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IAEA veröffentlicht Schlußbericht: Kernenergie nach Fukushima
IAEA veröffentlicht Schlußbericht: Kernenergie nach Fukushima
Veröffentlicht am 2015-09-01
Von Rainer Klute
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Am 31. August veröffentlichte die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ihren Schlußbericht zum Reaktorunfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi. Was waren die Ursachen des Unglücks? Welche Folgen hatte er für die Kernenergie weltweit? Und was haben Deutschland und die Energiewende damit zu tun?

Der Unfall

Ein außergewöhnlich starkes Erdbeben im Osten Japan unterbrach am 2011-03-11 die externe Stromversorgung des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi. Die in Betrieb befindlichen Reaktoren schalteten sich wie vorgesehen sofort ab. Die Notstromversorgung sprang an, um die Nachzerfallswärmeabfuhr zu gewährleisten. Der nachfolgende gewaltige Tsunami setzte dann allerdings die in den Kellergeschossen untergebrachten Notstromdieselgeneratoren außer Betrieb. Dadurch war das Kernkraftwerk abgesehen von den Reaktoren 5 und 6 ohne Strom. Die Brennelemente in den Reaktoren 1, 2 und 3 konnten nicht mehr ausreichend gekühlt werden. Kernschmelzen in diesen Reaktoren waren die Folge. In den Reaktorblöcken 1, 2 und 4 kam es zudem zu Wasserstoffexplosionen. Aufgrund massiver radiologischer Freisetzungen evakuierte die japanische Regierung einen 20-km-Umkreis um das Kernkraftwerk.

Die Ursachen

Ein großer Tsunami überflutet das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi am 201-03-11 (Quelle: Tokyo Electric Power Company)

Die IAEA-Publikation, bestehend aus dem 222-seitigen Bericht des Generaldirektors Yukia Amano sowie fünf technischen Bänden, sieht die gleichen Unglücksursachen wie bereits die drei japanischen Untersuchungskommissionen:

  1. Die Betreiber der Kernkraftwerke in Japan wiegten sich in der trügerischen Sicherheit, ein Unfall dieser Größenordnung sei völlig undenkbar. Weder die damalige Atomaufsichtsbehörde NISA noch die japanische Regierung hinterfragten diese Einstellung. Als das Unglück dann doch eintrat, war man nicht vorbereitet und konnte keine effektiven Gegenmaßnahmen einleiten. Merke: Auch das Undenkbare durchdenken!
  2. Gemäß Japans regulatorischem Rahmenwerk waren die Verantwortlichkeiten auf verschiedene Instanzen verteilt. Es war nicht immer klar, wer wofür zuständig war. Das erschwerte Entscheidungen.
  3. Das Kernkraftwerk war falsch ausgelegt. Insbesondere der mangelhafte Tsunami-Schutz war ein Schwachpunkt. Außerdem hätten die für die Notstromversorgung essentiellen Dieselgeneratoren und ihre Brennstofftanks auf höhergelegenem Gelände oder wenigstens wasserdicht untergebracht sein müssen.
  4. Auch die Notfallvorsorge stellte sich als mangelhaft heraus. Die Notfallpläne gingen davon aus, der Strom würde höchstens für eine kurze Zeit ausfallen. Ein Stromausfall für längere Zeit sowie Krisensituationen in mehreren Reaktoren zur selben Zeit waren nicht bedacht worden. Ebenso war die Vorsorge für das gleichzeitige Auftreten eine Nuklearunfalls und einer größeren Naturkatastrophe unzureichend.

Folgen für die Gesundheit

Die physiologischen Folgen der freigesetzten radioaktiven Substanzen für die Gesundheit der Bevölkerung schätzt die IAEA als gering ein und beruft sich auf Untersuchungen der UNSCEAR und der WHO. Die Experten sind sich einig: Falls es zu langfristigen Folgen kommen sollte, werden sie derart gering ausfallen, daß sie nicht meßbar sein werden.

