StartseiteAktuellBlog
Von Extinction Rebellion zur Kernenergie
Von Extinction Rebellion zur Kernenergie
Veröffentlicht am 2020-06-27
Von Rainer Klute
Zurück Weiter
1

Gastbeitrag von Zion Lights

Zion Lights, britische Umweltschützerin und ehemalige Aktivistin von Extinction Rebellion, erregte Ende Juni einiges Aufsehen. Warum? Weil sie Extinction Rebellion den Rücken gekehrt hat und sich nun für die Kernenergie einsetzt. In einem Artikel bei City A.M. erläutert sie ihre Gründe für diesen Schritt. Sie fordert alle Umweltschützer in Großbritannien auf, sich ebenfalls zur Kernenergie zu bekennen und sie zu unterstützen.

Wir bringen den Betrag von Zion Lights mit freundlicher Genehmigung als deutsche Übersetzung.

Weil die Lockdown-Maßnahmen, die uns in den letzten drei Monaten so vertraut geworden sind, langsam gelockert werden, wird nun diskutiert, wie die Erholung von den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Krise auf eine Weise vorangetrieben werden kann, die auch den Klimawandel berücksichtigt.

Ich setze mich schon seit langem für Umweltfragen ein, zuletzt als Sprecherin von Extinction Rebellion UK und als Gründerin der Klimazeitung »The Hourglass«.

Jetzt habe ich Extinction Rebellion verlassen, um eine andere Aufgabe zu übernehmen, ich setze mich nämlich als Aktivistin für die Kernenergie ein.

Als ich im letzten Herbst in der Andrew-Neil-Show war (eine politische Talkshow der BBC, Anm. d. Übers.), fragte er mich, welche Lösungen Extinction Rebellion im Kampf gegen den Klimawandel zu bieten habe. Als Sprecherin der Organisation achtete ich sorgfältig darauf, nichts zu sagen, was nicht von der offiziellen Politik der Bewegung gedeckt ist. Und die lautet, dass solche Entscheidungen Bürgerversammlungen überlassen werden.

Zion Lights am 2019-10-11 in der Andrew-Neil-Show

Welche Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel haben wir?

Aber diese Frage hat mich seither nicht mehr losgelassen. Denn es gibt ja wissenschaftlich fundierte Lösungen für den Umgang mit dem Klimawandel, und im Bereich Energie ist eine dieser Lösungen die Kernkraft.

Großbritannien muss Wege finden, wie wir unsere Abhängigkeit von den höchst umweltschädlichen und gefährlichen fossilen Brennstoffen verringern können. Derzeit sind wir aber auf dem besten Weg, unsere selbst gesteckten Emissionsziele zu verfehlen. Und da Großbritanniens wirtschaftliche Zukunft nach Covid-19 und dem Brexit unsicher erscheint, könnte eine unabhängige Energieversorgung unserem Land die dringend benötigte Stärkung bringen und auch Arbeitsplätze schaffen.

Die Regierung von Boris Johnson hat sich verpflichtet, die CO2-Emissionen bis 2050 auf netto Null zu senken, aber es fehlt ein klarer Plan, der aufzeigt, wie das gehen soll. Wir brauchen eine zuverlässige CO2-arme Energiequelle, in die wir jetzt investieren können.

Und die haben wir auch! Das Kernkraftwerk Hinkley Point C wurde 2016 genehmigt. Zu diesem Plan gehört auch der Bau des Kernkraftwerks Sizewell C in Suffolk. Es wird sieben Prozent des britischen Strombedarfs decken und in jedem Betriebsjahr rund neun Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen.

Kernenergie, wissenschaftlich betrachtet

Viele Jahre lang stand ich der Kernenergie skeptisch gegenüber. Unter lauter Atomkraftgegnern hatte ich es zugelassen, dass sich die Angst vor Strahlung, Atommüll und Massenvernichtungswaffen in meinem Unterbewusstsein breitmachte. Als mir ein Freund dann einen wissenschaftlichen Text über die tatsächlichen Auswirkungen schickte, darunter auch die (sehr geringe) Gesamtzahl der Todesfälle durch die Strahlung in Tschernobyl und Fukushima, wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit über einer wissenschaftsfeindlichen Haltung aufgesessen war.

