Radioaktivität zwischen Turbinengebäude und Meer steigt an einer der Meßstellen auf 3.000 Bq/l:

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Nuklearia