Für viele scheint der Atommüll – d.h. verbrauchte Reaktorbrennstäbe – das Hauptproblem der Kernenergie darzustellen. Wir haben schon in mehreren Artikeln angedeutet, dass dieser „Müll“ kein Müll ist, sondern eine hochnützliche Substanz – wenn man ihn mit geeigneten Verfahren recycelt. Wie genau funktioniert dieses Recycling?
Für den IFR wurde dazu ein ganz besonderes elektrochemisches Verfahren entwickelt: Der sogenannte Pyroprozess. Er soll in diesem Artikel genauer betrachtet werden – zuvor ist es jedoch interessant und inhaltlich wichtig, Zusammensetzung und zeitliches Verhalten von Atommüll zu diskutieren.
Brennstäbe, die aus einem LWR herauskommen, entsprechen weitgehend Holzscheiten, deren Oberfläche ganz leicht angekohlt ist, deren Inneres dagegen aus völlig ungenutztem, brennbarem Holz besteht. Die Zusammensetzung sieht so aus (siehe auch Infografik des Science Council):
- 3% Spaltprodukte. Diese sind stark strahlend, aber ihre Aktivität klingt sehr rasch ab. Nach 300 Jahren ist sie geringer als die von natürlichem Uranerz.
- 1% Uran 235. Dieses ist in jedem Reaktor als Spaltstoff nutzbar.
- 1% Plutonium und andere Transurane. Diese sind der unangenehme Teil des Abfalls, weil sie für viele Jahrzehntausende relativ stark radioaktiv bleiben. In einem thermischen Reaktor lassen sie sich nicht effizient spalten, aber in einem schnellen sind sie ein exzellenter Spaltstoff.
- 95% Uran 238. Dies ist der eigentlich Treibstoff des IFR. In einem thermischen Reaktor hat es nur untergeordnete Bedeutung. Daher bestehen die verbrauchten Brennelemente fast ausschließlich daraus – das macht sie zu einem riesigen Energiefass für Schnelle Reaktoren!
Wie sieht die Radiotoxizität – ein Maß für das Krebsrisiko bei Einatmen oder Verschlucken des jeweiligen Stoffes – der verschiedenen Komponenten im Laufe der Zeit aus?
Wie schon erwähnt, ist die Aktivität der Spaltprodukte zu Beginn sehr stark, fällt jedoch rasant ab. Zwar gibt es auch einige sehr langlebige Spaltprodukte – Technetium 99, Iod 129 und Cäsium 135 – diese sind jedoch äußerst schwache Strahler und senden nur die ungefährlichste Strahlungsart aus: Betastrahlung, d.h. Elektronen oder Positronen. Die Radiotoxizität des Spaltprodukte-Mix‘ ist daher nach 300 Jahren unter die von Uranerz gesunken, nach spätestens 1000 Jahren beträgt sie weniger als ein Hundertstel von dieser.
Die schweren Transurane – Plutonium, Neptunium, Americium, Curium und andere – bleiben für viele Jahrhunderttausende deutlich radioaktiver als Uranerz (man nimmt dessen Aktivität, da es in der Natur vorkommt, als praktische Trennlinie zwischen „gefährlich“ und „ungefährlich“).
Die beiden Uranisotope zuguterletzt sind aufgrund ihrer hohen Halbwertszeiten nur sehr schwach radioaktiv.
Die Radiotoxizität der Komponenten zeigt diese Grafik. Man sieht, dass die Gesamttoxizität (oberste rote Kurve) nach wenigen Jahrhunderten vollständig von den Transuranen (rote Kurve direkt darunter) dominiert wird – die Spaltprodukte (blaue Kurve) spielen keine Rolle mehr! Weiterhin geht aus der Grafik hervor, dass ein Entfernen der Transurane zur massiven Verminderung der Toxizität des Gesamtgemisches führt (lila Kurven).