Als ich mich zum Thema Sicherheit informierte, stellte ich fest, dass die Atomunfälle, die sich zu meinen Lebzeiten ereignet hatten, auf ungewöhnliche und extreme Umstände oder auf menschliches Versagen zurückzuführen waren. Tschernobyl beispielsweise ereignete sich wegen eines fehlerhaften Reaktordesigns, das einen starken Leistungsanstieg und eine Explosion in einem der Reaktoren verursachte. Die Fukushima-Daiichi-Katastrophe in Japan wurde durch die Folgen des Tohoku-Erdbebens und des Tsunami ausgelöst.

Doch selbst wenn man diese katastrophalen Ereignisse mitberücksichtigt, hat die Wissenschaft gezeigt, dass die Kernenergie immer noch sicherer ist als alle fossilen Brennstoffe, wenn man Luftverschmutzung, Unfälle (bei der Energiegewinnung) und Treibhausgas-Emissionen mit einbezieht.

Wie steht es mit erneuerbaren Alternativen? Zusammen mit meinen Mitstreitern habe ich seit Jahren das Loblied auf die erneuerbaren Energien gesungen. Aber obwohl erneuerbare Energien ein Teil des Strommixes für Großbritannien sein können und sollten, reicht diese Technik schlicht und einfach nicht aus, um unser Land rund um die Uhr mit Strom zu versorgen.

Wir brauchen Lösungen, die heute funktionieren, nicht erst morgen oder übermorgen

In seinem Buch erklärt der verstorbene Physiker David MacKay, dass wir, wenn wir nur erneuerbare Energien hätten, unvorstellbar große Mengen an Stromspeichern benötigen würden, damit das Licht nicht ausgeht, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Und auch wenn Akku- oder Wasserstoffspeicher vielleicht schon kurz vor der Tür stehen, so stecken wir doch in einem Klimanotstand. Wir brauchen sämtliche saubere Energiequellen, die wir heute errichten können: erneuerbare Energien, Kernenergie, CO2-Abscheidung und -Speicherung.

Ich habe auch herausgefunden, dass die Atommüllmengen nur minimal sind, dass die Abfälle gut aufbewahrt und kontrolliert werden und noch nie jemanden das Leben gekostet haben.

Standardisierung senkt die Kosten

Atomkraftgegner argumentieren auch, dass Hinkley zu teuer sei. Das ist verständlich, denn Bauprojekte überschreiten oft das Budget, aber dieses erreicht bei weitem nicht die Kosten von umgerechnet 88 Milliarden Euro für das CO2-arme Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz HS2. Glücklicherweise senkt Standardisierung die Kosten und verbessert die Effizienz. In Südkorea hat sich erwiesen, dass der immer wieder gleiche Anlagenentwurf zu den geringsten Kosten und den kürzesten Bauzeiten führt. Wir sollten also das Know-how, das unsere Ingenieure in Hinkley erwerben, nutzen, um die Anlagen in Sizewell und anderswo wirtschaftlicher zu bauen.

Als ich meinen Anti-Atom-Freunden diese Informationen weitergab, argumentierten sie zu meiner Überraschung gegen die Wissenschaft. Leider trennten sich dann unsere Wege.

Die Einstellung, dass man nicht gleichzeitig für die Umwelt und für die Kernenergie sein kann, ist fragwürdig. Je mehr ich über Kernenergie las, desto besser verstand ich, dass sie ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den Klimawandel ist.

Der Bericht des Weltklimarates (IPCC) zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 °C – also der Bericht, der die weltweite Aufmerksamkeit auf die real existierenden Probleme des Klimawandels lenkte – enthält ein Kapitel über Energie, in dem die Kernenergie als ein entscheidender Faktor genannt wird. Dies zu leugnen, wäre nichts anderes als ein Leugnen des anthropogenen Klimawandels. Das wissenschaftliche Vorgehen ist in beiden Fällen rigoros und gründlich.

