Von Robert Meister
Zehn Jahre ist das Tōhoku-Erdbeben in Japan jetzt her. Am 11. März 2011 kam es im im Nordosten Japans zu einem gewaltigen Erdbeben. Es führte es zu einem Tsunami, einer Flutwelle, die weit ins Landesinnere reichte und Tausende von Menschen in den Tod riss. Betroffen waren auch die Kernkraftwerke Onagawa, Fukushima-Daiichi und Fukushima-Daini. In Fukushima-Daiichi kam es zu schwersten Beschädigungen und radioaktiven Freisetzungen.
In dieser Artikelserie kommen verschiedene Menschen zu Wort. Sie erzählen, wie sie persönlich diese Tage erlebt haben und wie es sie verändert hat. Den Anfang macht Robert Meister. Als Teamleiter war er im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi vor Ort.
Ich war im März 2011 als Projektleiter mit meinem Team in Fukushima. Unser Team nahm an einer internationalen Vergleichsstudie zur Ultraschallprüftechnik an dickwandigen Primärkomponenten in der Anlage Fukushima-Daiichi in Block 4 teil. Am Freitag, dem 11. März, waren wir mit Vorbereitungen im Kontrollbereich beschäftigt. Als uns um 14:46 Uhr (06:46 Uhr deutscher Zeit) das erste Beben mit der Stärke 9,0 erreichte, war ein Teil der Mannschaft im Maschinenhaus und der zweite Teil am Eingang zum Containment.
Während des 4 bis 5 Minuten dauernden Hauptbebens und auch während der anschließenden Evakuierung des Kontrollbereichs brach keine Panik aus. Die ca. 800 Arbeiter im Block 4 verließen erstaunlich ruhig und diszipliniert den Kontrollbereich, wobei sogar alle Umkleideprozeduren eingehalten wurden.
Unser aus 10 Mann bestehendes Team sammelte sich vollständig am Ausgang von Block 4. Da eine Tsunamiwarnung ausgegeben wurde, mussten wir uns auf einen ca. 30 Höhenmeter gelegenen Sammelplatz (ca. 800 m vom Meer entfernt) einfinden. Da wir direkt aus der Anlage kamen, hatte keiner von uns Kreditkarten, Geld, Ausweis oder Telefon bei sich. Weil es in Japan im Umkleidebereich keine Schränke, sondern nur Korbfächer gibt, waren sämtliche Wertsachen im Büro geblieben. Es gab keine Möglichkeit mehr, unser Büro zu betreten.
Vom Sammelplatz gingen wir aufgrund der starken Nachbeben gesammelt in das erdbebensichere Hauptgebäude des Betreibers. Dort bekamen wir die ersten Informationen über die Situation und wurden strahlenschutztechnisch versorgt. Alle waren kontaminationsfrei.
Der Betreiber hatte diese Situation schnell organisiert, und wir wurden mit Keksen, Wasser und Decken versorgt. Da es ständig sehr starke Nachbeben gab (mehrmals pro Stunde zwischen 6 und vereinzelt bis 8), verblieben wir zunächst in der Hauptzentrale.
Bereits am Spätnachmittag deutscher Zeit des 11. März konnten wir über einen Account des Betreibers eine Nachricht an unsere Firma senden. Diese hatte sofort ein Team eingesetzt mit der Aufgabe, unsere Angehörigen über unsere Unversehrtheit zu unterrichten und die Rückreise zu organisieren. Die erste Nacht verbrachten wir auf der Anlage im Hauptgebäude des Betreibers.
Am frühen Morgen des 12. März wurden alle nicht vor Ort benötigten Personen in ein Lager in den Bergen evakuiert. In Anbetracht der dramatischen Situation entlang der gesamten Küste mit Ausfall von Strom, Wasser, Telefon und der durch Erdbeben und Tsunami entstandenen Schäden war die japanische Organisation hervorragend.
Im Lager wurden wir mit Lebensmitteln und Decken versorgt. Eine alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern ermöglichte uns mit Hilfe ihres Smartphones E-Mail-Korrespondenz mit Zuhause zu halten. Hier verbrachten wir die zweite Nacht.
Zusammen mit unseren Partnern vor Ort und der Firmenleitung bzw. einem Spezialteam war es gelungen, uns nur 52 Stunden nach den Ereignissen über Peking in Richtung Heimat zu schicken. Im Flieger nach Deutschland verbrachten wir die dritte Nacht.
Ich kann mich an kaum ein Ereignis in meinem Leben noch so genau erinnern wie dieses.
3 Antworten
Ein sehr ausführlicher Bericht und es wird auf den Tsunami hingewiesen, der viel Leid brachte. Und genau jenes Leid der Tsunami-Hinterbliebenen wurde in Deutschland medial ausgeschlachtet und politisch missbraucht. In Baden-Württemberg traf dann auch der politische Super-GAU ein.
Eine seriöse und unaufgeregte Berichterstattung ist mittlerweile zur Ausnahme geworden. Als gelte es, den Betreiber nicht nur wegen der realen Fehler, die sich nun als fatal erwiesen, zur Verantwortung zu ziehen, sondern dessen Ruf auf breiter Front zu zerstören als dilettantisch. Unklar ist mir nur, wer dafür verantwortlich war, die Grenzwerte nach der Katastrophe so niedrig anzusetzen, der weit unter der natürlichen Radioaktivitaät an vielen Orten der Welt liegt. Auch die hastige Evakuierung, die hunderte Menschen – vor allem Schwerkranke – das Leben kostete … dazu sind mir keine Konsequenzen bekannt. Müssten nicht jene, die mit ihrer übertriebenen Panikmache den Tod vieler zu verantworten haben, dafür zur Rechenschaft gezogen werden?
Danke für diesen Beitrag, der u.a. aufzeigt, daß nach dem Tsunami und der Beschädigung des KKW keine panische und kopflose Situation herrschte. Ergänzend hierzu auch die Äußerungen eines Kollegen von Herrn Meister in einem aktuellen QUARKS-Beitrag zu Fukushima (25min), für den ein Team im Dez-2020 erneut vor Ort war.
Darin ist auch ein Augenzeugenbericht von Herrn Gordon Hünies, der damals ebenfalls mit dem Materialprüfungsteam aus DE vor Ort war (2:12). Er erzählt auch von dem Wackeln im KKW, dem anfänglichen Zurückweichen des Meeres und dem folgenden Heranrollen des Tsunamis.