Anders sieht es bei den psychischen Folgen aus. Die Belastungen der Menschen durch Strahlungsangst oder Evakuierung sind gravierend. Siehe dazu auch meinen Artikel »Koichi Tanigawa: von Hiroshima nach Fukushima«.

Aus Fukushima gelernt

Japan hat nach dem Unglück mit der NRA eine neue, weitgehend unabhängige Atomaufsicht geschaffen. Das regulatorischen Rahmenwerk wurde grundlegend reformiert und an internationale Standards angepaßt. Eine Überprüfung durch die IAEA, genauer: ihren Integrated Regulatory Review Service, wird noch erfolgen.

Kernkraftwerk Sendai (Quelle: Kyushu Electric Power Company)

Mit Sendai 1 ist im August der erste Reaktor wieder ans Netz gegangen, der den neuen Sicherheitsbestimmungen entspricht, die atomstromfreie Zeit beendet und die Versorgungslage Japans entspannt.

Nicht nur Japan, auch andere Länder haben aus dem Fukushima-Unglück gelernt, Streßtests im Hinblick auf extreme Naturkatastrophen durchgeführt und Vorsorgemaßnahmen eingeleitet. Beispielsweise sorgt in den USA das Programm FLEX für eine zusätzliche Sicherheitsebene. Dazu werden Generatoren, Akkus, Pumpen, Kompressoren, Ladegeräte und weiteres Equipment in Stützpunkten außerhalb der Kernkraftwerke stationiert. Die Gerätschaften sind einerseits so weit entfernt, daß sie bei einer Katastrophe nicht betroffen sind, andererseits aber schnell herangebracht werden können, um die Stromversorgung des betroffenen Kraftwerks und die Kühlung der Brennelemente sicherzustellen.

Passive Sicherheit

Zusätzlichen Schutz bieten Kernreaktoren der Generation III+, wie etwa der AP1000 von Westinghouse, der WWER-1200 von Gidropress oder der EPR von Areva. Diese Reaktoren sind passiv sicher und können tagelang ohne Strom und ohne Personal auskommen. Das läßt genügend Zeit für Gegenmaßnahmen. Weltweit sind etliche solcher Reaktoren im Bau.

Noch einen Schritt weiter geht der modulare Kleinreaktor NuScale. Obwohl es sich um einen Leichtwasserreaktor handelt, kann sich dieser laut Hersteller NuScale Power sowohl selbständig herunterfahren als auch seine Selbstkühlung beliebig lange aufrechterhalten: ohne Strom, ohne Personal, ohne Wassernachschub.

Stets stabil: Generation IV

Reaktoren der kommenden Generation IV bieten sogar inhärente Sicherheit. Sie beruht nicht auf aktiven Kühlsystemen, die ausfallen könnten, sondern allein auf den Naturgesetzen. Die physikalischen Gegebenheiten halten den Reaktor stets in einem stabilen Zustand, selbst wenn sämtliche Kühlsysteme ausgefallen sind und das Bedienpersonal nicht eingreifen kann.

Dies wurde 1986 in einem Versuch am natriumgekühlten Schnellreaktor EBR-II eindrucksvoll demonstriert. Für dieses Experiment hatte man den Reaktor auf volle Leistung gefahren und dann das Kühlsystem abgeschaltet, sprich: das Fukushima-Szenario. Anders als die Fukushima-Reaktoren kam es beim EBR-II aber zu keiner Kernschmelze. Vielmehr tat der Reaktor genau das, was die Wissenschaftler zuvor berechnet hatten: Seine Temperatur stieg kurz etwas an, um danach wieder abzufallen. Der Reaktor fuhr sich selbst herunter. Trotz »Ausfall« des Kühlsystems blieb er die ganze Zeit über stabil und sicher. Mehr dazu kann man im Artikel  “Passively safe reactors rely on nature to keep them cool” nachlesen oder im Video “Making a Contribution: The Story of EBR-II” erklärt bekommen.

