Ja, sie sind versichert:
- Eigenfrequenz: Darstellung der Deckungsvorsorge von Kernkraftwerken
- Atomic Insights: Real Story about Nuclear Plant Liability Insurance
- Nuclear Regulatory Commission: Price-Anderson Act
- Engl. Wikipedia: Price–Anderson Nuclear Industries Indemnity Act
TL;DR-Version: Die Betreiber kaufen sich Versicherungen, alles was darüber geht finanzieren sie selbst, indem sie in einen gemeinsamen „Schadensersatztopf“ einzahlen – in Deutschland bis 2.5 Milliarden Euro, in den USA bis 11.6 Milliarden Dollar (111.9 Millionen pro Reaktor, 104 Reaktoren gesamt). Falls Schäden diese Summen übersteigen, haften in Deutschland die Betreiber mit ihrem gesamten Vermögen, in Amerika entscheidet der Kongress, wie weiter zu verfahren ist, ggf. kann er die Betreiber belangen oder aber die Regierung kommt – nach dem Tucker-Act – dafür auf. Letzteres geschah noch nie in der Geschichte der USA, der schlimmste Nuklearunfall Amerikas (Three Mile Island – keine Schäden außerhalb des Reaktorgeländes, keine Toten, keine Verletzten) erforderte eine Auszahlung von 71 Mio. Dollar, wofür sogar die normalen Versicherungen völlig ausreichten, der „Schadensersatztopf“ musste nicht angebrochen werden.
Kritiker weisen darauf hin, dass in einem Worst-Case-Szenario (Kernschmelze, großräumige Evakuierung) die Betreiber finanziell überfordert bzw. bankrott wären, somit die Last auf den Schultern des Steuerzahlers läge und die Kernenergieerzeugung daher ein für den Bürger nicht tragbares finanzielles Risiko sei.
Ist diese Argumentationsweise sinnvoll und haltbar?
Zunächst: Genannter Kritikpunkt trifft auf jede Industrie zu. Keine Firma ist so hoch versichert, dass extrem unwahrscheinliche Zwischenfälle abgedeckt werden – so sind z. Bsp. Fluglinien nicht für den Fall versichert, dass Terroristen ein Flugzeug kapern und in einen Wolkenkratzer steuern. In solchen Fällen müssen öffentliche Töpfe zum Schadensersatz genutzt werden. Wenn man nur industrielle Aktivitäten betreiben wollte, bei denen die jeweiligen Firmen für jeden theoretisch denkbaren Schaden versichert sind, müsste man vermutlich jegliche Großtechnik einstellen.
Das bedeutet: Ja, die Bürger müssen unter sehr selten auftretenden Bedingungen durch ihre Steuern für Schäden aufkommen, genießen aber im Normalfall Vorteile durch die Leistungen, die das jeweilige Unternehmen zur Verfügung stellt – bei den Fluglinien Lufttransport, bei den Kraftwerken Energie usw.
Dies ist eine Tatsache, die zum Leben in einer Industriegesellschaft gehört, egal ob mit oder ohne Kernkraftwerken: Es sind mit einer geringen Wahrscheinlichkeit technische Katastrophen möglich, die Schäden auslösen, deren Behebung die Bürger aus ihren Finanzen – bzw. letztlich durch ihre Arbeitsleistung – ermöglichen müssen. Egal ob Raffineriebrände, Dammbrüche, Explosionen in Chemiewerken, Flugzeugabstürze über Ballungsgebieten oder eben Reaktorunfälle: Es kommt in seltenen Fällen zu umfangreichen Schäden, die die Gemeinschaft wieder in Ordnung bringen muss. Indirekt durch Geldzahlungen, oder direkt durch Arbeit und Material. Auch wenn der Schaden von den Anlagen einer privaten Firma ausgeht und diese dafür eine Versicherung abgeschlossen hat, kommt mittelbar der Bürger auf, denn die Kosten der Versicherung schlagen sich letztlich im Preis der Produkte der Firma (Energie, Transport, Güter, etc.) nieder.
