Anfang der 1980er Jahre fragte ein kleiner Junge in der Transitlounge des New Yorker Kennedy-Airports seine Mutter, wo denn bei den Flugzeugen, die die Nachtbeleuchtung des Rollfelds in fremdartige kolossale Märchenfiguren verwandelte, vorne und hinten sei?
Der Junge glaubte zunächst, das Leitwerk der Flugzeuge sei das Vorderteil, doch seine Mutter erläuterte: „Nein, das ist das Heck. Die Nase ist das andere Ende.“
Die beiden warteten auf eine Anschlussmaschine um nach einem längeren USA-Aufenthalt nach Europa zurückzukehren. Doch diese ließ auf sich warten – sie schien geradezu vom Erdboden verschluckt zu sein. Nach einiger Zeit erschien der Pilot in der Lounge. Er trug ein Tablett mit Kaffee und Donuts, zu denen er die Mutter einlud, und sagte: „I have no idea where my plane is. I don’t know when we will depart.“
Des Rätsels Lösung fand sich, als die DC-10 aus einem Hangar auf das Rollfeld geschleppt wurde, wo mehrere Techniker anfingen, an dem defekten Hecktriebwerk herumzuwerkeln. Gegen Morgengrauen gaben sie die Reparaturversuche auf, auch, weil diese inzwischen nicht mehr dringlich waren: Eine andere Maschine der gleichen Fluglinie war gelandet. Der kleine Junge und seine Mutter konnten endlich weiterreisen.
„Du warst das einzige Kind, das in dieser Nacht nicht dauernd geweint und geschrien hat. Du hast die Flugzeuge bestaunt und warst völlig gelassen!“ sollte die Mutter ihm später immer wieder erzählen.
In Europa ließ die Familie sich zunächst in Paris nieder. Dort nahmen die Eltern den Jungen in viele Museen mit, darunter auch Naturwissenschafts- und Technikmuseen. In Le Bourget bewunderte der Junge wieder Flugzeuge. Im Palais de la Découverte sah er Funktionsmodelle eines Kernkraftwerks und einer Uranaufarbeitungsanlage. Letzteres trug vielleicht ein wenig dazu bei, dass er viele Jahre später mit einigen anderen Menschen die Nuklearia gründete und unter dem Namen Atomhörnchen Artikel zu diesem Thema schrieb.
Das 20. Jahrhundert hat viele Erfindungen hervorgebracht, die das Leben der Menschen völlig transformiert haben: zu diesen gehört auch das Flugzeug! Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts wäre jemand, der behauptet hätte, in nur fünfzig Jahren würde man den Atlantik in wenigen Stunden überqueren können, für verrückt erklärt worden. Transatlantikreisen dauerten mehrere Wochen mit dem Dampfer oder zumindest einige Tage mit dem Zeppelin. Sechs Stunden von New York nach Paris? Was für eine Maschine soll das sein, solche Geschwindigkeiten sind unmöglich, wo soll die enorme benötigte Energie herkommen?! Rauchen Sie eventuell etwas weniger Opium!
Das Flugzeug ist eines der besten Beispiele dafür, was sich mittels hoher Energieflussdichten erreichen lässt. Moderne Flugstrahlturbinen setzen auf kleinstem Raum viele Megawatt um. Die Gesamtleistung einer A380 lässt sich wie folgt abschätzen:
Die Masse des Flugzeugs beträgt 500 t, seine Reisefluggeschwindigkeit liegt bei Mach 0.85, die Gleitzahl beträgt 20. Daraus berechnet sich eine Leistung von:
[math]!P_\mathrm{A380} = 0.85 \, \cdot \, 305 \, \mathrm{m}/\mathrm{s} \, \cdot \, 500.000 \, \mathrm{kg} \, \cdot \, 9.81 \, \mathrm {m}/\mathrm{s}^2 \, \cdot \, 1/20 \approx 64 \, \mathrm{MW}[/math]
Pro Triebwerk ergibt sich eine Leistung von 16 MW, entsprechend 36 Lamborghini-Supersportwagen.
Der Luftverkehr ist unter anderem aus diesem Grunde – gewaltige Motorenleistungen und entsprechend hoher Fossilkraftstoffverbrauch – vielen Umweltschützern ein Dorn im Auge. Sie möchten ihn stark reduzieren oder sogar ganz abschaffen: Wozu auf die Seychellen, in der DDR waren die Leute doch auch mit zwei Wochen auf Hiddensee zufrieden. Es sei bemerkt, dass die fehlende Reisefreiheit ein wichtiger Faktor war, der zu Unzufriedenheit und schließlich Zusammenbruch des Staates führte.