Der Hersteller GE Hitachi Nuclear hat das Funktionsprinzip des EBR-II aufgegriffen und weiterentwickelt. Er bietet mit dem PRISM einen kommerziell verfügbaren Reaktor an. Zwei ähnliche Anlagen, ebenfalls natriumgekühlte Schnellreaktoren, sind in Rußland in Betrieb. Auch China, Indien und Frankreich setzen strategisch auf sogenannte Schnelle Reaktoren. Indiens erster Schneller Leistungsreaktor, der PFBR in Kalpakkam, soll in diesem Monat an den Start gehen. Allerdings zieht sich das Genehmigungsverfahren noch etwas hin. Schnelle Reaktoren sind übrigens prinzipiell auch in der Lage, Atommüll als Brennstoff zu nutzen. Der PRISM-Hersteller wirbt mit dem Slogan “Turns Waste Into Watts” für sein System. Das Atommüllproblem ist lösbar, auch wenn deutsche Politiker und sogenannte Umweltschützer das nicht wissen oder nicht wissen wollen.

Eine weitere spannende Entwicklung sind Flüssigsalzreaktoren. Die meisten dieser Reaktordesigns sehen Thorium statt Uran als Kernbrennstoff vor. Eine Kernschmelze ist ausgeschlossen, weil der Brennstoff bereits geschmolzen ist. Genauer: Er ist in einer Salzschmelze gelöst, die im Reaktor zirkuliert. Weltweit sind mehrere nukleare Startup-Unternehmen dabei, Flüssigsalzreaktoren zu entwickeln. Und für China sind Thorium-Flüssigsalzreaktoren von strategischer Bedeutung.

Fortschritt oder Rückschritt?

Der Reaktorunfall in Fukushima-Daiichi hat gezeigt, daß man sich im Umgang mit Technik niemals in falscher Sicherheit wiegen darf. Egal, ob man als Fußgänger die Straße überquert, mit dem Auto unterwegs ist, eine Solaranlage auf seinem Hausdach montiert, Medikamente produziert, eine Wasseraufbereitungsanlage oder ein Kernkraftwerk betreibt: überall lauern Gefahren.

Mit den Risiken des Alltags sind wir vertraut. In der Regel kriegen wir es hin, unbeschadet durch den Verkehr zu kommen. Die bedauerlichen Ausnahmen bieten Anlaß, über technische Verbesserungen oder Regeländerungen nachzudenken. Dadurch wurden Dinge wie Sicherheitsgurt oder Airbag erfunden. Einen Ausstieg aus dem Kraftverkehr fordern nur die wenigsten.

Grafik: Tote pro TWh nach Stromerzeugungsart

Tote pro TWh nach Stromerzeugungsart

Auch in der Industrie schüttet man nach Unfällen nicht das Kind mit dem Bade aus. Nein, man verbessert die Verfahren und macht sie sicherer, damit der Nutzen die Gefahren noch mehr als zuvor überwiegt. Die Risiken, die in der Industrie auftreten, sei es in Chemieanlagen, Kernkraftwerken oder sonstwo, entziehen sich der unmittelbaren Erfahrung der meisten Menschen. Aus dem Bauch heraus können wir sie nicht richtig einschätzen. Der Mensch ist ohnehin nicht besonders gut darin, Risiken zu beurteilen.

Das zeigt sich gerade bei der Kernenergie. Während viele Menschen glauben, Kernkraft sei eine besonders riskante Art der Stromerzeugung, beweisen Zahlen und Fakten das Gegenteil. Ausgerechnet Kernenergie ist überaschenderweise die sicherste aller Stromerzeugungsformen. Sie fordert weniger Todesopfer pro produzierter Strommenge als jede andere Art der Stromerzeugung – ja, inklusive der erneuerbaren Energien.