Wir müssen also, wenn wir das Atommüllproblem von einem unüberschaubaren „Ewigkeitsproblem“ zu einem handhabbaren „300-Jahre-Problem“ machen wollen, die Transurane loswerden. Dies vermag das Schnelle Neutronenspektrum des IFR, da in ihm sämtliche Transurane mit der Zeit gespalten werden. Sie müssen von Uran und Spaltprodukten getrennt werden. Dazu dient die Pyroprozessanlage. Sie besteht aus nur 5 verschiedenen Komponenten:
- Elektroraffinierer: Er führt die eigentliche Elementtrennung durch.
- Kathodenprozessor: Ein Schmelzofen für das zurückgewonnene Uran und die Aktiniden.
- Schmelzofen für metallische Abfälle (v.a. Edelmetall-Spaltprodukte).
- Zeolithsäulen, die sonstige Spaltprodukte absorbieren.
- Sinterofen, der Zeolith zusammen mit Glas zu Sodalith sintert.
Dazu kommt noch ein Injektionsgussofen, in dem neue Brennstäbe hergestellt werden, sowie ggf. eine Reduktionsanlage für LWR-Brennstäbe, die recycelt werden sollen.
Alle Arbeitsschritte werden in einer inerten Argonatmosphäre ausgeführt.
Jeder hat schon mit Elektrochemie zu tun gehabt: Jede Batterie, jeder Akku beruht darauf. Viele werden sich auch an den Schulversuch erinnern, bei dem leicht angesäuertes Wasser durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird.
Allgemein bezeichnet man chemische Reaktionen, bei denen Elektronen aufgenommen werden, als „Reduktion“ (da die Ladung „negativer“ wird), solche, bei denen sie abgegeben werden, als Oxidation. Die Reaktion mit Sauerstoff, die der Oxidation ursprünglich ihren Namen lieh, ist nur ein Beispiel dafür – auch Chlor wirkt beispielsweise stark oxidierend, da es leicht Elektronen aufnimmt. Wasserstoff und Lithium dagegen sind sehr reduzierend: Sie geben ihr einzelnes Valenzelektron leicht ab. Natürlich muss das Elektron, das vom einen Stoff abgegeben wurde, von einem anderen aufgenommen werden. Deshalb findet immer eine Redox-Reaktion statt – Reduktion des einen, Oxidation des anderen Stoffes. Spontan ablaufende Redoxreaktionen können durch den resultierenden Ladungstransport als Spannungs- bzw. Stromquelle genutzt werden. Dies geschieht in Batterien und Akkus, aber auch in Brennstoffzellen. Reaktionen, die nicht spontan erfolgen, können dagegen durch Anlegen einer äußeren Spannung ausgelöst werden. Hierauf beruht das Herz der Pyroprozessanlage, der Elektroraffinierer.
Das Ziel bei der Aufbereitung der IFR-Brennstäbe (und ggf. des Brutmantels) ist die Trennung folgender drei Substanzgruppen voneinander:
- Uran
- Transurane (Plutonium und schwerere Elemente)
- Spaltprodukte (ein breites Spektrum mittelschwerer Nuklide)
Diese Trennung erfolgt im Elektroraffinierer: Ein Becken, das ein Gemisch aus flüssigem Lithiumchlorid und Kaliumchlorid bei ca. 500 Grad enthält. Die kleingeschnittenen Brennstäbe kommen mitsamt ihrer Hülsen in einen Anodenkorb – d.h. ein Gefäß an das positive Spannung zur Elektronenaufnahme angelegt wird – der in das Salzgemisch eintaucht. Zur Substanztrennung dienen zwei unterschiedliche Kathoden (negative, Elektronen abgebende Elektroden): Eine Stahlkathode, an der sich das Uran in Form fraktal verästelter Dendriten niederschlägt, und eine Kathode aus flüssigem Kadmium. Diese zieht die Transurane an. Die Spaltprodukte bleiben teils im Anodenkorb (vor allem Edelmetalle), teils im Salz gelöst, aus dem sie ausgefiltert werden, oder sie gelangen in eine zusätzliche Flüssigkadmiumschicht, die den Boden des Raffinierers bedeckt. Diese hat auch die Aufgabe, Uran und Transurane, die von den Kathoden herunterfallen, aufzufangen und wieder dem Prozess zuzuführen, indem eine positive an sie angelegte Spannung die Metalle wieder in Ionen verwandelt und mobil macht.
