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Taiwan: Erdrutsch-Sieg für Kernenergie

In Taiwan konnten Kernkraft-Aktivisten am 24. November einen großen Erfolg feiern: Per Volksabstimmung lehnten die Bürger den Atomausstieg bis 2025 mit klarer Mehrheit ab. Michael Shellenberger war dabei. Hier sein Bericht:

Taiwans Kernkraftaktivisten Yen-Peng Liao (links) und Shih-Hsiu Huang (rechts)

Überraschend deutlich erteilten die taiwanesischen Wähler am Samstag dem von der Regierung gewollten Ausstieg aus der Kernenergie mit 59 zu 41 Prozent eine deutliche Abfuhr.

59 Prozent der Wähler für Kernenergie

Kernkraftfreunde in Taiwan jubelten, und Freudentränen flossen, als gegen 22:15 Uhr Ortszeit klar wurde, dass sie die fünf Millionen Stimmen gewonnen hatten, die für einen Erfolg des Referendum zum Ausstieg aus dem Atomausstieg nötig waren.

»Wir werden die Regierung unverzüglich auffordern, die nicht in Betrieb befindlichen Reaktoren wieder in Betrieb zu nehmen und die Lebensdauer der übrigen zu verlängern«, sagte Shih-Hsiu Huang, Mitorganisator des Referendums »Go Green with Nuclear« (»Grün durch Kernenergie«).

Bis zu diesem Zeitpunkt waren 5.894.570 Stimmen für die Aufhebung des Atomausstiegs und 4.013.621 Stimmen gegen die Initiative ausgezählt.

»Wenn die Regierung jetzt nicht das Richtige tut, werden wir 2020 ein weiteres Kernkraft-Referendum zur Abstimmung stellen«, sagte Huang, Physiker und Mitbegründer von Nuclear Mythbuster.

Pro-nukleare Aktivisten informieren im Vorfeld der Wahl über Kernenergie

Enttäuschendes Ergebnis für die Regierungspartei

Nach der Abschaltung eines Kernreaktors erlitt Taiwan im vergangenen Jahr einen massiven Stromausfall, der die lebenswichtige Halbleiterindustrie der Nation gefährdete.

Eine von Kernkraftfreunden vor der Abstimmung bei Trend Survey Research in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass eines der stärksten Argumente für Kernenergie »Solar und Wind sind unzuverlässig und teuer«, was bei 71 Prozent auf Zustimmung traf.

Die nukleare Lobbyarbeit, die die Wähler ständig an den Stromausfall erinnerte, könnte mit dazu beigetragen haben, dass viele Kandidaten der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) Taiwans bei den zugleich stattgefundenen Kommunalwahlen scheiterten.

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen kündigte in einer Stellungnahme am Samstag an, dass sie nach dieser »enttäuschenden Leistung« als Parteivorsitzende zurücktreten werde.

Nach Ansicht von Meinungsforschern macht es der Ausgang der Abstimmung pro-nuklearen Politikern in Taiwan nun leichter, offen für Kernenergie einzutreten.

Der ehemalige Premierminister Simon Chang sagte mir, Atommüll sei nach wie vor ein großes Problem für das taiwanesische Volk. Chang, der gemäßigt pro-nuklear ist, wird als starker Präsidentschaftskandidat für die Wahlen im Januar 2020 gehandelt.

Pro-nukleare Aktivisten trugen entscheidend zum Erfolg des Referendums bei

Graswurzel-Aktivisten scheinen bei diesem Sieg eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Die Umfrage von Trend ergab, dass 52 Prozent der Wähler das Referendum unterstützten – sieben Prozentpunkte weniger als bei der Abstimmung selbst.

»Ich mache mir keine Sorgen darüber, die Stimmenmehrheit zu bekommen«, sagte mir Huang am vergangenen Montag. »Was mir Sorgen macht, ist die Frage, ob genügend Leute zur Wahl gehen.«

Angesichts dieser Herausforderung zogen pro-nukleare Freiwillige mit Eisbärmasken durch das ganze Land, um an Bahnhöfen und in Parks die Unterstützung von Umweltschützern für die Abstimmung zu gewinnen. Ich war vom 16. – 19. November mit ihnen unterwegs und habe dabei Wähler befragt.