Es taucht auch immer wieder der Vorschlag auf, Flugzeuge mit Solarenergie anzutreiben. Dies ist eine diffuse Energiequelle. Flugzeuge beruhen auf hochkonzentrierter Energiewandlung. Diese Diskrepanz sieht man deutlich, wenn man ein experimentelles Solarflugzeug und ein Düsenverkehrsflugzeug in gleichem Maßstab übereinander abbildet: Beide sind in etwa gleich ausladend – aber die Düsenmaschine transportiert über 300 Menschen bei 900 km/h, das Solarflugzeug einen Menschen bei 70 km/h.
Stellen wir uns vor, es gäbe eine Technologie, die Lichteinstrahlung vollständig in Schub umwandelt. Wie groß müssten die Flügel sein, damit 64 MW erreicht werden? Unter optimalen Bedingungen – über der Wolkendecke, Sonnenlicht fällt senkrecht mit 1380 W/m^2 ein – ergibt sich bei einer Flügelbreite von 5 m eine Flügelspannweite von:
[math]!S = 64 \, \mathrm{MW} \, / \, 1380 \, \mathrm{W}/\mathrm{m}^2 \, / \, 5 \, \mathrm{m} \approx 9275 \, \mathrm{m}[/math]
Eine Flugzeug mit über 9 km Spannweite ist offensichtlich ebenso absurd wie der Versuch, die Solarenergie für die Luftfahrt einzusetzen. Es mag einige Spezialanwendungen für Solarflugzeuge geben – beispielsweise Server, die über den Wolken kreisen – aber als Ersatz für auf chemischer Verbrennung beruhende Flugzeugmotoren ist dies in etwa so sinnvoll wie Containerschiffe von vorgespannten Seepferdchen ziehen zu lassen.
Wie werden wir also fliegen im postfossilen Zeitalter? Die Entwicklung der Menschheit ist ihrer Natur nach extrop, sie geht von niedrigeren Energiedichten hin zu höheren und nicht etwa umgekehrt. Auf das Energiedichtennievau der Fossilkraftstoffe folgt das der Kernspaltung! Wird sie Flugzeuge antreiben können?
Als die Kernenergieforschung in den Vereinigten Staaten dem Argonne National Laboratory übergeben wurde standen das Oak Ridge National Laboratory und sein frischgebackener Direktor Alvin Weinberg mit leeren Händen da. Dr. Weinberg hatte jedoch eine Idee: Es gelang ihm, die Air Force dafür zu interessieren, ein Flugzeug zu entwickeln, das fast beliebig lange ohne Betankung fliegen konnte. Dies war zu Zeiten des Kalten Kriegs, aber noch vor der Entwicklung der ballistischen Interkontinentalraketen. Ein Bomber mit beinahe unendlicher Reichweite schien dem Militär ein beachtenswertes Projekt zu sein. Der Plan war, das Flugzeug mit einem Kernreaktor anzutreiben.
Alvin Weinberg war natürlich klar, dass dies mit hoher Sicherheit nicht realisiert werden würde. Technisch war es wohl durchaus möglich, doch er ging davon aus, dass ein Waffensystem, das im Falle eines Absturzes bereits im eigenen Land beträchtliche Schäden verursachen konnte, nicht in Produktion gehen würde – was ja auch stimmte: Die Erfindung der ICBM ließ den Langstreckenbomber sowieso zum Auslaufmodell werden. Alvin Weinberg hatte vielmehr nur einen Vorwand gesucht, um weiterhin an Kerntechnikprojekten arbeiten zu können. Das Ergebnis war die Entwicklung des Flüssigsalzreaktors.
Man könnte sich freilich vorstellen, einen Kernreaktor wie den Flugschreiber derart hermetisch zu panzern, dass er selbst bei Frontalaufprall der Maschine auf eine Bergwand nicht zerstört würde. Doch es ist höchstwahrscheinlich viel praktikabler, den Reaktor am Boden zu lassen und zur Synfuelproduktion für Flugzeuge zu nutzen!
Elektrizität und Prozesswärme, die ein Reaktor mit hoher Betriebstemperatur wie ein TRISO-HTR oder DFR liefert, können in einem kombinierten Elektro- und Thermolyseverfahren Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. In der Sowjetunion wurde das Experimentalflugzeug Tu-155 erfolgreich mit Wasserstoff betrieben. Verschiedene visionäre Flugzeugprojekte, wie das hypersonische LAPCAT, eine Designstudie von Reaction Engines Ltd., der Firma, die auch das Raumschiff Skylon entwickelt, nutzen Wasserstoff als Treibstoff.
