…und das Piratenschiff versank leise blubbernd in den kalten schwarzen Fluten des Unterfünfprozent-Ozeans…
Ich werde an dieser Stelle nicht untersuchen, weshalb die einstigen Hoffnungsträger abgestürzt sind, denn dieser Aufgabe haben sich hunderte anderer Blogs gewidmed, alle mit mehr oder weniger demselben Ergebnis: Eine unkoordinierte unreife Truppe, die sich vorwiegend mit sich selbst beschäftigt.
Doch dum spiro spero, noch ist nicht aller Tage Abend und was dazugehört! Wer sagt, dass sich nicht der Phönix aus der Asche erheben kann, vielleicht in Form von „Piraten 2.0“?!
Eventuell könnten diese von der grundlegenden Philosophie her der Piratenpartei 1.0 ähneln, sich jedoch nicht so sehr als klassische Partei mit Vollprogramm begreifen, sondern vielmehr als Diskussions- und Testplattform für völlig neuartige Ideen zur Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme. Frei nach dem Motto „Scheuklappen und Denkverbote findest du überall aber nicht bei uns“ werden dabei auch unkonventionelle Konzepte berücksichtigt, zum Beispiel die der Nuklearia.
Schnell viele Integral Fast Reactors zur Energieversorgung bauen wäre unter Gesichtspunkten des Umweltschutzes, der Industrie und der Wirtschaft äußerst sinnvoll – jedoch ist ein solches Projekt in Deutschland in den kommenden Jahren aufgrund mangelnder sozialer Akzeptanz nicht umsetzbar. Russland, China, Indien, Südkorea und einige andere Länder werden vorangehen müssen.
Dennoch könnten die Konzepte der Nuklearia im Programm der Piraten 2.0 ihren Platz finden. Anstatt „schnell viele schnelle Leistungsreaktoren bauen“ – in Deutschland zur Zeit undenkbar – sollten die Forderungen in Richtung „Forschung und Entwicklung zum Recycling des Atommülls“ gehen!
Selbst Kernkraftgegner machen sich inzwischen teilweise klar, dass die bestrahlten, transuranhaltigen Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren nun mal vorhanden sind und sich nicht in Luft auflösen. Ein System, das sie recyceln kann, wurde bereits entwickelt: Der Integral Fast Reactor (IFR) bzw. seine kommerziellen Inkarnationen von GE Hitachi – PRISM (Power Reactor Innovative Small Module) und ARC (Advanced Recycling Center, mehrere PRISM plus Pyroprozessor). Da der Bau von IFRs jedoch momentan in Deutschland nicht realistisch ist, könnten die Deutschen sich darauf verlegen, eine andere Spielart schneller Reaktoren zu entwickeln, die bisher noch nicht so weit ausgereift ist wie der IFR.
In den 1960ern wurde ein experimenteller Flüssigsalzreaktor (Molten Salt Reactor – Abk. MSR) mehrere Jahre lang erfolgreich betrieben. Danach wurden MSR jedoch in theoretische Paper und Computersimulationen verbannt. Es existieren Dutzende von interessanten Konzepten und Entwürfen für diese Spielart der Gen. IV-Reaktoren: Moderierter MSR, schneller MSR mit einem einzelnen Salzkreislauf, schneller MSR mit separatem Brutsalzkreislauf, Dual-Fluid-Reaktor… so interessant diese Designs alle sind, solange keine Praxiserfahrung mit ihnen vorliegt, lassen sich keine wirklich konkreten Aussagen über ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten treffen. Was dringend benötigt wird, ist eine Art „EBR-II-Erlebnis“ mit Flüssigsalzreaktoren. Es müssen Versuchsanlagen zum praktischen Test dieser Systeme her!
Genau hier könnte das Kerntechnikprogramm der Piraten 2.0 ansetzen:
Einrichtung eines Flüssigsalzreaktorforschungszentrums zur Atommüll-Transmutation
Die Piratenpartei 2.0 Deutschlands stellt sich der Aufgabe einer Umstellung der Energieversorgung auf postfossile Quellen. Hierbei sind Erneuerbare ein wichtiges Standbein, aufgrund ihrer geringen Energieflussdichten jedoch alleine unzureichend. Ferner steht das Problem der Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus den bis 2022 vom Netz gehenden Kernkraftwerken ins Haus, darunter insbesondere der hochradioaktiven bestrahlten Brennelemente, die aufgrund ihres Gehaltes an Aktiniden, u.a. Plutonium 239, und ihrer hohen Radiotoxizität eine besondere Herausforderung darstellen.
Ein vielversprechender Ansatz zur Lösung beider Probleme ist die Transmutation des Aktinidenanteils des Atommülls. Durch Umwandlung der schweren Kerne in leichtere kann die Zeit, die das Substanzgemisch benötigt, um die Radiotoxizität von Natururan zu unterschreiten, von über Hunderttausend Jahren auf wenige Jahrhunderte gesenkt werden. Diese Umwandlung ist durch Bestrahlung mit schnellen Neutronen möglich. Diese können entweder in schnellen Kernspaltungsreaktoren, oder in subkritischen beschleunigergetriebenen Anlagen oder aber in zukünftigen Fusionsreaktoren (Tokamak, Stellarator, Polywell, Inertial Confinement, Z-Maschine u.a.) erzeugt werden.
Unter den schnellen Spaltungsreaktoren ist der Flüssigsalzreaktor ein interessantes Konzept, da sich in ihm inhärente Sicherheit und hohe Reaktionsraten realisieren lassen und seine Betriebstemperatur gute thermische Wirkungsgrade bei der Stromerzeugung wie auch industrielle Prozesswärmenutzung ermöglicht.