Aktivisten an der Basis trugen entscheidend zu diesem Wahlsieg bei

Während Anti-Atomaktivisten schickes Kampagnenmaterial mit kleinen Geschenke aus Seidenpapier verteilten und stark auf den Seitenflächen von Bussen warben, fehlten den Pro-Kernkraft-Freunden die Mittel dazu, Werbung einzukaufen.

Stattdessen verbreiten sie Fakten über Kernenergie durch Veranstaltungen mit freiwilligen Helfern, durch kostengünstige Flyer und über Facebook. Huangs Gruppe, Nuclear Mythbuster, begann als Facebook-Seite.

Da sich Taiwans Stromversorger Taipower, der die Kernkraftwerke betreibt, in öffentlichem Besitz befindet, wurde ihm verboten, die pro-nuklearen Aktivisten zu unterstützen.

Stimmen für und gegen Kernenergie

Gegner der Kernenergie sagten mir, der Reaktorunfall 2011 in Fukushima mache ihnen Angst. Taiwan könne die Kernenergie durch Solar-, Geothermie- und andere erneuerbare Energien ersetzen.

»Ich unterstütze den Atomausstieg«, sagte mir Sam Huang (41) in der Innenstadt von Taipeh. »Wir leben in einer Erdbebenzone.« Er bestätigte, dass der Atomausstieg zwar die Strompreise erhöhen würde, meinte aber, das sei die Sache wert.

Keiner der von mir befragten Atomkraftgegner konnte jedoch viel dazu sagen – von den üblichen Diskussionspunkten einmal abgesehen –, warum sie eigentlich gegen diese Technik seien. Mehrere gaben zu, es sei ihnen peinlich, keine Antworten auf meine Fragen zu haben.

Im Unterschied dazu hatten pro-nukleare Wähler sehr viel mehr zu sagen. »Ich unterstütze die Kernenergie, weil wir unsere Energie sonst importieren müssten«, sagte Gong-Jen Shu (68). »Sonne und Wind sind unzuverlässig, weil sie wetterabhängig sind.«

»Unser stärkstes Argument sind die hohen wirtschaftlichen Kosten des Atomausstiegs«, sagte Yen-Peng Liao, ein weiterer Go-Green-Organisator, »gefolgt von der Angst vor zukünftigen Blackouts und vor Luftverschmutzung.«

Taiwanesen stehen der Meinungsforschung eher misstrauisch gegenüber. In der Vergangenheit hatten Meinungsforscher unwissenschaftliche Umfragen veröffentlicht, um die Meinung der Wähler zu manipulieren. Das taiwanesische Wahlgesetz verbot daher Huang die Veröffentlichung der Umfrageergebnisse vor der Wahl.

Aber die Organisatoren von »Go Green with Nuclear« sagten, bei Trend sei das anders. »Wir haben Trend beauftragt, weil sie ein vertrauenswürdiges Unternehmen sind«, sagte Huang. Die beiden zeigten mir ihr Call Center, das voller Aktivität war.

Mit Hungerstreik gegen die Wahlkommission

Huang erregte die Aufmerksamkeit der internationalen Medien, als er im vergangenen September in einen Hungerstreik trat. Die von der Regierung kontrollierte Wahlkommission hatte versucht, das Referendum zu verhindern.

Wissenschaftler protestierten gegen diese Entscheidung der Wahlkommission, und der Klimawissenschaftler James Hansen sorgte einige Tage später durch einen persönlichen Besuch bei Huang für landesweite Aufmerksamkeit in den Medien. Hansen sprach sich für das Referendum aus.

Huangs Freund Liao schloss sich dem Hungerstreik an, nachdem Huang ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Zwei Monate später – nämlich am vergangenen Montag – besuchte ich ein Rockkonzert zur Förderung des »Go Green«-Referendums, bei dem Liao als Frontmann auftrat.

Pro-nukleares Rockkonzern in Taipeh

Der Sieg des Referendums ist umso bemerkenswerter, als das taiwanesische Wahlgesetz vorschreibt, dass Wähler, die bei einem Referendum abstimmen wollen, einen besonderen Antrag stellen müssen, nachdem sie ihre Stimme bei der »normalen« Wahl abgegeben haben.