Um zu verstehen, wie die Trennung funktioniert, muss man sich klarmachen, was chemische Reaktionen antreibt: Es ist die sogenannte Freie Enthalpie. Es ist dies die maximale Arbeit, die eine Reaktion zu leisten vermag. Man misst sie meist in Kilokalorien pro Masse der Substanz (in Gramm), die jeweils mit einem Mol Elektronen reagiert (kcal/g-eq wobei 1 kcal = 4180 J): Für einwertige Stoffe das Atomgewicht in Gramm, für dreiwertige wie Uran ein Drittel des Atomgewichtes in Gramm usw. Die Freie Enthalpie sagt aus, ob eine Reaktion spontan erfolgt oder nicht: Ist sie negativ, läuft die Reaktion spontan ab, ist sie positiv, muß die Reaktion von außen erzwungen werden. Quantitativ lässt sich dies anhand folgender Überlegungen nachvollziehen.
Eine allgemeine chemische Reaktion mit zwei Ausgangs- und zwei Endsubstanzen lässt sich als Formel
[math]!\alpha A + \beta B \longleftrightarrow \gamma C + \delta D[/math]
schreiben. Die lateinischen Buchstaben stehen für die Substanzen, die griechischen für die stöchiometrischen Faktoren. Warum ich den Doppelpfeil gewählt habe? Jede chemische Reaktionen verläuft in beide Richtungen. Es entstehen nie ausschließlich nur Produkte, denn diese reagieren stets auch in gewissem Maße zurück zu den Edukten. Nach einer gewissen Zeit stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Hin- und Rückreaktion ein. Es wird durch die Gleichgewichtskonstante charakterisiert:
[math]!K = \frac{a_C^\gamma \times a_D^\delta}{a_A^\alpha \times a_B^\beta}[/math]
Dabei ist [math]a_X[/math] die sogenannte Aktivität der Substanz X. Diese ist gleich der Konzentration der Substanz [math][X][/math] multipliziert mit der Aktivitätskonstanten [math]\chi[/math]:
[math]!a_X = \chi_X \times [X][/math],
wodurch man u. a. berücksichtigt, dass die Moleküle nicht punktförmig sind. Reine feste oder flüssige Phasen haben die Aktivität 1.
Die Gleichgewichtskonstante [math]K[/math] sagt aus, in welchem Verhältnis Produkte und Edukte vorliegen, wenn die Reaktion zur Ruhe gekommen ist, d.h. Vor- und Rückreaktion sich die Waage halten. Sie hängt folgendermaßen mit der Freien Enthalpie zusammen:
[math]!K = \exp{\left( \frac{-\Delta G}{RT} \right)}[/math]
wobei [math]\Delta G = E_v – E_r[/math] die Differenz der Freien Enthalpien von Vorwärts- und Rückwärtsreaktion ist, [math]R \approx 8.314 \, \mathrm{J} / \mathrm{mol} \, \mathrm{K}[/math] die Gaskonstante und [math]T[/math] die Temperatur in Kelvin. Man sieht aus der Gleichung, dass falls [math]\Delta G = 0[/math] (Vorwärts- und Rückreaktion die gleiche nutzbare Energie freisetzen) [math]K = 1[/math], die beiden Reaktionsrichtungen also gleich wahrscheinlich werden. Für [math]E_v \gg E_r[/math] wird [math]K[/math] positiv, die Reaktion erfolgt spontan von links nach rechts, im Gleichgewichtszustand sind kaum noch Edukte vorhanden. Entsprechend gilt im umgekehrten Fall [math]E_v \ll E_r[/math] dass kaum Produkte entstehen, die Reaktion läuft nicht spontan (vorwärts) ab, kann aber durch äußere Einwirkungen erzwungen werden.
