Von Dieter König
Der Reaktorunfall in Fukushima geriet im deutschsprachigen Raum zum medialen Großereignis. Nach den Explosionen im Kernkraftwerk war der Schweizer Dieter König davon überzeugt, dass dieses Teufelszeug weg müsse. Im zweiten Teil unserer Artikelserie »Mein Fukushima« erzählt er davon, wie es bei ihm dann doch eher widerwillig zu einem Sinneswandel kam.
Wie viele andere, so verfolgte auch ich wie gebannt die Meldungen aus Fukushima. Eine wirklich klare Haltung zur Kernenergie hatte ich bis dahin nicht, eher so etwa »Lieber nicht, wenn es auch ohne geht!«
Dann explodierte vor laufender Kamera ein Kernkraftwerk wegen des Wasserstoffs. Danach schien mir meine Haltung sehr klar: »Weg mit dem Teufelszeug Atomkraft, so rasch wie nur möglich!«
Was mich damals vor allem schockierte, war die Hilflosigkeit der Behörden. Ich hoffte naiverweise auf eine Art gut ausgerüstete und internationale »schnelle Eingreiftruppe für nukleare Havarien«, die jetzt hoffentlich binnen der nächsten Tage zum Einsatz käme.
Nichts da! Stattdessen las ich den mich sehr provozierenden Artikel “Why Fukushima made me stop worrying and love nuclear power” des britischen Journalisten George Monbiot, welcher mich definitiv in eine Art Schnappatmung versetzte.
Ich beschloss unverzüglich, diesem zynischen Dummschwätzer zumindest symbolisch das Handwerk zu legen, indem ich jedes einzelne seiner Pro-Kernenergie-Argumente zerpflückte und widerlegte.
Nun hat Monbiot eine gute Angewohnheit: Er belegt jeden einzelnen Punkt in seinen Argumentationsketten. Ich scheiterte krachend! Ich konnte Monbiot nicht widerlegen, sondern fand im Gegenteil seine Gedankengänge schlüssig und plausibel.
Aber konnte es denn sein, dass Monbiot richtig lag, die überwältigende Mehrheit der Journalisten aber falsch? Was war mit den selbstlosen Kämpfern für die Umwelt wie Greenpeace, was mit all den grünen Politikern? Bestimmt hatte ich etwas nicht begriffen, etwas übersehen oder falsch verstanden und deshalb die falschen Schlüsse gezogen. Es musste einfach nur an mir liegen!
Nach einem längeren Prozess dämmerte es mir dann allmählich, dass es nicht an mir lag, sondern dass es tatsächlich eine Art »Kollektiv-Illusion« gab und immer noch gibt. Sie wird von einer sehr großen Mehrheit der deutschsprachigen Medienschaffenden, fast allen Politikern links der Mitte und praktisch allen grünen NGOs geteilt.
Danach fing ich an, einschlägige Statistiken und Studien zu konsultieren, zum Beispiel zur Anzahl der Opfer pro erzeugter Terawattstunde und vielen anderen Themen. Anfänglich glaubte ich aber tatsächlich noch, die sehr niedrigen Opferzahlen seien durch eine Art Verschwörung der »Atomlobby« zustande gekommen, unter aktiver Mitwirkung sonst renommierter akademischer Institutionen.
Aber irgendwann wurde die Menge an Fakten, Zahlen, statistischen Daten usw. so überwältigend groß, dass ich nun endgültig und mit sehr großem Ärger meine Position zur Kernkraft änderte und ich mich – geblendet vom gleißenden Licht der Erkenntnis 😉 (Monbiot sei Dank!) – zum leidenschaftlichen Befürworter der Kernkraft wandelte.
Seitdem habe ich allerdings mit den Ortho-Grünen (in Abgrenzung zu den Ökomodernisten) noch eine Rechnung wegen jahrzehntelanger und gezielter Desinformation offen.
2 Antworten
Das interessante an diesem aufschlussreichen Zeugnis sind die allgegenwärtigen Stereotypen, wie mit Argumenten umgegangen wird. Passt irgend was nichts ins Bild, wird in Windeseile dafür eine Erklärung gefunden, wie diese Dissonanz aufzulösen wäre. Das Stereoty Nummer 1 heißt Lobby: Angeblich gekaufte Wissenschaftler machen Gefälligkeitsgutachten. Das gibt es zwar tatsächlich, aber oft und skupelloser seitens der Ökos und Gutmenschen. In Zeiten der Cancel Culture hängt die eigen berufliche Existenz davon ab, dass man nicht als Dissident ins Abseits gerät. Vorauseilender Gehorsam ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Damit jene Wissenschaftler sich dennoch im Spiegel anscheuen können, überzeugen sie sich zuerst selbst von der Meinung, die – ganz nebenbei – auch nützlich ist. Damit haben sie ein reines gewissen, wenn sie zu Propagandisten einer gewünschten Agenda werden.
Dies trifft dann nicht nur für den Bereich der Kernenergie zu, sondern ausnahmslos alles, das irgend eine politische Relevanz hat. Freiheit der Forschung gibt es nur in den Bereichen, die keiner öffentlichen Aufmerksamkeit unterliegen … aber dafür gibt es dann auch nur wenig Geld.
Viel zu wenige aber prüfen dann das gelesene auch nach, wie es löblicher Weise Dieter König tat … obwohl die Informationen leichter und schneller zu beschaffen sind als jemals zuvor.
Mittlerweile merken es sogar die finnischen Grünen, die in der Atompolitk einen kompletten Schwenk vollzogen haben und nun die Kernkraft als Mittel gegen den Klimaschutz sehen. In Schweden hat eine rot-grüne (Minderheits)Regierung den Atomausstiegsbeschluss mit der knappsten parlamentarischen Mehrheit, die es gibt, gekippt und den Neubau von Kernkraftwerken in begrenztem Umfang erlaubt. Heißt –> für jeden abgeschalteten Block darf ein neuer Block gebaut werden.. Sind die Skandinavier wirklich klüger als der deutsche Michel?