Warum ich meine Meinung über Kernenergie geändert habe

In einem Park im Zentrum Taiwans hatte ich ein freundliches Gespräch mit zwei Atomkraftgegnern, die den Kernkraftfreunden zahlenmäßig mit 10 zu 1 unterlegen waren.

Ich war überrascht, als eine der beiden, eine junge Frau namens Wren, mir gegenüber zugab, dass in Fukushima niemand an der Strahlenbelastung gestorben sei. Normalerweise behaupten Anti-Atomgruppen, dass Tausende von Menschen umgekommen seien.

Der Anti-Atom-Flyer, den Wren mir gab, bewarb Erdgas als Alternative zur Kernenergie. Er stellte sogar die Behauptung auf, durch den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke würde mehr Kohle verbrannt.

Michael and Wren

Bevor ich ging, erzählte ich Wren von meinem TEDx-Vortrag »Warum ich meine Meinung über Kernenergie geändert habe«. Ihr Gesicht strahlte auf: »Kann ich mir das irgendwo ansehen?«

Ich gab ihr meine Visitenkarte und sagte ihr, dass der Vortrag online sei. Nach diesem freundschaftlichen Gespräch posierten wir zusammen für ein Foto, und dann mussten die Eisbären und ich los, um unseren Zug zum nächsten Einsatzort zu kriegen.


Fotos: Michael Shellenberger

Dieser Beitrag erschien im Original bei Forbes: „Pro-Nuclear Activists Win Landslide Electoral Victory In Taiwan“.


7 Antworten

  1. »Sonne und Wind sind unzuverlässig, weil sie wetterabhängig sind.« das ist richtig, sind sehr teuer, Landschaftsverschandelnd.
    Bin für Kernenergie, weil preiswert. Radioaktive Strahlung ist sehr viel harmloser als die durch die Medien in Deutschland verdummten Bürger denken.
    Aber mit Kernenergie hilft man nicht dem Klima (scheint Nuklearia wohl auch zu glauben??). CO2 hat keinen Einfluss auf das Klima. Lässt sich leicht beweisen.
    Grüsse Detlef Rostock
    detlef_rostock@hotmail.com

    1. In der Nuklearia sind sowohl Menschen vertreten, die Treibhausgasen einen Einfluss auf das Klima zubilligen, als auch Menschen, die das nicht tun. Völlig unbeeindruckt dadurch, wer in der Nuklearia wovon überzeugt ist, oder gar, was »die Nuklearia« glaubt, ist die internationale Politik darauf ausgerichtet, CO2-Emissionen zu reduzieren. Selbstverständlich werden wir nicht verschweigen, dass Kernenergie eine ganz hervorragend wirksame Maßnahme ist, dieses Ziel zu erreichen.

    2. Dieser Beweis wüde mich interessieren, da ich als Mitarbeiter eine KKW auch dieser Ansicht bin: CO2 kann nicht der Grund für die Klimaerwärmung sein, da in den letzten 200’000 Jahren die Gletscher viele Male ins Flachland vorstiessen, und eben so viele Male ganz verschwanden, ganz ohne CO2 produzierende Menschen. Wenn vor diesem Hintergrund der Mensch die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad C limitieren will, ist das fast lächerlich.
      chrigra@gmx.ch

        1. So, und damit lassen wir es dann mal bewenden. Weitere Kommentare bitte nur noch zum Thema des Artikels. Das ist, wenn ich daran erinnern darf, das Atomausstiegs-Referendum in Taiwan.

  2. Es ist doch vollkommen egal, ob Klimawandel CO2 getrieben ist oder nicht.
    Wenn ja, ist Kernkraft eine wesentliche Säule der Decarbonisierung, wenn nein ist Kernkraft effizienter, sauberer,Ressourceschonender, nachhaltiger und zukunftssicherer als fossile Brennstoffe.

  3. Selbst wenn man der Überzeugung ist, dass CO2 keinen Beitrag zum Klimawandel leistet, zeigen die Wetteraufzeichnungen, dass ein solcher stattfindet. In diesem Fall sind großangelegte Geoengineering-Programme notwendig, die am ehesten mit einer starken Wirtschaft und einem Mindset, das technischen Fortschritt für wünschenswert hält, durchgeführt werden können.

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