Die Redoxreaktionen, die uns für unser spezifisches Problem interessieren, sind Austauschreaktionen Metall-Metallchlorid. Denn die Elemente im Anodenkorb – man vergesse nicht, dass in den aufzubereitenden Brennstäben fast das gesamte Periodensystem enthalten ist – werden, sobald eine positive Spannung angelegt wird, oxidiert – sie werden zu positiven Ionen, die die Neigung haben, sich mit den negativen Chlorionen in der Salzschmelze zu vereinen. Manche dieser Chlorverbindungen haben eine stark negative Freie Enthalpie und sind daher sehr stark gebunden. Sie bleiben in der Salzschmelze und können später ausgefiltert werden. Andere weisen eine weniger negative Freie Enthalpie auf: Sie sind schwächer gebunden – die negative Spannung an der Kathode kann sie daher herauslösen. Eine dritte Gruppe bindet sich nur ganz schwach bzw. überhaupt nicht an den Chlor. Sie bleibt gleich im Anodenkorb oder setzt sich in dem Kadmiumspiegel am Grund des Raffinierers ab.
Die drei Elementgruppen zur Übersicht:
- Stabile Chloride. Alkalimetalle, Erdalkalimetalle. FE = -65 … -88 kcal/g-eq. Bleiben in der Salzschmelze, werden später entfernt.
- Mittelstabile Chloride. Uran, Transurane, einige Seltene Erden und eventuell etwas Zirkonium. FE = -55 … -64 kcal/g-eq. Werden von den Kathoden aufgesammelt.
- Instabile Chloride. Sonstige Elemente, insbes. Edelmetalle und Übergangsmetalle (Strukturmaterialien!). FE = -6 … -47 kcal/g-eq. Lösen sich im Salz nicht auf, bleiben im Anodenkorb oder landen in der Kadmiumschicht am Boden des Gefäßes.
Wir sehen, dass aufgrund der stark verschiedenen Freien Enthalpien die Trennung von Spaltprodukten (1. und 3. Gruppe) und Uran/TRU (2. Gruppe) problemlos möglich ist. Eine geeignete negative Spannung von wenigen Volt zieht sie zu den Kathoden, während die Spaltprodukte und das Strukturmaterial entweder gar nicht erst im Salz gelöst werden, da sie nicht reaktionsfreudig genug sind, oder aber in ihm gelöst bleiben, weil sie zu reaktionsfreudig sind!
Aber wie trennt man Uran und Transurane voneinander?
Auf den ersten Blick scheint dies ein schwer lösbares Problem zu sein. Denn betrachten wir die Reaktion
[math]!U Cl_3 + Pu \leftrightarrow U + PuCl_3[/math]
die die Wechselwirkung von U und Pu beschreiben, wenn sie teils als Metall, teils als Salzschmelze vorliegen (das chemische Verhalten der höheren Transurane ist weitgehend analog). Die Differenz der Freien Enthalpien beträgt:
[math]!\Delta G = E_{Pu Cl_3} – E_{U Cl_3} = (-187 + 166) \, \mathrm{kcal}/\mathrm{mol} \approx – 9 \times 10^4 \, \mathrm{J}/\mathrm{mol}[/math]
Es ergibt sich die Gleichgewichtskonstante:
[math]!K = \frac{a_{Pu Cl_3}}{a_{U Cl_3}} = \exp{\left(\frac{9 \times 10^4 \, \mathrm{J}/\mathrm{mol}}{775 \, \mathrm{K} \, \times \, 8.314 \, \mathrm{J}/\mathrm{mol K}}\right)} \approx 1.2 \times 10^6[/math]
Das sieht ungünstig aus! Die Gleichgewichtskonstante ist sehr groß – die Reaktion erfolgt also fast komplett nach rechts, weg vom metallischen Plutonium und hin zur Bildung des entsprechenden Chlorsalzes: in Gegenwart von Uranchlorid scheint das Sammeln von metallischem Pu kaum möglich zu sein.
Hier kommt uns jedoch eine besondere Fähigkeit mancher Metalle zur Hilfe. Sie können zusammen mit anderen Metallen sog. intermetallische Verbindungen bilden – ein Zwischending aus Metallbindung, kovalenter Bindung und Ionenbindung.