Dass sich das ganze Zivilisations-Projekt „Industriegesellschaft“ dennoch für die Bürger lohnt, sieht man deutlich an dem starken, noch immer andauernden Anstieg der Lebensqualität (Lebenserwartung, medizinische Versorgung, Bildung, Mobilität, Kommunikationsmöglichkeiten…) in den industrialisierten Ländern.
Natürlich haben die Menschen umso mehr von Industrie und Technik, je geringer die im Laufe der Zeit verursachten Schäden sind, und da schneidet die Kernkraft sehr gut ab.
PROTIP: Kohlekraftwerks-Betreiber sind NICHT für Folgen des Klimawandels versichert!
Den von Kernkraftwerken bedingten gesellschaftlichen Reichtum kann man größenordnungsmäßig quantifizieren, indem man die erzeugte Energiemenge durch den Verbrauch bei der Produktion wichtiger Güter dividiert. MacKay hat die zur Herstellung verschiedener Industrieprodukte nötige Energie abgeschätzt: Without Hot Air – Ch. 15 – Stuff.
Wenn ein 1 GWe-Kernkraftwerk 40 Jahre arbeitet, erzeugt es eine Energiemenge von
[math]!E = 40 \, \mathrm{GWyrs} = 3.5 \times 10^{11} \, \mathrm{kWh}[/math]
Diese Energie erlaubt die Herstellung von:
- [math]N_C = 3.5 \times 10^{11} / 1800 \approx 200 \times 10^6[/math] Computern,
- [math]N_A = 3.5 \times 10^{11} / 76000 \approx 4.6 \times 10^6[/math] Autos,
- [math]N_H = 3.5 \times 10^{11} / 84000 \approx 4.2 \times 10^6[/math] Häusern (bezüglich der verbauten Materialien) – mehr als die Anzahl der Privathaushalte in Niedersachsen,
- oder [math]N_S = 3.5 \times 10^{11} / 35000 \approx 10 \times 10^6[/math] Metern Strasse (10.000 km) plus 40 Jahre lang Instandhaltung.
Die Nutzung einer Energieerzeugungstechnik (oder irgendeines anderen industriellen Verfahrens) lohnt sich für die Gesellschaft immer dann, wenn der durch sie erzeugte Wohlstand die Schäden im Zeitmittel überwiegt. Bei der Kernkraft, die riesige Mengen hochwertige (d.h. elektrische) Energie klimaneutral und emissionsfrei bereitstellt, ist das klar der Fall. In den westlichen Ländern kam es bisher zu noch überhaupt keinem schwerwiegenden Zwischenfall, der umfassende Evakuierungen erfordert hätte. In Fukushima waren die durch den Reaktorunfall ausgelösten Schäden sehr klein im Vergleich mit den Schäden durch Beben und Tsunami, ganz zu schweigen von psychologisch bedingten Erkrankungen durch irrationale Strahlungsfurcht. Chernobyl dagegen war ein Sonderfall, der bei Reaktoren westlicher Bauart so nicht möglich ist, da diese im Gegensatz zu dem dort eingesetzten sowjetischen Druckröhrenreaktor alle negative Temperaturkoeffizienten haben müssen (d.h. bei Erhitzung sinkt die Reaktorleistung automatisch).
Doch wie ihr, wenn ihr die anderen Artikel auf unserem Blog gelesen habt, schon wisst, ist die Diskussion der mit Leichtwasserreaktoren verknüpften Risiken und Schäden akademisch. Denn diese werden in den Nebel der Vergangenheit entschwinden, genauso wie die Zeppeline als das Zeitalter des Flugzeugs anbrach. Bei einem Integral Fast Reactor (und anderen fortschrittlichen Kernenergiesystemen wie dem Flüssigsalzreaktor) verhindern die Gesetze der Physik die unkontrollierte Freisetzung von Energie. Und die Naturgesetze brauchen keine Versicherung: Sie gelten immer und überall im Universum.
6 Antworten
Beim Flüssigsalzreaktor verhindern die Naturgesetze die Kernschmelze nicht. Da ist der Kern schon geschmolzen. Das muß so sein. 🙂
Ja, stimmt! 😉
Habe den Text gerade noch etwas in dieser Hinsicht – und an einigen anderen Stellen – verbessert.
