Von Dirk Egelkraut und Rainer Klute
Am 27. Februar 2017 ging Block 1 des russischen Kernkraftwerks Nowoworonesch II nach erfolgreichem Abschluss der letzten Tests in den kommerziellen Leistungsbetrieb über. Der Reaktor des Typs WWER-1200 ist damit der weltweit erste Druckwasserreaktor der Generation III+, der im regulären Stromversorgungsbetrieb läuft. Er ist Vorreiter einer neuen Kernreaktorgeneration. Die ersten Exemplare weiterer Reaktortypen, wie der europäische EPR oder der amerikanische AP-1000, befinden sich derzeit noch im Bau.
Eine Stadt für ein Kernkraftwerk
In den 1950ern Jahren entstand am Ufer des Don südlich der Stadt Woronesch eine neue Stadt: der »Atomgrad« Nowoworonesch. Mit ihm entstand das gleichnamige Kernkraftwerk, das erste kommerzielle der Sowjetunion. Igor Kurtschatow, der Vater der Stadt und des Kraftwerks, hatte für die Realisierung der Anlage gegen einen Staatsapparat angekämpft, die seine Idee für zu kostspielig hielt. Schließlich war es Nikita Chruschtschow persönlich, der den Bau genehmigte. Damit war der Weg frei für den ersten WWER, den Water-Water Energetic Reactor, der das meistgebaute Reaktormodell der Welt werden sollte.
Vermutlich würde Kurtschatow staunen, könnte er sehen, wie weit es »seine« Reaktoren am heutigen Tag geschafft haben. Der WWER-1200 liefert immerhin die sechsfache Leistung der ersten WWER-Einheit. Russland unterstreicht damit nicht nur seine Vorreiterrolle in der Kerntechnik, sondern hat mit dem WWER-1200 auch ein international gefragtes Reaktormodell geschaffen, das den Export russischer Nukleartechnik weiter beflügelt. Bereits mit dem Vorgängermodell WWER-1000 erzielte der staatliche Nuklearkonzern Rosatom Exporterfolge. Längst konnte Russland aus dem Schatten seiner Tschernobyl-Vergangenheit heraustreten.
WWER-1200 bietet verbesserte Leistung, Effizienz und Sicherheit
Was macht den WWER-1200 so besonders? Dr. Jonathan Cobb von der World Nuclear Association nennt die Anlage »ein weiteres Beispiel dafür, wie Nuklearunternehmen neue Technik und neue Auslegungen entwickeln, um Leistung, Effizienz und Sicherheit von Kernreaktoren zu verbessern.« Hannes Wimmer, Experte des TÜV Süd, der den Reaktortyp für Siemens prüfte, resümiert: »Westliche Sicherheitsstandards werden eingehalten oder sogar übertroffen.«
Die WWER-1200 ist gegen Erdbeben und Flugzeugabstürze ausgelegt und kommt selbst bei völligem Stromausfall wie alle Generation-III+-Reaktoren tagelang ohne aktive Kühlung aus. Einen »Station Blackout« wie in Fukushima-Daiichi hätte der WWER-1200 lange genug weggesteckt, um wirksame Hilfsmaßnahmen einleiten zu können. Anders als in Japan verfügt der WWER-1200 über einen Kernfänger, der den geschmolzenen Brennstoff kontrolliert aufgenommen hätte.
Ausführliche Informationen in der Nucleopedia
Aus Anlass der kommerziellen Inbetriebnahme von Nowoworonesch II 1 veröffentlicht die Deutsche Nucleopedia in Zusammenarbeit mit der Nuklearia einen ausführlichen Artikel zum Reaktordesign des WWER-1200.
6 Antworten
Für eine Energiewende hin zur Vernunft!
Gibts Infos zu den Baukosten/Wartungskosten?
Ist Lastfolgebetrieb möglich? Wie schnell kann hoch-/runtergeregelt werden? Mindest-Einspeiseleistung?
Was für einen Flugzeugabsturz hält das Reaktorgebäude aus? Auch einen A380?
Alles im Artikel der Nucleopedia zu finden in folgenden Abschnitten:
* Bau/Wartungskosten -> Wirtschaftlichkeit
* Lastfolgebetrieb und Manövrierfähigkeit-> Steuerungstechnik
* Flugzeugabsturz (da gibt es verschiedene Konzepte) -> Bau und Konstruktion.
Hier spoiler ich mal: Die russischen Anlagen sind mit dem sekundären Containment nur für eine Chessna geeignet, die primären Containments können auch große Verkehrsflugzeuge wie eine Boeing 747 abfangen. Die exportierten Anlagen außerhalb von Russland und Belarus haben mit dem primären Containment von 1,2 Metern Dicke bereits die Kapazität ein solches Flugzeug abzufangen, mit dem sekundären Containment mit 2,2 Meter stärke können sie auch einen A380 standhalten. Wobei es beim Absturz eher darauf ankommt, wie viel Energie auf einen kleinen Punkt einwirkt. Kleinere Flugzeuge wie Kampfjets mit hoher Geschwindigkeit und trotz der kleineren Masse haben schwerere Folgen als eine große Maschine, die flächig wirkt.
http://de.nucleopedia.org/wiki/WWER-1200
Was habt ihr eigentlich immer mit eurem A380 ??
Warum exportieren die den, wenn die den BN-800 haben ?
Oder anders herum, warum sollte man den WWER-1200 kaufen ?
Weil die meisten Unternehmen Leichtwasserreaktoren vorziehen, da:
* Leichtwasserreaktoren erprobt und etabliert sind
* Die Kosten kalkulierbar sind
* Das Know-How größer ist als bei anderen Reaktortypen
* Die Unsicherheiten abwägbarer sind, die politisch und gesellschaftlicher entstehen.
Im direkten Vergleich zum BN-800 muss man anmerken, dass es sich beim BN-800 lediglich um einen Demonstrationsreaktor handelt, aber nicht um ein vollständig kommerzielles Design. Entsprechend dessen liegen auch die Kosten für den Bau eines solchen Reaktors höher als beim WWER-1200, dessen Kosten aufgrund der Zeichnungsähnlichkeit zu bereits errichteten Reaktoren wie Kudankulam-1 und 2, sowie Tianwan-1 und 2, genauer eingeschätzt werden können und es keine Bauteile gibt, die erstmalig eingesetzt werden – bedeutet im Umkehrschluss, dass man nicht das Risiko eingeht, dass große Komponenten getauscht werden müssen oder gar die Anlage ein finanzieller Totalschaden wird.
Russland bietet ansonsten den BN-800 nicht aktiv im Ausland an, da der Markt hierfür derzeit noch eher klein ist. Lediglich im Forschungsbereich sind zwei Einheiten für China eventuell noch auf der Agenda, aber hier auch nur als Sprungbrett zu einem kommerziellen chinesischen schnellen Reaktor. Man kann vermutlich erwarten, dass man mit dem BN-1200, sollte er erfolgreich sein, auch in den Export geht. Hierzu müssen aber die Käuferländer auch entsprechend qualifiziert sein.
Der letzte Punkt ist, dass Russland beim WWER-1200 eine Lokalisierungsrate anbietet, die sich pro Reaktor steigern kann. Hierdurch profitiert also nicht nur Russland vom Export dieses Designs, sondern auch die Käuferländer. Hierzu muss aber auch eine Qualifizierung der Unternehmen vorhanden sein, wobei es hier viel einfacher ist, da durch die geringere Komplexität des Leichtwasserreaktors keine extrem großen Ansprüche erfüllt werden müssen, wie bei einem schnellen Reaktor.