Daher wird in das Salz eine zweite Kathode aus flüssigem Kadmium gehängt – es handelt sich einfach um einen mit Cd gefüllten Tiegel. Plutonium bildet mit Kadmium zusammen die intermetallische Verbindung [math]Pu Cd_6[/math]. Dies senkt die Freie Enthalpie der Reaktion so sehr, dass Abscheidung von Pu auch in Gegenwart von Uranchlorid problemlos möglich ist:
[math]!Pu Cd_6 + U Cl_3 \leftrightarrow Pu Cl_3 + U + 6Cd[/math]
Jetzt beträgt die Freie Enthalpie der Reaktion:
[math]!\Delta G = E_{Pu Cl_3} – E_{U Cl_3} – E_{Pu Cd_6} = (-187 + 166 + 19) \, \mathrm{kcal}/\mathrm{mol} \approx – 8 \times 10^3 \, \mathrm{J}/\mathrm{mol}[/math]
Die freie Enthalpie wurde durch den Zusatzfaktor um eine Größenordnung verringert! Die Gleichgewichtskonstante ergibt entsprechend zu:
[math]!K = \frac{a_{Pu Cl_3}}{a_{U Cl_3}} = \exp{\left(\frac{8 \times 10^3 \, \mathrm{J}/\mathrm{mol}}{775 \, \mathrm{K} \, \times \, 8.314 \, \mathrm{J}/\mathrm{mol K}}\right)} \approx 3.5[/math]
(Die Aktivitäten der reinen Metallphasen sind in guter Näherung gleich 1)
Was so eine Exponentialfunktion alles kann! Ein Größenunterschied der freien Enthalpie von einer Zehnerpotenz senkt die Gleichgewichtskonstante um 6 Zehnerpotenzen. Zwar ist sie noch immer leicht positiv (es besteht also immer noch ein gewisser Übergewicht der Plutoniumchloridbildung), aber dieser leichte Überhang lässt sich einfach ausgleichen, indem vor dem Abscheiden des Plutoniums an der Kadmiumkathode die Uranchloridkonzentration mithilfe der Stahlkathode gesenkt wird. Die beiden Kathoden kommen also zeitversetzt zum Einsatz. Zunächst wird in einigen Durchgängen das Uran abgeschieden, dann das Plutonium, zusammen mit den anderen Transuranen, einem geringen Anteil seltener Erden und auch einer gewissen Menge Uran. Es lässt sich mit dem Elektroraffinierer keinesfalls reines Plutonium erzeugen. Der Mix ist als Kernwaffenmaterial ebenso wertlos wie er als IFR-Treibstoff hervorragend geeignet ist.
Damit aus Uran und Transuranen neue Brennstäbe hergestellt werden können, kommen die Metalle in den Kathodenprozessor. In diesem verdampfen zunächst das Kadmium und die Salzreste. Sie sammeln sich in einem Auffangtiegel. Uran und TRU dagegen werden geschmolzen und mithilfe von Aussparungen im Boden des Schmelzgefäßes zu Barren geformt. Diese wandern dann in den Injektionsgussofen, der sie zu frischen Brennstabstücken weiterverarbeitet. Sie werden ggf. zusammen mit weiteren Zusätzen (Zirkonium oder auch zusätzliches Uran und Plutonium) in einem Graphittiegel geschmolzen und durch Gasdruck in geeignete Glasformen gepresst. Es ist auch angedacht, die Schmelze mithilfe elektromagnetischer Felder zu formen, um radioaktiv kontaminierten Glasabfall zu vermeiden.
Die so geformten Metallzylinder werden dann in Brennstabhülsen gefüllt, unter Zugabe von Natrium als thermischem Bindemittel. Leichtes Erhitzen lässt das Natrium schmelzen, so dass es den Zwischenraum zwischen Hülse und Brennstab ausfüllt. Zum Schluss werden die Brennstäbe wieder zu Brennelementen zusammengefügt, und schon sind die gefürchteten Transurane auf dem Weg zurück in den Reaktor und nicht etwa in irgendein Endlager.
