Sehr oft liest man Aussagen in der Art von: „Uran und Thorium sind, genauso wie Öl, Gas oder Kohle, begrenzte Ressourcen auf der Erde – deshalb reicht Uran auch nicht viel länger als das Öl!“
Aber stimmt das überhaupt?
Betrachten wir die unterschiedliche Herkunft von fossilen Energieträgern und Schwermetallen. Erstere bildeten sich im Laufe der Erdgeschichte aus toten Organismen, durch chemische Prozesse in der Erdkruste. Nur an wenigen Stellen herrschten die nötigen Bedingungen, damit diese Prozesse ablaufen konnten. Deshalb findet man fossile Energieträger heute nur an relativ wenigen Orten auf der Erde. Wurde eine bestimmte Öl-, Gas- oder Kohlelagerstätte ausgebeutet, dann ist dort nichts mehr vorhanden, die Quelle ist erschöpft.
Metalle dagegen entstanden vor der Formung der Erde aus dem zirkumsolaren Gas- und Staubnebel in gewaltigen Sternexplosionen, die sie ins All schleuderten. Bei der Entstehung der Planeten waren die Metalle schon in dem sich verdichtenden Material vorhanden. Deshalb sind sie heute recht gleichförmig über die ganze Erdkruste verteilt. Freilich sind sie in bestimmten Mineralien konzentrierter als in anderen – aber mit einer gewissen Konzentration sind in jedem Gestein Uran und Thorium enthalten.
Welches Gestein man nun als „Erz“ ansieht, in dem Sinne, dass sich der Abbau energetisch lohnt, hängt ganz einfach davon ab, wieviel Energie man aus einer bestimmten Menge Uran herausziehen kann. Herkömmliche Kernkraftwerke sind dabei überraschend ineffizient: Sie nutzen nur 0.7% der Uranressource! Woran liegt dies? Die Neutronen in gebräuchlichen Leistungsreaktoren werden durch Kollisionen mit leichten Atomkernen – meist Wasserstoff in Wasser, das zugleich als Kühlmittel dient, aber auch Kohlenstoff in den britischen, gasgekühlten MAGNOX-Reaktoren oder Schwerer Wasserstoff (Deuterium) in den kanadischen CANDU-Systemen – bis auf thermische Geschwindigkeiten heruntergebremst. „Thermische Gechwindigkeiten“ bedeutet, dass sie in etwa die gleiche kinetische Energie aufweisen wie die umgebenden Atome dank ihrer thermischen Bewegung. Thermische Neutronen lösen vorwiegend Spaltungen in Uran 235 aus. Dieses macht aber nur 0.7% des gesamten Urans aus, das allermeiste ist Uran 238 – daher die sehr niedrige Effizienz. Damit die Kettenreaktion funktioniert, benutzen die meisten Reaktoren leicht angereichteres Uran, in dem der Anteil an U235 erhöht ist. Die Anreicherungsanlagen produzieren als „Abfall“ (warum in Anführungsstrichen – das sehen wir gleich!) abgereichertes Uran das fast nur aus U238 besteht. Leider wird es manchmal wegen seiner hohen Dichte benutzt, um Spitzen von panzerbrechenden Granaten herzustellen. Im Reaktor wird im wesentlichen U235 gespalten. Das U238 in den Brennstäben, und das abgereicherte Uran bleiben ungenutzt, zusammen mit Plutonium und anderen Transuranen, die sich durch Neutroneneinfang aus U238 bilden und heute als langlebiger „Atommüll“ gefürchtet sind.
Es stellt sich sofort die Frage, ob man das Uran nicht viel effizienter nutzen könnte, wenn man irgendwie auch U238 spalten könnte! Die Antwort lautet: Das geht! Und zwar mit einem Trick, den man „Brüten“ nennt.
Erinnern wir uns, dass sich aus U238 durch Einfang von Neutronen Plutonium bildet, insbesondere Pu239 durch folgende Kernreaktion:
[math]! {^{238}\mathrm{U}} + \mathrm{n}\rightarrow {^{239}\mathrm{U}} \rightarrow \beta^- \mathrm{Zerfall } \rightarrow {^{239}\mathrm{Np}} \rightarrow \beta^- \mathrm{Zerfall } \rightarrow {^{239}\mathrm{Pu}}[/math]
Uran 238 fängt ein Neutron ein, wird zu Uran 239, das durch zweit aufeinanderfolgende [math]\beta^-[/math]-Zerfälle erst zu Neptunium 239, dann zu Plutonium 239 wird.