Ermutigung durch Vorbilder

Ich hatte die erstaunliche Kehrtwende von Mark Lynas zur Gentechnologie und zur Kernenergie verfolgt und mitbekommen, dass sich auch der Umweltaktivist George Monbiot dafür aussprach. Ich fühlte mich ermutigt durch Menschen, die bereit waren, ihre Ansichten aufgrund von Fakten zu ändern.

Im Herbst 2019 fragte mich Michael Shellenberger, der Gründer von Environmental Progress in Amerika, nach einem Interview für sein neues Buch an. Während dieses Gesprächs kamen wir auf das Thema Kernenergie zu sprechen, und wir stellten fest, dass wir eine Sache gemeinsam hatten: Michael hatte ebenfalls seine Meinung darüber geändert. Nun hat er mich gebeten, die Leitung von Environmental Progress UK zu übernehmen. Wir werden eine Kampagne durchführen, um die Menschen über die wissenschaftlichen Grundlagen der Kernenergie aufzuklären. Und wir wollen sicherstellen, dass das Vereinigte Königreich in die Atomkraft investiert.

Macht euch stark für die Kernenergie!

Extinction Rebellion hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, das Bewusstsein für den Klimawandel zu schärfen. Dafür spreche ich der Organisation meine Anerkennung aus. Jetzt ist es an der Zeit, sich auf Lösungen zu konzentrieren. Es ist entscheidend, dass Umweltaktivisten nicht Gruppenzwang und Angst nachzugeben, sondern die Wahrheit über die Kernenergie aussprechen.

Wir lösen die Klimakrise, indem wir die Energiekrise anpacken und zugleich unsere Gesundheit schützen – schaut euch nur die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle an, die Luftverschmutzung aus fossilen Brennstoffen verursacht! Darum wage ich mich aus der Deckung und plädiere für die Kernenergie in Großbritannien.

Liebe Umweltschützerinnen, liebe Umweltschützer, ich bitte euch dringend: Prüft die Fakten, akzeptiert die Wissenschaft, und helft mir, das Vereinigte Königreich radikal zu dekarbonisieren. Covid-19 hat uns an einen Wendepunkt geführt, und jetzt haben wir die einmalige Chance, eine grüne Zukunft mit sauberer Energie aufzubauen.

Ich lade alle Umweltschutz-Mitstreiter ein, sich klar für die Atomkraft zu positionieren. Sie ist – so die Experten – ein unverzichtbarer Teil unserer dringend notwendigen Anstrengungen gegen die globale Erwärmung. Hier in Großbritannien und in der ganzen Welt brauchen wir die Kernenergie.

Kategorien
Kernenergie
Klimaschutz
Gerry says:

Wer “without hot air” liest und daraus folgert, EE wären unzureichend, geht einem hemmungslos dämlichen Propagandapfusch auf den Leim.

Gleich im ersten Kapitel über den Energieverbrauch des PKW-Verkehrs finden sich reihenweise völlig unrealistische Annahmen die dann natürlich zu einem unrealistisch hohen Energieverbrauch führen – und im hinteren Teil des Buchs zu einem unrealistisch hohen Pro-Kopf-Energieverbrauch fehl gedeutet werden.

Hätte man ein fachlich korrektes Buch schreiben wollen, man hätte diese überzogenen Annahmen innerhalb kürzester Zeit durch realistische Daten ersetzen können.
Aber dann wäre eben keine dämlichen Propaganda für leichtgläubige EE-Gegner dabei herausgekommen.

Rainer Klute says:

Hm, da Sie nicht eine einzige dieser angeblich »völlig unrealistischen Annahmen« in »Without the Hot Air« nennen können, ist Ihr Kommentar wohl nichts als heiße Luft.