Die Spaltprodukte werden nach dem gesamten Prozess aus dem Elektroraffinierer entfernt und weiterverarbeitet. Die Edelmetalle und Übergangsmetalle, die im Anodenkorb bleiben, werden in einem Schmelzofen in rostfreie Stahlbarren eingeschmolzen. Die im Salz gelösten Elemente dagegen müssen herausgefiltert werden. Das leistet die Zeolithsäule. Die Salzschmelze wird durch sie hindurchgeleitet, die Spaltprodukte verbleiben im Zeolith. Um sie noch stärker zu binden, wird der Zeolith anschließend zusammen mit Borsilikatglas zu Sodalith gesintert, einem sehr stabilen, natürlich vorkommenden Mineral.
Sowohl rostfreier Stahl wie auch Sodalith sind chemisch nahezu inert und halten die Spaltprodukte dreihundert Jahre lang mit hoher Zuverlässigkeit fest.
Viele wird aber nun vor allem interessieren, wie der Atommüll aus herkömmlichen Kernkraftwerken recycelt wird.
In LWR-Brennstäben liegen die Metalle als Oxid vor. Damit sie dem Pyroprozess zugeführt werden können, muss daher eine Reduktionsstufe vorausgeschaltet werden. Sie soll (am Beispiel Uran, Aktinide analog) folgende Reaktion bewirken:
[math]!U O_2 \rightarrow U + O_2(g)[/math]
Der Sauerstoff wird vom Metall getrennt und entweicht als Gas. Diese Reaktion hat eine positive Freie Enthalpie, sie läuft nicht von alleine ab. Sie muss von außen erzwungen werden. Dies geschieht, indem man Elektronen zuführt:
[math]!U O_2 + 4e^{-} \rightarrow U + 2O^{2-}[/math]
Die Sauerstoff-Ionen müssen entsprechend wieder oxidiert werden:
[math]!2O^{2-} \rightarrow O_2 + 4e^{-}[/math]
Am einfachsten lässt sich die Gesamtreaktion auslösen, indem man eine reduzierende Substanz zuführt. Geeignet sind alle Stoffe, die leicht Elektronen abgeben. Man nutzt in diesem Fall Lithium:
[math]!4Li + UO_2 \rightarrow U + 2Li_2O[/math]
Der Prozess funktioniert in dieser simplen Form schon recht gut – es gelang im Experiment, Uranoxid in einer Lithiumchloridschmelze bei 650 Grad mithilfe von metallischem Lithium zu reduzieren. Jedoch lässt sich die Effizienz stark erhöhen, wenn man die Reaktion zusätzlich elektrisch unterstützt. Hierzu wird das Uranoxid (bzw. der gesamte verbrauchte Brennstoff) in einem Kathodenkorb in die Lithiumchloridschmelze gehängt. Die Anode besteht aus Platin.
An der Kathode werden Elektronen zugeführt. Dies führt zur Spaltung von Uranoxid in Metallatome und Sauerstoffionen (siehe Formeln oben). Die Sauerstoffionen wandern zur Anode, wo sie reduziert werden und als Gas aus der Schmelze entweichen. Dieser Prozess ergänzt den rein pyrochemischen Reduktionsprozess, der ebenfalls abläuft, da der Salzschmelze eine geringe Menge [math]Li_2 O[/math] zugesetzt und die elektrische Spannung leicht erhöht wird, so dass nicht nur das Uranoxid, sondern auch das Lithiumoxid dissoziiert (Lithiumchlorid kann erst bei einer deutlich höheren Spannung gespalten werden, so das keine Gefahr einer unabsichtlichen Chlorgaserzeugung besteht). An der Kathode werden die bei der Aufspaltung entstehenden Lithiumionen wieder reduziert:
[math]!4Li^{+} + 4e^{-} \rightarrow 4 Li[/math]
Das metallische Lithium steht dann sofort bereit, um die Uranoxid-Reduktion zu unterstützen.
In einigen Versuchsanlagen legte man übrigens eine zusätzliche positive Spannung an die Oberfläche des Kathodenkorbes an, um die Lithiumatome wieder zu oxidieren und sie dadurch daran zu hindern, bis zur Platinanode zu diffundieren, da Lithium Platin angreift.
Der Kathodenkorb mit dem reduzierten (d.h. metallischen) Atom“müll“ kann dann einfach vom Reduktionsbecken in den Elektroraffinierer umgesetzt werden, wo er als Anodenkorb weiterarbeitet.