Natürlich geht das Neutron, das in das U238 „eingebaut“ wurde, der Kettenreaktion verloren! Deshalb müssen, damit der Brutmechanismus funktioniert, pro Spaltung besonders viele Neutronen erzeugt werden. Das klappt, wenn man als Spaltstoff nicht U235, sondern Pu239 nutzt, und zwar unter Nutzung schneller, ungebremster Neutronen, denn diese spalten nicht nur das Pu239 mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit, wenn sie seinen Kern treffen, nein, bei der Spaltung entsteht auch noch eine besonders hohe Neutronenanzahl, so dass der Verlust des zur Transmutation des U238 genutzten Neutrons verschmerzt werden kann.
Der gesamte Prozess, der im Reaktor abläuft, sieht nun in Formelschreibweise so aus (die Zwischenschritte mit den [math]\beta^-[/math]-Zerfällen sind hier weggelassen, da sie für den Gesamtprozess nicht so wichtig sind):
[math]! {^{238}\mathrm{U}} + \mathrm{n}_\mathrm{Brut} \rightarrow {^{239}\mathrm{Pu}}[/math]
[math]! {^{239}\mathrm{Pu}} + \mathrm{n}_\mathrm{Spalt} \rightarrow \mathrm{Spaltprodukte} + \mathrm{n}_\mathrm{Brut} + \mathrm{n}_\mathrm{Spalt} + \mathrm{n}_\mathrm{Verlust} \\ + \sim 200 \mathrm{MeV}[/math]
Man hat sich die Gesamtreaktion so zu denken, dass [math]\mathrm{n}_\mathrm{Spalt}[/math] und [math]\mathrm{n}_\mathrm{Brut}[/math], die auf der rechten Seite der zweiten Formel produziert werden, auf der linken Seite der zweiten (Spalt) bzw. auf der linken Seite der ersten (Brut) wieder hereinkommen. Dadurch ist der Kreislauf geschlossen. Das U238 wird „verbrannt“ mit Pu239 als Katalysator.
Eine geringfügige Umwandlung von U238 in Pu239, sowie Spaltung des erzeugten Pu239, findet auch in thermischen Reaktoren statt. Damit der Reaktor aber genauso viel Plutonium aus Uran herstellt, wie er verbraucht, oder sogar noch mehr – z. Bsp. zum Start weiterer Reaktoren – sind schnelle Neutronen nötig. Der Neutronenregenerationsfaktor:
[math]! \eta = \frac{\mathrm{Mittle \, Anzahl \, der \, Spaltneutronen}}{\mathrm{Anzahl \, der \, im \, Spaltstoff \, absorbierten \, Neutronen}}[/math]
der angibt, wieviele Neutronen durchschnittlich nachproduziert werden pro Neutron, das im Spaltstoff (hier Plutonium) absorbiert wird, beträgt nämlich bei thermischen Energien nur 2.1, bei schnellen Neutronen dagegen 2.64! Damit Plutonium effizient produziert werden kann, muss der Faktor möglichst weit über 2 liegen: Ein Neutron muss U238 umwandeln, eines die Kettenreaktion weiterführen, und ein gewisser Anteil geht verloren, z. Bsp. durch Entweichen aus dem Reaktor oder Absorption in Strukturmaterial.
Reaktoren, die mehr Spaltstoff herstellen als sie verbrauchen, nennt man Brüter, in diesem besonderen Fall „Schnelle Brüter“, weil die Neutronen in ihnen schnell sind (nicht etwa weil sie „schnell brüten“). Damit die Neutronen nicht zu sehr abgebremst werden, müssen alle leichten Atomkerne möglichst aus dem Reaktor ferngehalten werden. Denn Neutronen geben durch Stöße viel mehr Energie an leichte als an schwere Kerne ab. Man veranschauliche sich dies mit dem Modell, dass ein Ball, der auf einen anderen, etwa gleichschweren, Ball prallt, diesen fortstößt – also viel von seiner Energie auf ihn überträgt. Stößt er dagegen an ein Auto, prallt er beinahe mit seiner ursprünglichen Energie zurück, ohne viel verloren zu haben.
