Nur 4 von 57 Reaktoren betroffen – Atomstromproduktion steigt trotzdem
In den vergangenen Tagen sorgten Schlagzeilen für Aufsehen, Frankreich habe aufgrund der aktuellen Hitzewelle mehrere Kernkraftwerke herunterfahren müssen. Tatsächlich jedoch war nur ein einziger Reaktor – Golfech 1 – vorsorglich abgeschaltet. Drei weitere (Blayais 1, Bugey 3 und Nogent 2) sind von Drosselungen betroffen.
Typischerweise betroffen sind Reaktoren, die ihre Kühlwassermenge direkt aus Flüssen beziehen, ohne Kühltürme oder geschlossene Kühlkreisläufe.
Grund ist der Gewässerschutz: An heißen Tagen kann die Sonneneinstrahlung die Flusstemperaturen stark erhöhen. Um gesetzliche Grenzwerte nicht zu überschreiten, wird die Leistung einzelner Reaktoren vorsorglich reduziert. Technisch könnten die Reaktoren problemlos weiterlaufen.
Aktuell speisen 41 der 57 Reaktoren Frankreichs Strom ins Netz ein. 15 befinden sich in Revision – die meisten Revisionen finden bewusst in den Sommermonaten statt, wenn der Strombedarf geringer ist. Ein Reaktor (Golfech 1) ist umweltbedingt abgeschaltet.
Seit Beginn der Woche ist die Gesamtleistung der französischen Kernkraftwerke sogar leicht angestiegen. Die übrigen Kernkraftwerke haben den Ausfall von Golfech 1 somit mehr als ausgeglichen.
Einigen deutsche Medien suggerieren dennoch, die Drosselungen in Frankreich seien verantwortlich für die zuletzt gestiegenen Strompreise. Die Schwankungen am Strommarkt gehen jedoch vor allem auf eine Hitzeflaute zurück. Bei hohen Temperaturen weht weniger Wind, während der Strombedarf durch Kühlung und Klimaanlagen steigt. Preisspitzen ergeben sich daraus vor allem in den Abendstunden, wenn weder Solar noch Windkraft nennenswert Strom liefern, aber der Strombedarf durch Kühlung und Klimaanlagen nach wie vor hoch ist.
Hintergrundinformationen
Produktionsdaten
Die Produktionsdaten lassen sich den öffentlich zugänglichen Zahlen des Fraunhofer ISE (Energy-Charts) entnehmen. Die Grafik der aktuellen Woche (Kalenderwoche 27) zeigt: Die Gesamtstromproduktion der französischen Kernkraftwerke (rot) ist sogar angestiegen. Die verbreitete Annahme, die Hitzewelle habe zu einem massiven Leistungseinbruch geführt, hält der Überprüfung nicht stand.

Kühltürme oder drosseln? Eine wirtschaftliche Abwägung
Technisch ließe sich die hitzebedingte Leistungsdrosselung einzelner Reaktoren vermeiden: Mit geschlossenen Kühlsystemen oder dem Bau von Nasskühltürmen, Hybridkühltürmen oder notfalls auch Trockenkühltürmen könnten viele Kernkraftwerke auch bei hohen Temperaturen stabil durchlaufen. Solche Systeme entnehmen dem Fluss deutlich weniger oder gar kein Wasser und führen kaum Wärme zurück. Dennoch sind sie nicht überall installiert. Der Grund ist einfach: Sie kosten Geld.
Für Kraftwerksbetreiber stellt sich die Frage: Ist es wirtschaftlich sinnvoll, für einige heiße Tage im Jahr zusätzliche Infrastruktur zu errichten? Oder ist es günstiger, diese Tage als einkalkulierte Produktionspause zu behandeln? In vielen Fällen rechnet sich der Bau eines Kühlturms schlicht nicht. Eine Leistungsdrosselung an wenigen Tagen im Jahr ist oft die günstigere Lösung.
Das hitzebedingte Drosseln oder Herunterfahren von Reaktoren hat laut EDF seit dem Jahr 2000 zu einer Reduzierung der jährlichen Stromproduktion von lediglich 0,3 Prozent geführt. In Zukunft rechnet EDF durch den Klimawandel jedoch mit höheren Produktionsverlusten von bis zu 1,5 Prozent bis 2050.
Zahlen und Details zu den Produktionseinschränkungen
Angaben zu den Verfügbarkeiten der französischen Kernkraftwerke sind EDFs »List of outages and messages« zu entnehmen. Für die aktuellen Drosselungen finden sich dort folgende Daten zu umweltbedingten Einschränkungen (»Causes externes liées à l’environnement«):
- Blayais 1
30.06., 04:36–09:20 Uhr: Absenkung auf 790 MW (bei 910 MW Nennleistung)
01.07., 02:45–09:00 Uhr: 730 MW
01.07., 11:08–14:30 Uhr: 810 MW
01.07., 14:51–16:00 Uhr: 668 MW
01.07., 16:00–17:25 Uhr: 559 MW
01.07., 17:25–19:00 Uhr: 650 MW
01.07., 19:00–23:00 Uhr: 580 MW
01.07., 23:50–24:00 Uhr: 700 MW
02.07., 00:00–13:00 Uhr: 700 MW
02.07., 15:16–20:00 Uhr: 700 MW
02.07., 22:06–24:00 Uhr: 790 MW
03.07., 00:00–00:52 Uhr: 790 MW
03.07., 04:55–22:00 Uhr: 780 MW - Bugey 2
05.07., 23:00 bis 06.07., 02:15 Uhr: Verlängerung der Abschaltung nach Wartung (bei 910 MW Nennleistung) - Bugey 3
29.06., 11:30–24:00 Uhr: Absenkung auf 470 MW (bei 910 MW Nennleistung)
30.06., 00:00–04:30 Uhr: 470 MW
01.07., 00:00–05:30 Uhr: 480 MW
03.07., 10:00–20:30 Uhr: 545 MW
05.07., 06:30–20:00 Uhr: 556 MW - Golfech 1
29.06., 23:00 Uhr bis 07.07., 00:00 Uhr: Abschaltung auf 0 MW (bei 1310 MW Nennleistung) - Nogent 2
02.07., 20:30 Uhr bis 03.07., 08:00 Uhr: Absenkung auf 260 MW (bei 1310 MW Nennleistung)
(Stand: 4. Juli 2025, 16:30 Uhr)
Preisspitzen am Spotmarkt: Ursachen und Einordnung
Warum steigt dann aber der Strompreis in Deutschland gerade dann stark an, wenn es besonders heiß ist? Die Antwort zeigt ein Blick auf die Energy-Charts-Grafik zur Stromproduktion aus CO₂-armen erneuerbaren Energien in Deutschland in der laufenden Woche: Immer dann, wenn abends kaum Wind weht und die Sonne untergeht, fehlen sehr große Teile des erneuerbaren Stromangebots. Gleichzeitig läuft vielerorts noch die Klimaanlage – der Strombedarf bleibt hoch.