Die beschriebenen Reaktionen und Prozesse funktionieren nicht nur auf dem Papier: Alle wurden erfolgreich in Versuchsanlagen des Argonne National Laboratory getestet. Die Brennelemente des stillgelegten EBR-II werden noch heute mit einer entsprechenden Anlage aufbereitet.
Der nächste Schritt sollte sein, die Versuchsanlagen auf industrielle Maßstäbe zu vergrößern: Das bedeutet, dass die verarbeiteten Stoffmengen vom Kilogrammbereich in den Tonnenbereich erhöht werden müssen. Die bisherigen Forschungen deuten alle darauf hin, dass die Prozesse skalierbar sind, d.h. ohne Probleme entsprechend vergrößert werden können. Auch werden in der Metallindustrie weltweit vergleichbare Prozesse routinemäßig in großem Maßstab eingesetzt – nur natürlich zu anderen Zwecken. Das ANL hat schon ein vorläufiges Design für eine Pyroprozessanlage für LWR-Abfall vorgelegt, die 100 Tonnen pro Jahr verarbeiten kann, in etwa der Ausstoß eines 1 GWe-Kernkraftwerks. Aber vor allem Südkorea forscht zur Zeit sehr intensiv an diesen Technologien, da man dort anstrebt, die Kernenergiekapazität bis 2040 auf 39 GWe zu steigern. Anstatt jedoch krampfhaft nach einem Bergwerk zu suchen, das möglicherweise 100.000 Jahre lang stabil bleibt, möchte man den Brennstoffkreislauf mithilfe von Pyroprocessing und natriumgekühlten Brutreaktoren mit Metallkernen schließen und so das Problem des langlebigen Atommülls effektiv lösen. (Huhu, Deutschland…!)
Man kann sich nun noch die Frage stellen, was denn mit den Stahl- und Glasblöcken, die die Spaltprodukte enthalten, geschehen soll. Zunächst einmal können sie on-site, d.h. auf dem Kraftwerksgelände selbst bleiben. Denn aufgrund der enormen Effizienz des IFRs produziert dieser nur sehr kleine Abfallvolumina: Ein 1 GWe-Kraftwerk erzeugt jährlich etwa eine Menge, die von der Größe her einem Aktenschrank entspricht. Im Gegensatz zu den Mengen an „Abfall“, die ein LWR freisetzt, ist das außerordentlich wenig. Es in einem unterirdischen Raum o. ä. in unmittelbarer Nähe der Pyroprozessanlage zu speichern stellt kein Problem dar.
Was aber geschieht längerfristig, d.h. für die Dauer der drei Jahrhunderte, die verstreichen, bis die Aktivität unter die von Uranerz gefallen ist? Spezielle Aufbewahrungsanlagen in der Art von Stollen, Bunkern oder modernen Pyramiden sind gewiss eine Möglichkeit. Es könnte aber viel sinnvoller sein, dem Vorschlag von Tom Blees in seinem Buch „Prescription for the Planet“ zu folgen, und den Spaltprodukte-Output der zu konstruierenden weltweiten, viele 1000 GW starken IFR-Flotte alle paar Jahre in ein ausrangiertes Frachtschiff zu laden, es aufs offene Meer zu schleppen und dort zu versenken. Ich höre Greenpeace schreien – aber man bedenke, dass weder Glas noch rostfreier Stahl sich im Laufe von 300 Jahren nennenswert in Meerwasser zersetzen, und sie zusätzlich noch das ganze Schiff (plus eventuell CASTOR-artige Behälter) um sich herum haben. Das „Seemannsbegräbnis“ für die Spaltprodukte ist vermutlich nicht nur die billigste, sondern auch die ungefährlichste Methode, den Nuklidmix 300 Jahre „aussitzen“ zu lassen.
