Der Verein beklagt falsche Maßstäbe, ungleiche Behandlung und Missachtung europäischer Klimarechtsgrundsätze im erstinstanzlichen Urteil.
Nuklearia begründet Antrag auf Berufungszulassung
Der Nuklearia e. V. hat am 9. Dezember 2025 beim Oberverwaltungsgericht Magdeburg die Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Halle eingereicht. Letzteres hatte zuvor die Klage des Vereins gegen die Entscheidung des Umweltbundesamts abgewiesen, die Nuklearia nicht als Umweltvereinigung anzuerkennen.
In seiner Begründung macht der Verein geltend, das Urteil beruhe auf Fehlinterpretationen seiner Satzung, auf Annahmen ohne Tatsachengrundlage und auf einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber anderen Umweltorganisationen, die in ähnlicher Weise arbeiten.
Rechtsanwalt Dr. Kai Hentschelmann: »Das Verwaltungsgericht Halle hat den rechtlich gebotenen Prüfungsmaßstab verlassen. Statt die Satzung auszulegen, wurden Annahmen über angebliche Motive getroffen. Solche Mutmaßungen sind im Anerkennungsrecht unzulässig und stehen nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.«
Rainer Klute, Vorsitzender Nuklearia e. V.: »Unsere Arbeitsweise entspricht im Kern dem, was viele anerkannte Umweltvereine tun: informieren, beraten, wissenschaftliche Grundlagen erläutern. Der technische Schwerpunkt ist rechtlich kein Unterscheidungsmerkmal.«
Die vollständige Antragsbegründung stellen wir Medienvertretern auf Anfrage gerne zur Verfügung. Nachfolgend erläutern wir die wichtigsten Punkte der Begründung.
Hintergrund und ausführliche Zusammenfassung der Begründung
Die Begründung des Zulassungsantrags ist umfangreich und folgt der juristischen Struktur des Verwaltungsprozessrechts. Die wichtigsten Argumentationsstränge lassen sich wie folgt zusammenfassen:
A. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
Der Verein macht geltend, dass das Urteil des VG Halle auf grundlegenden Rechtsfehlern und fehlerhaften Tatsachenannahmen beruhe. Drei Themen stehen im Mittelpunkt:
1. Falscher Prüfungsmaßstab: Unterstellung »eigentlicher Ziele« statt Auslegung der Satzung
Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass bei Anerkennungsverfahren allein der Satzungstext maßgeblich ist. Gerichte dürfen keine Mutmaßungen über »eigentliche Ziele« anstellen.
Das Verwaltungsgericht Halle habe jedoch genau dies getan: Es unterstelle, der Verein wolle Kernenergie »an sich« fördern, obwohl die Satzung eindeutig den Umwelt- und Klimaschutz an erste Stelle setzt und obwohl die Gemeinnützigkeitsprüfung wirtschaftliche oder eigennützige Interessen ausschließt.
Die Nuklearia sieht darin eine rechtswidrige Motivprüfung, die vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich untersagt wurde.
2. Verkennung der Zulässigkeit technikorientierter Umweltarbeit
Ein weiterer zentraler Punkt der Antragsbegründung ist, dass Umweltschutzziele auch mittelbar über technische Lösungen verfolgt werden dürfen.
Dass Umweltschutzziele über technische Lösungen verfolgt werden können, entspricht der behördlichen Anerkennungspraxis. Beispiele sind:
- Die Allianz pro Schiene fördert ein Verkehrssystem,
- der Deutsche Bahnkunden-Verband arbeitet mit technischen Verbesserungen des Bahnverkehrs,
- der Solarenergie-Förderverein setzt ausdrücklich auf Solarenergie.
Alle diese Vereine wurden als Umweltvereinigungen anerkannt.
Die Tätigkeit der Nuklearia sei strukturell identisch: Vermittlung wissenschaftlicher Informationen, Öffentlichkeitsarbeit, Beratung, Teilnahme an Umwelt- und Energiediskussionen. Unterschiede bestünden nur im technischen Schwerpunkt, nicht aber in der Art der Arbeit.
Nach Ansicht der Nuklearia hat das VG Halle diesen wesentlichen Zusammenhang übersehen.
3. Europarechtlicher Kontext: Kernenergie als anerkannte klimarelevante Technologie
Die Begründung des Vereins verweist darauf, dass die EU und internationale Institutionen Kernenergie als emissionsarme Technologie einordnen – etwa das Gericht der Europäischen Union, das feststellte, dass Kernenergie »nahezu keine Treibhausgasemissionen« verursacht. Auf der UN-Klimakonferenz COP 28 wurde Kernenergie erstmals ausdrücklich als Technologie genannt, die zum Erreichen der Klimaziele beitragen kann.
Wenn europäische und internationale Umweltpolitik die Kernenergie als klimarelevante Technologie anerkennt, kann sie im deutschen Anerkennungsrecht kein Ausschlusskriterium sein.
B. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
Der Verein sieht in dem Fall Fragen von grundsätzlicher Tragweite:
- Darf technische Umweltarbeit unterschiedlich bewertet werden?
- Welche Rolle spielt Technologieoffenheit im Umweltverbandsrecht?
- Wie ist der satzungsmäßige Umweltschutzzweck im Anerkennungsverfahren auszulegen?
- Welche Bedeutung hat die Anerkennung der Kernenergie im EU-Recht für die Auslegung des Umweltschutzbegriffs?
Diese Fragen betreffen nicht nur die Nuklearia, sondern alle Umweltvereine mit technischen Arbeitsschwerpunkten, etwa im Verkehrs-, Energie- oder Ressourceneffizienzbereich.
C. Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO)
Die Begründung rügt mehrere Verfahrensfehler:
- Das Gericht habe ohne Beweis Tatsachen angenommen, etwa über angebliche Ziele des Vereins.
- Es habe den Vortrag der Nuklearia nicht vollständig berücksichtigt, insbesondere zu ihrer tatsächlichen Arbeit der letzten Jahre, die ausführlich dokumentiert ist.
- Damit habe das Gericht gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen.
D. Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO)
Divergenzen – also Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – sieht die Nuklearia im VG-Urteil gleich in drei zentralen Punkten:
1. Satzungsbezogene Prüfung
Das VG Halle habe nicht – wie vorgeschrieben – die Satzung ausgelegt, sondern eine unzulässige Motivprüfung vorgenommen.
2. Technologieoffenheit
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Umweltschutzbegriff breit und technologieoffen. Das VG Halle deute ihn hingegen verengt.
3. Neutralität gegenüber politischen oder technischen Ansichten
Umweltvereinigungen dürfen politisch wirken; Gerichte dürfen deren Schwerpunkt nicht als Nachteil werten. Das VG Halle stelle jedoch die politische Arbeit der Nuklearia negativ dar.
Dies seien eigenständige abstrakte Rechtssätze, die von der BVerwG-Rechtsprechung abweichen und damit die Zulassung der Berufung rechtfertigen.
E. Korrektur nicht tragender Erwägungen
Obwohl einige Passagen des VG-Urteils nach Aussage des Gerichts »nicht entscheidungserheblich« waren, korrigiert die Nuklearia sie, um Fehlinterpretationen für künftige Verfahren zu vermeiden.
Dazu gehören:
- falsche Annahmen über frühere Tätigkeiten des Vereins,
- die Behauptung, der Verein fördere Kerntechnik »an sich«,
- sowie die Behauptung, die Tätigkeit sei nicht umweltbezogen.
Die Nuklearia zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus ihrer Arbeit, dass sie seit Jahren klar umwelt- und klimaschutzorientiert tätig ist.