Wasserstoff ist jedoch recht schwierig zu handhaben, aufgrund seiner geringen Dichte und Flüchtigkeit und seiner Neigung, durch viele Materialien hindurch zu diffundieren. Auch benötigt seine Kompression und/oder Verflüssigung beträchtliche zusätzliche Energiemengen. Aus diesen Gründen bevorzugen viele Ingenieure Treibstoffe mit höherem Molekulargewicht.
Aus Wasserstoff und atmosphärischem Stickstoff kann Ammoniak oder Hydrazin hergestellt werden. Vor allem letzteres ist ein guter chemischer Treibstoff, der schon seit langer Zeit in Raketentriebwerken eingesetzt wird. Unter Nutzung ultrabilliger Energie aus modernen Kernreaktoren wird auch der Einsatz in Flugzeugturbinen ökonomisch. Aus Wasser und Silica (Siliziumdioxid) ließen sich ferner Silane herstellen, die aufgrund der festen Verbrennungsprodukte zwar für konventionelle Turbinen ungeeignet, aber für Ram- und Scramjets ein ausgezeichneter Treibstoff sein könnten.
Aber auch kohlenstoffbasierte Flugtreibstoffe ließen sich unter Zuhilfenahme eines Hochtemperaturreaktors erzeugen – völlig klimaneutral ohne Nutzung von Erdöl: Kohlenstoffhaltige Abfälle aller Art, Haus-, Industrie- und Landwirtschaftsmüll, sogar Abwässer, ließen sich mit einer nuklear angetriebenen Plasmafackel in Wasserstoff und Kohlenmonoxid (sog. Syngas) zerlegen, woraus mittels Fischer-Tropsch-Synthese Kohlenwasserstoffkraftstoffe erzeugt werden könnten.
Auch Vorrichtungen zur Extraktion des Kohlendioxids aus der Luft wurden bereits getestet. Zusammen mit Wasserstoff können aus diesem Methanol und Methan erzeugt werden, die wiederum als Ausgangsstoff für komplexere Kohlenwasserstoffe dienen.
Folgende Grafik zeigt alle Treibstoffsyntheseverfahren auf einen Blick:
Egal, welche Antriebsvariante sich für Flugzeuge der Zukunft durchsetzen wird – es ist klar, dass wir fliegen werden! Die Entwicklung der Menschheit ist extrop. Das bedeutet: Höhere Informationdichten, mehr Wissen, mehr Fähigkeiten das Universum zu verändern und in ihm zu handeln. Wir werden in den kommenden Jahrzehnten neue, leistungsstarke Flugzeuge entwickeln, hypersonische Clipper die in vier Stunden oder weniger von Paris nach Sydney fliegen und auch Weltraumflugzeuge a la Skylon für den billigen Transport von Menschen und Fracht bis in die Erdumlaufbahn.
Eine Gesellschaft, die solche Technologien in großem Maßstab einsetzt kann sich nicht auf diffuse Energiequellen verlassen. Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts trieb das Photon die menschliche Zivilisation an: Vor der industriellen Revolution in Form von Solarenergie, indirekt genutzt via Wind, Wasser und Biomasse, später durch Verbrennung fossiler Energieträger (denn auch chemische Reaktionen beruhen auf der elektromagnetischen Wechselwirkung deren Austauschteilchen das Photon ist). Nun kommt dieses Elementarteilchen an seine Grenzen: Es muss vom Gluon, das den Atomkern zusammenhält und millionen- bis milliardenmal stärkere Kräfte vermittelt, abgelöst werden. Wir können das Gluonenfeld mit Kernreaktoren abgreifen: Gegenwärtig thermische und schnelle Spaltungsreaktoren, zukünftig Fusionsreaktoren. Dadurch, dass die Menschheit in diesen Bereich hochkonzentrierter Energie vordringt, eröffnen sich ihr neue Möglichkeiten: Industrieprozesse und -verfahren stehen zur Verfügung, die bisher nicht ökonomisch einsetzbar waren.
Die Perspektive, dass wir uns nicht zu niedrigeren Energieflussdichten zurückentwickeln, sondern zu höheren voranschreiten, erfüllt mich mit Freude und Aufregung, vielleicht ein wenig so, wie damals, als ich klein war, die Flugzeuge auf dem Kennedy-Airport. Ich wäre sehr glücklich, wenn es mir gelänge, andere Menschen an dieser Faszination teilhaben zu lassen.