Und langfristig wird die Erde durch den IFR-Betrieb weniger radioaktiv! Denn die Aktivität des Abfalls ist ja nach 300 Jahren geringer als die des ursprünglichen Uranerzes. Der gesamte Prozess: Abbau -> geringfügiges „Anknabbern“ in LWR -> fast komplette Nutzung in IFR – verringert im Endergebnis die Radioaktivität der Erdkruste. Und wenn in 500 Jahren die Menschheit ihre Vorräte an LWR-Atommüll und abgereichertem Uran (DU) aufgebraucht hat, dann kann sie, falls sie die IFR noch weiternutzen muss oder möchte, Uran ist fast beliebiger Menge aus dem Meerwasser extrahieren, und dadurch allmählich die Radioaktivität des Meeres verringern.
Im nächsten und (vorläufig?) letzten Kapitel der IFR-Serie möchte ich Einsatzszenarien für die Freiheitsmaschinen entwickeln und zeigen, wie und wo sie besonders nützlich sein könnten!
Paper
Laidler et al. (1996): Development of Pyroprocessing Technology
Ackermann et al. (1996): Treatment of Wastes in the IFR Fuel Cycle
McFarlane et al. (1996): The IFR Fuel Cycle Demonstration
McPheeters et al. (1996): Application of the pyrochemical process to recycle of actinides from LWR spent fuel
Herrmann et al. (2006): Electrolytic Reduction of Spent Nuclear Oxide Fuel as Part of an Integral Process to Seperate and Recover Actinides from Fission Products
Sonstige Artikel
Seong Won Park (2009): Why South Korea needs Pyroprocessing
Archambeau et al. (2010): Economic/Business Case for the Pyroprocessing of Spent Nuclear Fuel (SNF) (via The Science Council – Großes File, eventuell längere Ladedauer!)
3 Antworten
Als ehemaliger Anti- Aktivist, Physiker und Arzt kann ich Ihre Begeisterung für den IFR nur zu gut nachvollziehen und teile sie sogar- allerdings mit Einschränkungen. So erscheint mir Ihre Gefahrenpotential-Einschätzung zu oberflächlich und zwar hinsichtlich der alpha- Strahler: Wasserlösliche Schwermetallverbindungen (nicht nur der Transurane) sind hochtoxisch, da sie sich nach oraler oder inhalativer Aufnahme zu gerne im blutbildenden Knochenmark einnisten und dort Schaden anrichten. Katastrophal wird dieser Umstand, wenn es sich um alpha- Strahler handelt, denn diese ruinieren die Bildung immunkompetenter Zellen und die der Blutbildung zuverlässig in geringsten Dosen- wir reden vom Mikrogrammbereich. Eindrücklich demonstriert wurde dies beim Litwinenkomord 2006:
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=2392
Die exakten Grundlagen ergoogeln Sie bitte selbst.
Polonium wurde genommen, um die Detektion dieses reinen alpha-Strahlers über Grenzen hinweg zu erschweren, die Wirkungsweise hat aber jeder andere, starke alpha-Strahler potentiell auch und davon wimmelt es.
Das bedeutet, daß im Prinzip auch jeder starke alpha- Strahler eliminiert werden muß und das erfordert wiederum aktive Maßnahmen, die fehleranfällig sind.
Die Trennfaktoren elektrolytischer Reaktionen sind meist hoch, weil sich in der elektrischen Doppelschicht Ionen sauber ausrichten und weitgehend homogene Schichten ausbilden. Nachteilig ist, dass eine Trennvorrichtung in der Regel nur eine einzige Trennstufe darstellt, während bei destillativen und extrakiven Trennvorrichtungen im Gegenstromverfahren sehr viele Trennstufen auf engem Raum möglich sind. Extraktive, wie das Purex Verfahren, führen infolge chemischer Reaktionen mit der Extraktionsflüssigkeit zu einer starken volumetrischen Erhöhung der Endprodukte, was eine Endlagerung erschwert. Das IFK Berlin hat Einiges zur rein destillativen Aufbereitung beigetragen. Dieses Verfahren erhöht das Abfallvolumen nicht. Geringerer Trennfaktor, aber meist aureichend. Sehr hohe Temperaturen sind erforderlich. Wie hier vorgeschlagen, ist eine Kombination von Destillation mit einer Schmelzflusselektrolyse, hier flüssiges Cadmium als Kathode, möglich.
Wasser und Lipide als Lösungsmittel sollten vermieden werden, weil sie direkt vom menschlichen Körper aufgenommen werden.