Detlef zum Winkel says:

Der nuklearia-Gemeinde kann man zu dieser neuen undogmatischen Autorin nur gratulieren! Einiges hat sie vielleicht noch nicht richtig zu Ende gedacht. Britische Reaktorbauer sind an der Errichtung von Hinkley C jedenfalls nicht beteiligt, allenfalls Bauingenieure mit Expertise für die Konstruktion von Fussballstadien. Hinkley ist ein Reaktor der französischen Firma Areva, die wegen Insolvenzvermeidung in EDF integriert wurde. Auch die Behauptung, “wir”, also die Briten, könnten mit Hinkley jetzt in eine CO2-arme Energiequelle investieren, ist ein wenig irreführend. Wenn die Briten das könnten, warum tun sie es nicht? Wer in Hinkley investiert, sind EDF und ein chinesisches Unternehmen; sie werden gleichzeitig Eigentümer des Kraftwerks sein, falls es je in Betrieb gehen wird. Meines Erachtens ist es eine Weltneuheit, dass ein Land, auf dessen Territorium ein Atomkraftwerk errichtet wird, überhaupt keine Anteile daran besitzt, sondern nur die Stromrechnungen zahlen darf. Ist das die Rückgewinnung von Kontrolle (get back control), die mit dem Brexit erreicht wurde? Diese Fragen stellt eine Influenzerin natürlich nicht, weil sie ja influenzen will.

Rainer Klute says:

EDF »baut« zwar Hinkley Point C, aber mit Hilfe einer Vielzahl britischer Unternehmen und vielen Tausenden von Arbeitskräften. Ein Großteil des Geldes, das für Hinkley Point C ausgegeben wird, bleibt also im Lande. Gleiches gilt für Nachfolgeprojekte wie Sizewell C, für das sich Zion Lights einsetzt. Hier ist allerdings die spannende Frage, was aus der Beteiligung des Chinesen wird …

Matthias Vercrüsse says:

Zu dieser Erkenntnis bin auch gekommen und vertrete dies öffentlich. Hoffe dies tun immer mehr um von der wahnsinnigen Windkraft abzukehren.

Bernd W. Rittershaus says:

Einem Industriestaat wie Deutschland stünde es gut an, zumindest einen Dual fluid Reaktor mittlerer Größe als Testreaktor zu bauen. Außerdem sollte das Projekt Desertec wieder aufleben. Dies wäre ja wohl Nachhaltigkeit pur, nur nicht dezentral, also der Forderung der jetzigen Philosophie entsprechend. Verbindet man die südlichen mit den nördlichen afrikanischen Wüsten, wird es noch unabhängiger von den Jahreszeiten. Es wäre ein idealer Anfang für eine gleichberechtigte afrikanisch-europäische Zusammenarbeit.

Prof. em. Dr. Robert B. Heimann says:

Der Mut der Dame ist zu bewundern. Allen, die sich nur ein wenig mit der Energieerzeugung in der Zukunft beschäftigen sollte klar sein, dass Kernenergie ein wichtiger Faktor im Energiemix ist. Nachdem nun auch die Diskussion über Wasserstofftechnologie zur klimaverträglichen Energieerzeugung Fahrt aufnimmt, sollte der zentrale Einsatz von Kernenergie zur Wasserstofferzeugung für den dezentralen Energieverbrauch (Brennstoffzelle usw.) überprüft werden.

HTR says:

Endlich Mal ein Eingeständnis, das man jahrelang den Wissenschaftsleugnern geglaubt hat, ohne Mal selber über die Aussagen nachzudenken und zu Recherchieren. Er ist nicht nur den Politikern zu empfehlen, sondern auch unseren Journalisten, die für sich in Anspruch nehmen, die Kernenergie in Grund und Boden zu schreiben.

Zu empfehlen für alle Politiker in Deutschland, vor allem Frau Svenja Schulze könnte hier noch lernen. Dazu gehört Mut und ggf. der Verzicht auf Amt, Pfründe und Privilegien. Und wenn sie das alles nicht aufbringen, hilft die nächste Wahl.