Man nutzt als Kühlmittel in Schnellen Reaktoren daher flüssige Metalle: meist Natrium, aber auch Gemische von Blei und Bismuth wurden erprobt. Natrium ist jedoch günstiger, da es zum einen eine geringere Dichte hat als Blei und daher Pumpen deutlicher geringerer Leistung genügen, zum anderen hat Blei die unangenehme Eigenschaft, andere Metalle anzugreifen. Man vermutet, dass dies zu technischen Problemen in den sowjetischen Alfa-U-Booten führte, die von bleigekühlten Reaktoren angetrieben wurden. Eine andere Option ist Helium als Kühlmittel. Es hat zwar ein geringes Atomgewicht, aber die Neutronen werden dennoch nicht zu stark abgebremst, da die Dichte in einem Gas natürlich sehr gering ist.
Es gibt auch andere mögliche Brutreaktionen. Eine davon ist die Thorium-Brutreaktion: Thorium (das vorwiegend in Form des Isotops Th232 vorkommt) ist selbst nicht spaltbar, es kann jedoch daraus das spaltbare U233 erbrütet werden:
[math]! {^{232}\mathrm{Th}} + \mathrm{n}\rightarrow {^{233}\mathrm{Th}} \rightarrow \beta^- \mathrm{Zerfall } \rightarrow {^{233}\mathrm{Pa}} \rightarrow \beta^- \mathrm{Zerfall } \rightarrow {^{233}\mathrm{U}}[/math]
Über das Zwischenprodukt Protactinium wird hier das spaltbare U233 aus dem nicht spaltbaren Th232 erzeugt.
Spaltbare Nuklide wie U233, U235 und Pu239 nennt man „fissil“. Nicht spaltbare, die aber in spaltbare umgewandelt werden können, so wie Th232 und U238, nennt man „fertil“.
Thoriumbrut ist mit etwas Geschick übrigens sogar im thermischen Spektrum möglich, denn bei U233 ist auch für langsame Neutronen [math]\eta = 2.49[/math] was bei einem günstig konstruierten Reaktor (geringe Leckverluste!) zur Brut ausreicht. Dies versucht man u. a. in Thorium-Flüssigsalzreaktoren zu nutzen.
Auch die erste Generation der möglicherweise in der Zukunft zur Verfügung stehen werdenden Fusionsreaktoren wird vermutlich eine Art „Brüter“ sein. Hier ist fertile Material Lithium, das mit Tritium (überschwerem Wasserstoff [math]{^3\mathrm{H}}[/math]) als Katalysator und Deuterium [math]{^2\mathrm{H}}[/math] als Reaktionspartner thermonuklear verbrannt wird. Es existieren zwei verschiedene Brutreaktionen:
[math]! {^6\mathrm{Li}} + \mathrm{n} \rightarrow {^4\mathrm{He}} + {^3\mathrm{H}} + 2.75 \, \mathrm{MeV}[/math]
und
[math]! {^7\mathrm{Li}} + \mathrm{n} \rightarrow {^4\mathrm{He}} + {^3\mathrm{H}} + \mathrm{n}[/math]
Die zweite Reaktion verläuft endotherm, verbraucht daher Energie. Sie setzt jedoch ein neues Neutron frei, so dass Verluste ausgeglichen werden können. Zusätzlich können Blei oder Beryllium als Neutronenmultiplikator in den Brutmantel des Fusionsreaktors eingebracht werden, um eine hohe Brutrate zu gewährleisten.
Die Gesamtreaktion des (noch zu entwickelnden) thermonuklearen Brüters sieht am Beispiel der Li7-Reaktion so aus:
[math]! {^{7}\mathrm{Li}} + \mathrm{n}_\mathrm{Brut} \rightarrow {^{3}\mathrm{H}}[/math]
[math]! {^{3}\mathrm{H}} + {^2\mathrm{H}} \rightarrow {^4\mathrm{He}} + \mathrm{n}_\mathrm{Brut} + 14.1 \mathrm{MeV}[/math]
Das in der zweiten Reaktion erzeugte Brutneutron kommt wieder in die erste hinein! Die Brennstoffkombination des Fusionskraftwerks ist daher Lithium und Deuterium, die im Gegensatz zu Tritium beide natürlich vorkommen. Fusionskraftwerke der zweiten Generation werden eventuell mit reinen Deuteriumgemischen arbeiten, oder auch mit Wasserstoff-Bor-Kombinationen.
Was sagt uns all die nun über die Reichweite von Kernbrennstoffen auf der Erde?
Die Antwort lautet: Sie sind praktisch unbegrenzt!