Man braucht gar nicht von unwahrscheinlichen Störfällen oder worst case Szenarien ausgehen! Nimm einfach Tschernobyl oder Fukushima! Mit jedem der beiden Szenarien wäre die Haftungsgrenze in DE gesprengt! Wir haben keinen Pazifik vor der Haustür und auch die laut WHO rund 4.000 Toten infolge des Tschernobyl Unglücks sind keine Kleinigkeit die eine Versicherung abdeckt! Mal ganz zu schweigen der 7 Milliarden direkten Schaden und noch heute zahlt die Ukraine 5% ihres Haushalts für die laufenden Schäden! Das wohl bemerkt ist die Haftung die an der Ländergrenze aufhört! Ich wüsste nicht das die Ukraine irgendjemanden in DE oder AT entschädigt dafür das die bis heute zum Teil bestimmte Nahrungsmittel verzehren dürfen aus ihrer Region … mal den Aspekt der steigenden Schilddrüsenkrebs Erkrankungen außen vor!
Ich finde es zünisch in dem Zusammenhang Werte und Bemessungen der Versicherungswirtschaft heran zu ziehen! Stichwort Beweislast und „was kostet ein Leben“!?
Man darf sich nicht vormachen alles wäre großzügig durch Versicherung abgedeckt, selbst wenn man mal davon ausginge alles wäre taxierbar und mit Geld zu ersetzen! Wie zahlungswillig und fähig Versicherungen und selbst Entschädigungfonds sind, weiß ja jeder aus eigener Erfahrung oder dem Geschichtsbuch/Medien!
Chernobyl: Falscher Vergleich (Äpfel mit Birnen). In westlichen Ländern unzulässige Reaktorbauart, daher diese Art des Unfalls hier nicht möglich.
In Fukushima waren die Schäden um Größenordnungen geringer, als angenommen wurde/wird. Die allermeisten Gebiete in der Exclusion Zone wären wieder besiedelbar. Und ja, ich würde dahin ziehen. Man sollte in diesem Zusammenhang auch bedenken, dass Beben der Stärke 9.0 und Tsunamis in Deutschland nicht vorkommen.
1. zynisch
2. Das Thema des Artikels ist „Versicherung“, da dies oft gefragt wird. Daher geht es hier darum und um damit im Zusammenhang stehende Tatsachen.
Das was nicht versicherungstechnisch gedeckt ist, steckt in gemeinsamen „Schadensersatztöpfen“ (z. Bsp. USA: Price-Anderson-Act), darüber hinaus wäre die Regierung (d.h. die Gemeinschaft) gefragt. Ggf. haften Betreiber mit ihrem gesamten Vermögen.
Es geht natürlich letztlich nicht um Geld an sich, sondern um Wohlstand, Entwicklung und technisch-zivilisatorischen Fortschritt, der durch hochkonzentrierte Energieerzeugung ermöglicht wird – siehe Abschätzungen im Artikel. Alleine schon die Einsparung von Treibhausgasen durch die Kernkraftwerke ist ein herausragender Vorteil für die Menschen (und andere Lebewesen), der sich in der Tat kaum beziffern lässt.
Jeglicher technischer Schaden muss letztlich von der Gemeinschaft behoben werden, sei es durch Steuern oder durch etwas höhere Preise, wenn ein Unternehmen sich eine Versicherung kauft. Wenn die jeweilige Technik mehr Wohlstand generiert als Schäden verursacht, lohnt sich das ganze für die Bürger.
Wie ich im Artikel schon erwähnte, bewirkt die Produktion von (Kern-)Energie und damit auch von Gütern und Dienstleistungen (insbes. Transport) einen Wohlstandsgewinn für die Menschheit, der die bisherigen Schäden durch die Kernenergieerzeugung weit übertrifft. Mit neuen, sicheren Reaktortypen wird dieser Quotient „Wohlstandszuwachs/Schäden“ noch beträchtlich steigen.