Jedoch gab es bisher erst ein einziges Flüssigsalzreaktor-Versuchsprojekt, das Molten-Salt Reactor Experiment (MSRE) in den 1960er Jahren. Damit diese Technologie zur Einsatzreife gebracht werden kann, sind weitere praktische Experimente nötig.
Daher setzen wir uns für die Schaffung eines Forschungszentrums zur Erprobung von Flüssigsalzreaktoren zur Aktinidentransmutation ein.
Ziele des Projektes sind:
1. Einrichtung einer zentrale Sammel- und Aufbewahrungsstelle für bestrahlte Brennelemente aus herkömmlichen Kernkraftwerken in Deutschland.
2. Bau mehrerer experimenteller Flüssigsalzreaktoren zum praktischen Test unterschiedlicher Systemkonfigurationen. Vorab wird ein Gremium von Kernphysikern und -technikern unter den vielen vorgeschlagenen Konzepten (darunter Einphasen-Flüssigsalzreaktor, Zweiphasen-Flüssigsalzreaktor, Dual-Fluid-Reaktor u.v.m.) eine kleinere Anzahl auswählen, die in dem Zentrum konstruiert und erprobt werden sollen. Bezüglich der Systemgröße sollten thermische Leistungen zwischen 10 und 100 MW gewählt werden, ähnlich dem Experimentalreaktor EBR-II des Argonne National Laboratory in den USA.
3. Im Rahmen der Experimente sind die Reaktoren bezüglich ihrer Transmutationsleistung, ihrer Dynamik, ihres Verhaltens in sicherheitsrelevanten Situation (z. B. Unterbrechung der Kühlpumpenstromversorgung), sowie ihrer Eignung zur Erzeugung von Elektrizität und Prozesswärme zu testen.
4. Es soll eine international herausragende Kompetenzbasis für Flüssigsalzreaktoren geschaffen werden – in Form umfangreicher Forschungsergebnisse und exzellent ausgebildeter Wissenschaftler. Hierzu ist die Einrichtung von Lehrstühlen und Studienangeboten an deutschen Hochschulen im Bereich Kerntechnik mit besonderem Schwerpunkt Flüssigsalzreaktortechnik erforderlich.
5. Aus den Forschungsergebnissen soll sich ein kommerziell in großem Maßstab produzier- und einsetzbares Reaktordesign herauskristallisieren (vergleichbar mit dem Integral Fast Reactor bzw. PRISM als Ergebnis des EBR-II-Projektes), das einerseits zur Transmutation langlebiger aktinidenhaltiger Abfälle aus herkömmlichen Kernkraftwerken, aber auch zur Strom- und Prozesswärmeerzeugung und eventuell für andere industrielle Anwendungen geeignet ist.
Das Forschungszentrum, das auf einer Fläche von einigen Quadratkilometern errichtet werden kann, umfasst dabei neben den Reaktoren, Pyroprozessanlagen, Turbinenhallen, Laboratorien, Werkstätten u. ä. auch Lagerräume, deren Größe es erlaubt, alle in Deutschland anfallenden bestrahlten Brennelemente aus herkömmlichen Kernkraftwerken aufzunehmen und sicher unterzubringen. Ein gewisser Anteil des Materials wird dabei entnommen und mittels Pyroprozess weiterverarbeitet zur Gewinnung von Spaltstoff für die Reaktoren.
Das bedeutet, dass das Endlagersuchgesetz in ein Transmutationsforschungsgesetz umgewandelt wird, dem zufolge bestrahlte Brennelemente zentral an dem Ort gelagert werden sollen, an dem die Technologien zu ihrer „Entschärfung“ entwickelt werden.
Nach dem Abschluss der Forschungsarbeiten (Zeithorizont 10 – 20 Jahre) wird über die weitere Vorgehensweise entschieden: Entweder bleibt das Material vor Ort und wird dort mittels weiterer (größerer) Reaktoren aufgebraucht, oder man entschließt sich zum Einsatz der Flüssigsalzreaktoren in großem Umfang, insbesondere in Form kleiner modularer Reaktoren zur lokalisierten Versorgung von Industriebetrieben. In letzterem Fall wird das Material aus dem Lager entnommen und zu Reaktorbrennstoff verarbeitet. Eventuell ließe sich sowohl eine Fabrik für die Reaktoren, wie auch ein Aggregat zur Aufarbeitung des Brennstoffs – quasi ein vergrößerter Pyroprozessor – auf dem Gelände des Forschungszentrums bzw. in seiner Umgebung errichten.
Durch praktische Erforschung der Technologie der schnellen Flüssigsalzreaktoren könnte Deutschland sich eine internationale Spitzenstellung bezüglich der Lösung des Problems der Entsorgung von Kernreaktorabfällen, der Erzeugung postfossiler Energie und neuer Industrieverfahren erarbeiten.
So oder ähnlich könnte ein Programmpunkt der Piraten 2.0 zum Thema Kernenergie aussehen. Damit hätten sie in der deutschen Politik ein Alleinstellungsmerkmal!
Bemerkenswerterweise würde ein solcher Programmpunkt übrigens keinesfalls dem momentanen Wahlprogramm der Piraten 1.0 widersprechen – denn diesem zufolge sind wissenschaftliche Anlagen vom Atomausstieg ausgenommen – und wäre auch mit dem zur Zeit gültigen Atomgesetz konform, sofern die erzeugte Elektrizität nicht verkauft werden soll. Daher scheint mir, der obige Text ließe sich in einen feinen Programmantrag verwandeln, nicht nur für die hypothetischen Piraten 2.0, sondern auch für die real existierende Partei… sofern es gelingt, die von zahllosen Shitstürmen geschlagenen Lecks des orangefarbenen Schiffs abzudichten und den Untergang in den brausenden Wogen des Politischen Ozeans doch noch zu vermeiden.