Brüter können aus den Ressourcen Uran und Thorium so viel Energie herausholen – ein Tonne Uran reicht für ein Gigawattjahr Elektrizität: man kann also ein 1 GW(e)-Kraftwerk ein Jahr lang mit nur einer Tonne Schwermetall betreiben – dass auch Mineralien mit geringeren Uran- oder Thoriumanteilen als die momentan verwendeten Erze energetisch sinnvoll nutzbar werden, z. Bsp. Phosphate oder Tonschiefer. Selbst das Extrahieren von Uran aus dem Meerwasser ist möglich. Sogar das Aufschmelzen von ganz gewöhnlichem Krustenfels würde sich von der Energiebilanz her lohnen!
Dadurch werden die Kernbrennstoffressourcen praktisch unendlich. Mit Brutreaktoren wird die Kernenergie zu einer Quelle, die Jahrzehntausende, eventuell sogar Jahrmilliarden lang vorhält: bis die Sonne die Hauptreihe verlässt und zum Roten Riesen wird. Man kann den Brüter daher mit Recht und Fug bei den Erneuerbaren einreihen:
- Ressourcen reichen über transhistorische Zeiträume hinweg
- Keine Treibhausgasemissionen
- Durch Recycling der Transurane entsteht auch kein langlebiger radioaktiver Abfall
Alles Eigenschaften, die man gemeinhin mit der Solarenergie und anderen regenerativen Quellen assoziiert! Im Gegensatz zu dieser sind Brüter jedoch sehr platzsparend (um drei Größenordnungen weniger Flächenbedarf als Erneuerbare Energien), bedingungslos grundlastfähig und außerdem sowohl in der Lage, schon vorhandenen Atommüll zu zerstören (indem die Transurane und das U238 in ihm in den Reaktorkern eingebracht werden) wie auch nützliche Prozesswärme für die Industrie zu erzeugen.
Warum haben wir diese Maschinen noch nicht?
Bisher galten Brüter als unrentabel. Sie werden daher nur vereinzelt eingesetzt, meist zu Forschungszwecken. Wenn jedoch das in den USA fast abgeschlossene Integral Fast Reactor (IFR) – Programm im Rahmen eines neuen industriellen Forschungsprojektes zu Ende geführt und ein modularer, in Fabriken serienmäßig herstellbarer Brutreaktor entwickelt wird, dann könnte sich das bald ändern: Eventuell gehören Energieknappheit, massenhafte Kohlendioxid-Emissionen, Luftverschmutzung und langlebiger Atommüll schon bald der Vergangenheit an!
3 Antworten
Nur so nebenbei, Der IFR ist nicht der einzige schnelle Brüter. Auch Indien, China und Russland haben diese Technologie entwickelt, und sind sogar dabei welche zu bauen (im Gegensatz zu USA). 7 neue 500MW FBR sollen in Indien Entstehen (erster schon im bau), 3 neue 800MW sollen in China und Russland Entstehen (der Russische bereits im bau) und Russland plant 1200/1600MW Anlagen. der Russische SVBR und BREST sind modulare schnelle Brüter, die sich bereits in Fortgeschrittenem Stadium befinden (erste SVBR bis 2017, Erste BREST 2020 geplant)
Russland hat auch seit 30 Jahren erfolgreich ihren BN-600 Reaktor betrieben, womit die Russen auch die meiste Erfahrung mit Langzeitbetrieb von großen, Schnellen Brütern haben. USA haben also die Vorherrschaft auf dem Gebiet schneller Brüter schon seit längerer Zeit verloren.
Ja, das stimmt. In der Tat zeichnet sich ab, dass die Technik wohl nicht in den USA, sondern anderswo bis zur Serienreife entwickelt werden wird: Russland, Indien oder eventuell China. Es sei jedoch bemerkt, dass die USA bislang am meisten Erfahrung mit metallischen Reaktorkernen (anstatt Oxid) und der zugehörigen Pyroprocessing-Aufbereitung haben. Metallische Brennelemente bieten nicht nur größte Sicherheit, sondern auch größte Aufbereitungseffizienz: Durch Pyroprocessing ließen sich 99.9% der langlebigen Transurane abtrennen und zurück in den Reaktor transportieren.
Nicht zu vergessen Großbritannien, wo GE-Hitachi Chancen größer Null hat, zwei PRISM-Reaktoren zum Vernichten der britischen Plutoniumvorräte zu bauen.