Trotz oder auch wegen verbesserter Energieeffizienz wird der Energiebedarf auch künftig ansteigen. Wenn Greenpeace oder der WWF einen sinkenden Energiebedarf prognostizieren, entspricht das grünem Wunschdenken, entbehrt jeder ernsthaften Grundlage und widerspricht allen bisherigen Erfahrungen.

Will man den nötigen Strom nicht nur erzeugen, sondern dies auch noch emissionsarm tun, führt kein Weg an der Kernenergie vorbei. Nur Kernenergie bietet unabhängig von Wetter oder Tageszeit stets eine stabile Versorgung und kann so gut wie beliebige Strommengen liefern. Länder mit sehr viel Wasserkraft oder Island mit Geothermie sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Das Reaktorunglück in Fukushima-Daiichi hat die Entwicklung der Kernenergie weltweit aufgehalten, aber nicht angehalten. Niemals zuvor waren so viele Kernreaktoren im Bau wie heute. Viele Länder bereiten sich darauf vor, erstmals in die Kernenergie einsteigen. In Ägypten ist es laut Rosatom im Oktober soweit: Dann soll der Grundstein für das erste Kernkraftwerk des Landes gelegt werden.

Raus aus dem Atomausstieg

Mit seinem Ausstieg aus der Kernkraft steht Deutschland recht allein auf weiter Flur. Ent-erfinden läßt sich die Kernenergie sowieso nicht. Was einmal da ist, das bleibt. Und wenn sich deutsche Kerntechnikanbieter wie Siemens vom Weltmarkt verabschieden, dann springen andere ein, um die Lücke zu füllen und damit Geld zu verdienen, zum Beispiel chinesische Unternehmen. Deutschland umgeben von Kernkraftwerken mit Reaktortechnik aus China – ob sich das die Grünen aller Parteien wirklich so vorgestellt haben?

Deutschland sollte den Atomausstieg rückgängig machen und die bereits stillgelegten Anlagen durch moderne Reaktoren ersetzen, idealerweise durch solche wie den PRISM, die Atommüll als Brennstoff nutzen können und dieses Problem gleich mit lösen – siehe die Diskussion in Australien. Kernkraft sollte auch den Ersatz für außer Betrieb gehende Kohlekraftwerke bereitstellen, ebenso für Wind- und Photovoltaikanlagen am Ende ihrer Lebensdauer. Natürlich benötigt Kernenergie nicht dieselben riesigen Flächen wie die Erneuerbaren. Viele dieser Flächen können der Natur zurückgegeben werden.

Nukleare Forschung und Entwicklung sollte Deutschland nicht torpedieren, sondern fördern. Kerntechnik aus Deutschland hatte immer einen exzellenten Ruf. Vielleicht läßt sich der ja zurückgewinnen.

Politisch ist dies alles zur Zeit natürlich nicht durchsetzbar. Zu groß sind die Widerstände, zu mächtig die Energiewendeprofiteure. Es fehlt die Aufklärung der Bevölkerung, die lieber Kohle- als Kernkraftwerke akzeptiert, im Atommüll ein schier unlösbares Problem sieht und sich vor Strahlung ängstigt, statt angemessen damit umzugehen.

Es fehlt auch das Eingeständnis des Scheiterns der Energiewende. Offenbar reichen die inzwischen dreistelligen Milliardensummen noch nicht aus, um dieses Scheitern zu diagnostizieren. Es muß wohl noch der Strommangel hinzukommen. Eine Studie des grünen (!) Umweltministeriums Baden-Württembergs prognostiziert, das dieser Strommangel in Süddeutschland zwischen 2018 und 2022 eintreten wird.

Japan hat sein erstes Kernkraftwerk wieder angefahren. Deutschland wird ebenfalls wieder einsteigen. Nur der Zeitpunkt ist noch ungewiß.

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Fukushima
Politik