„Nein, das ist keine Lobbygruppe, das sind so Physikstudenten!“ Dies war eine der ersten Reaktionen auf Twitter, an die ich mich erinnern kann.
Wenn auch nicht alle von uns Physik studieren, so war diese Einschätzung durchaus realistischer als die sonstigen anfänglichen Kommentare, die entweder Satire oder eben eine Industrielobbygruppe vermuteten. Es dauerte einige Zeit, bis es in der Piratenpartei zu einer akzeptierten Tatsache wurde, dass es eine AG gab, die… neue Kernkraftwerke wollte?!
Die Betonung liegt hier auf „neue“. Wenn man uns fragt, wofür und warum wir die gerne hätten, dann sind mehrere Antworten möglich: Um das Klima zu schützen! ist eine davon. Um zu vermeiden, dass riesige Landstriche mit Windkraftanlagen oder Photovoltaik bedeckt werden müssen! eine andere. Beide sind richtig. Auch: Um die Energieversorgung nach der Verknappung des Öls zu gewährleisten. Aber wenn man mich fragt, und ich auf die Schnelle antworten soll, dann sage ich meist: Zur Zerstörung des Atommülls – auch des schon vorhandenen.
Es ist für viele überraschend, dass Atommüll kein Makel der Kernenergie ist, der ihr anhaftet wie die Flöhe dem Igel, sondern dass er eine Folge der vorherrschenden Reaktortechnologie ist: thermische Kernreaktoren erzeugen als Nebenprodukt eine ganze Reihe von Transuranen, startend mit dem Plutonium. Während dieses von thermischen (langsamen) Neutronen noch mehr schlecht als recht spaltbar ist, wachsen die schwereren Isotope mit jedem Neutron, das in sie eindringt, weiter an und werden dabei immer radioaktiver.
Nicht so im schnellen Neutronenspektrum. In ihm sind alle Transurane spaltbar. Das ist eine gute Sache: Denn die Transurane sind die Hauptquelle der langfristigen radioaktiven Strahlung des Reaktorabfalls. Eliminiert man sie, bleiben nur kurzlebige Spaltprodukte übrig. Und deren gemeinsame Strahlung ist nach ca. 300 Jahren unter das Niveau von natürlichem Uranerz abgeklungen!
Niemand weiß, ob man Gebäude bauen kann, die Jahrzehntausende stabil bleiben. Aber Gebäude, die einige Jahrhunderte durchhalten, gibt es zahlreiche, z. Bsp. die Kathedralen. Radioaktives Material 300 Jahre lang einzuschließen dürfte daher keine Schwierigkeiten bereiten, vor allem da die Strahlung während dieser Zeit laufend schwächer wird. Eventuell muß das Material das Kraftwerk gar nicht verlassen, sondern kann, einem Vorschlag von Moir und Teller folgend, on site bleiben: Kernkraftwerke verfügen selbst bereits über gestaffelte Schutzvorrichtungen, so dass die „Asche“ des Spaltungsprozesses ganz einfach vor Ort abklingen kann.
Der besondere Clou daran ist, dass der Prozess sich auf den angesammelten Atommüll aus herkömmlichen Kernkraftwerken anwenden lässt: Dieser kann einem geeignet gebauten Reaktor, z. Bsp. einem Integral Fast Reactor (IFR), als Brennstoff zugeführt werden. Die Transurane darin sind im schnellen Spektrum spaltbar. Das Uran 238, aus dem der Atommüll im wesentliche besteht dient dem IFR als Primärnahrung, die er mit Plutonium 239 als Katalysator aufzehrt.
Das ist kein futuristisches Konzept wie die Kernfusion. Der IFR wurde in den 1990ern in den USA beinahe fertig entwickelt, und wäre heute schon einsatzbereit, wenn die Clinton-Regierung nicht das Projekt auf Eis gelegt hätte.
Für viele hören sich solche Möglichkeiten sehr überraschend an. Wo in Deutschland hört man schon etwas anderes im Zusammenhang mit der Kernenergie als düstere Katastrophenbefürchtungen? Im englischsprachigen Raum ist es beileibe nicht ungebräuchlich, dass Menschen sich für solche Technologien öffentlich stark machen. Und diese Leute sind keine finsteren Industrielobbyisten, sondern oft Umwelt- und Klimaschützer: Barry Brook, George Monbiot oder Bryony Worthington geben dem Konzept „Pro-Atom von links“ eine Stimme, die es in Deutschland nicht hat, vielleicht: Weil es hier noch nicht existiert?!
Da scheint bei uns eine Lücke zu existieren. Können wir einen Anfang machen, sie auszufüllen?