Bezüglich „Zahlungswilligkeit“ ist die Politik gefragt – es müssen demokratische Strukturen geschaffen werden, die es erlauben, die Folgen technisch bedingter Unfälle optimal zu beheben. Dazu zählt vor allem auch die Schadensvermeidung im Vorfeld durch Förderung inhärent sicherer Technologien (Stichwort IFR/LFTR).
was kostet ein Leben…
Gute Frage… Deine Versiserung wird dir diese Frage bestimmt beantworten können, immerhin müssen sie irgend einen Marktwert für die versicherte Ware annehmen, wenn sie eine Lebensversicherung anbieten. Das selbe gilt für Regierungen, diese nehmen auch einen Marktwert an wenn sie Gesetze entwerfen. Dieser ist auch garantiert viel geringer als Unendlich. Sonnst würde es ekonomisch sinnvoll sein einen Flugverbot, Fahrverbot, ba, sogar Arbeitsverbot und Zwangsarrest in Hochsicherheitsanstallten für die gesamte Bevölkerung einzuführen. Nur die wenigsten werden zugeben das Leben ein Preisschild hat, aber es ist Naiv anzunehmen das dies nicht der Fall ist.
Die Politik der Ukraine ist in mehr als einem Punkt irrational. 4000 tote sind, bezogen auf die Millionen von Menschen die im Fallout Gebiet leben, praktisch gar nichts (Ps. nicht „Rund“, sondern „bis zu“, die WHO schließt die Möglichkeit das die Opferzahlen weitaus geringer sind nicht aus, 4000 sind nur eine Obergrenze). Ein einzelnes Kohlekraftwerk verursacht im Regelbetrieb mehr Todesopfer (Vergiftungen mit Schwermetallen, Feinstaub, krebserregende Kohlenwasserstoffverbindungen in Abgasen). Die Aufrechterhaltung der übermäßig strengen Evakuierungsbestimmungen ist ökonomisch gesehen absurd. Die Evakuierunszone sollte schon vor Jahren auf ein Bruchteil seiner Größe schrumpfen. Das könnte möglicherweise zu einigen Krebsfällen führen, anderseits würden Ersparnisse und zusätzliches einkommen aus der Rekolonisierten Zonen Geld für Medikamente und Ärzte zur Verfügung stellen, was vielen Ukrainern das Leben retten würde. Jedes Jahr gibt es in der Ukraine Tausende Todesfälle die mit besserer Gesundheitsversorgung relativ kostengünstig verhindert werden könnten.
Schilddrüsenkrebs ist eine der Krebsarten die am erfolgreichsten behandelt werden. Ob die strengen Grenzwerte für Radioaktivität in Lebensmitteln notwendig/sinnvoll sind ist Ansichtssache. Aber auch wenn man annimmt das sie sinnvoll sind, gibt es dennoch viele andere Schadstoffe, die bei Kontrollen in unzulässigen Mengen gefunden werden, Dioxine in Eiern, Schwermetalle in Fisch (teilweise mit sehr hochen Gafärdungspotential), usv. Radioaktive Stoffe haben da kein Monopol drauf, offensichtlich sind sie aber die einzigen die man auch tatsächlich zur Haftung ziehen will… Bei Kernkraft macht man halt solche ausnahmen 😛
Und auch Private Versicherer schützen nicht vor Verstaatlichung der Schäden. z.B. wurde AIG de facto Verstaatlicht, nachdem Amerikanische Spekulationsblase platzte und die von dieser Firma versicherten Kredite als nicht rückzahlbar eingestuft wurden. Ich Frage mich wieso überhaupt einen Privaten Versicherer. Die Regulierenden Behörden die für Sicherheit sorgen sind auch nicht Privat. Die Betreiber sollten einfach eine Risikosteuer direkt an den Statt (oder die Regulierende Behörde) bezahlen, und so den nervigen Zwischenhändler Versicherung eliminieren.
Wer versichert eigentlich die Grünen dafür, daß Sie uns ins mittelalter zurückbefördern wollen?
Interessanter Artikel von Donna Laframboise, zu finden bei EIKE:
http://www.eike-klima-energie.eu/news-cache/wenn-man-von-kindern-redet/
Welche Folgeschäden wird die Senkung des Energieverbrauchs mit sich ziehen? Andere Wohlstandsmodelle? Weniger Wohlstand, dafür mehr Gras rauchen dürfen?