Konventionelle Kraftwerke und Stromimporte füllen diese Lücke. Weil das Angebot knapp ist, steigen die Preise deutlich. Zusätzliche Effekte aus dem Strommarktdesign verschärfen die Lage: Wenn das Angebot an Solar- oder Windstrom tagsüber die Nachfrage übersteigt, sinken die Börsenpreise bis in den negativen Bereich. In diesen Zeiten exportiert Deutschland Strom ins Ausland – nicht, weil er dort dringend gebraucht würde, sondern weil Deutschland Geld drauflegt, um ihn loszuwerden. Umgekehrt steigen die Preise, wenn Solar- und Windstrom in Deutschland fehlen, Strom aus dem Ausland eingekauft werden muss – und die Lieferanten sich das teuer bezahlen lassen. Der Einfluss der Drosselung einzelner französischer Reaktoren auf diese Preisbildung ist vernachlässigbar – wenn überhaupt vorhanden. Der Strompreis in Deutschland ergibt sich im Wesentlichen aus dem Verhältnis vom Angebot aus erneuerbaren Energien und der Nachfrage nach Strom im deutschen Markt.
Besonderheiten bei der Kühlung des Kernkraftwerks Golfech
Das Kernkraftwerk Golfech entnimmt sein Kühlwasser dem Canal de Golfech, einem 1856 gebauten historischen Schiffskanal, der mit der Garonne verbunden ist. Der Kanal ist nicht nach heutigen Standards ausgelegt. Dadurch entzieht er dem Flusssystem durch Verdunstung und Verluste viel Wasser.
Das Kernkraftwerk arbeitet mit Rückkühlung, das heißt: Das Kühlwasser wird in Kühltürmen verdunstet und nicht in den Fluss zurückgeleitet. Um den Wasserstand in der Garonne zu stabilisieren, wird die Entnahme durch das Kraftwerk, falls nötig, deutlich reduziert – teils bis auf den reinen Nachwärmebetrieb, also den minimalen Betrieb zur Abfuhr der Nachzerfallswärme.
Die Temperaturmessung, die über umweltrechtliche Betriebseinschränkungen entscheidet, erfolgt jedoch nicht im Kanal, sondern in der Garonne. Dort ist die natürliche Temperatur der Garonne maßgeblich – insbesondere beeinflusst durch Sonneneinstrahlung und Lufttemperatur. Wird an dieser Messstelle der gesetzliche Grenzwert überschritten oder droht dies, muss EDF die Kühlwasserentnahme stark einschränken – auch wenn das Kraftwerk technisch problemlos weiterlaufen könnte.

Aktualisierungen
Nach der Veröffentlichung dieses Beitrags gab EDF je nach Situation geänderte Planungen zu Absenkungen oder Abschaltungen von Reaktoren heraus. Wir aktualieren den Abschnitt »Zahlen und Details zu den Produktionseinschränkungen« entsprechend, ohne den gesamten Beitrag umzuarbeiten. (2025-07-04)