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Wenn Energie auf der Straße liegt
Wenn Energie auf der Straße liegt
Veröffentlicht am 2014-05-14
Von Fabian Herrmann
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Public Domain Image

Der Elektroingenieur Scott Brusaw entwickelt photovoltaische Kacheln als Straßenbelag. Das ist keine uninteressante Idee.

Die Oberfläche von Straßennetzen ist nämlich sehr groß. Das deutsche hat eine Gesamtlänge von 644.500 km. Setze ich eine durchschnittliche Straßenbreite von 10 m an (kleine, schmale Straßen tragen anteilmäßig am stärksten zur Gesamtlänge bei), so ergibt das eine Fläche von rund 80 Quadratmetern pro Einwohner. Man beachte, dass dies die solartechnische nutzbare Dachfläche pro Person (ca. 13 Quadratmeter) deutlich übertrifft! Nehme ich ferner an, dass ich pro Quadratmeter eine Peakleistung von 150 W installiere und 50% der Fläche nutze, so ergibt sich bei einem Nutzungsgrad von 11% eine Personenleistung von:

P = 80 \cdot 150 \cdot 0.5 \cdot 0.11 \, \mathrm{W} \approx 660 \, \mathrm{W}

Das ist weniger als der Gesamtenergieverbrauch – der liegt in Industrieländern typischerweise bei einige kW – kommt jedoch dem momentanen Elektrizitätsverbrauch (700… 800 W/Person) schon recht nahe!

Aber würde man diese Technik in Deutschland installieren, so träte nach wie vor das Problem auf, dass Photovoltaik bei uns nur sehr unregelmäßig arbeitet und im Winter gerne mal wochenlang ganz ausfällt (Stichwort Dezember 2012 – Februar 2013). Auch wäre es ein immenser Aufwand alle Straßendecken umzuarbeiten, höchstwahrscheinlich verbunden mit beträchtlichen Belastungen für die Anwohner.

Deshalb sehe ich das größte Potential der Kacheln andernorts.

Viele Metropolen in den subtropischen und tropischen Regionen der Erde sind überfüllt. In Mexico City, Kalkutta, Sao Paolo und anderen Städten lebt ein Großteil der Bürger äußerst beengt in erbärmlichen Slums. Bei der Entwicklung dieser Regionen muß deshalb großes Gewicht auf die Schaffung neuer Wohnsiedlungen gelegt werden – eventuell wird man sogar völlig neue Städte errichten, um die vorhandenen zu entlasten und die Lebensbedingungen der Menschen stark zu verbessern.

Wenn man nun eine neue Stadt aus dem Boden stampft kann man gleich von Anfang an statt Asphalt oder Beton die Solarkacheln als Straßenbelag verwenden.

Meines Erachtens nach ist es für eine sinnvolle Nutzbarkeit der Solarenergie nötig, dass das photovoltaisch aktive Material nicht mit zusätzlichem Aufwand auf bereits vorhandene Flächen aufmontiert werden muss (so wie Solarzellen auf Dächer) sondern die Flächen selbst müssen daraus bestehen, die Substanz sollte mit anderen Worten “double duty” leisten: einerseits Energie erzeugen, andererseits als Dachziegel, Fensterscheibe, Fassadenverputz oder eben Straßenbelag fungieren.

Haben wir in diesen neuen Städten eine Straßenfläche von 30 Quadratmetern pro Mensch, einen Photovoltaik-Nutzungsgrad von 20% und nehmen ansonsten die gleichen Parameter wie oben, so erhalten wir:

P = 30 \cdot 150 \cdot 0.5 \cdot 0.2 \, \mathrm{W} = 450 \, \mathrm{W}

Das ist mehr als das doppelte des Stromverbrauchs in Privathaushalten (ca. 200 W/Mensch) in Deutschland. In (sub-)tropischen Gebieten würde diese Energie zudem ziemlich regelmäßig, ohne die in Europa üblichen von Wolken und Winternächten verursachten langen Ausfallzeiten, erzeugt werden.

Bei heißen Temperaturen ist Air Conditioning eine nicht zu verachtendes Stück Lebensqualität. Wärmepumpen verbrauchen im inversen Betrieb (Wärme aus dem Haus in die Umgebung) rund 700 W. Teilen sich je 4 Personen ein solches Gerät und betreiben es 4 Stunden pro Tag, macht dies einen zusätzlichen Bedarf von

P_\mathrm{ac} = 700 \, \mathrm{W} \, \cdot \, 4 / 24 / 4 \approx 30 \, \mathrm{W}

aus.

Während in Europa der Elektrizitätsverbrauch von Privathaushalten gegen 19 Uhr sein Maximum erreicht, ist dies in den Tropen um die Mittagszeit der Fall, wenn alle ihre AC-Geräte einschalten. Deshalb kann Photovoltaik dort dazu beitragen, die Tagesspitze abzufahren.

Elektroautos wie der Tesla Roadster verbrauchen 15 kWh pro 100 km. Nutzen wieder jeweils 4 Personen ein solches Fahrzeug zusammen und legen damit pro Tag durchschnittlich 50 km zurück, so beträgt der zusätzliche Verbrauch:

P_\mathrm{auto} = 15000 \, \mathrm{Wh} \, \cdot \, 0.5 / 24 \, \mathrm{h} / 4 \approx 80 \, \mathrm{W}

Addieren sich zu den in Deutschland üblichen 200 W Privatverbrauch pro Person also noch 30 W Air Condition und 80 W Elektromobilität zu insgesamt 310 W, so sind die Straßenkacheln mit ihrem Ertrag von 450 W pro Person immer noch nicht ausgereizt. Die verbleibenden 140 W könnten zum Betrieb von Straßenbahnen o. ä., Serverfarmen, Straßenbeleuchtung und vielerlei mehr genutzt werden.

Und was ist mit Industrie und Landwirtschaft?!

Leistungsfähige moderne Produktionssysteme sind unverzichtbar für eine techno-urbane Gesellschaft. Rund um die neuen tropischen Städte werden alle Arten von Industriewerken entstehen. Stahl- und Aluminiumhütten, Maschinenbau, Zementwerke, Kunststoff- und Düngemittelproduktion – und höchstwahrscheinlich auch völlig neuartige Anlagen: Meerwasserentsalzung, Plasmarecycling, Erzeugung synthetischer Treibstoffe für Flugzeuge, Hydroponiktürme zur automatisierten Nahrungsmittelproduktion. Viele von diesen Prozessen sind äußerst energiehungrig!

Hier hat die Kernenergie ihr Einsatzgebiet. Modulare Reaktoren im Bereich von 10…300 MW können Industriewerke mit Elektrizität, Prozesswärme sowie Neutronenstrahlung zur Erzeugung neuer Nuklide und Werkstoffe versorgen. Nachts kann ein Teil der Elektrizität in die Stadt umgeleitet werden, falls die in Batterien gespeicherte Energie der Solarkacheln den nächtlichen Verbrauch nicht zu decken vermag.

Man sieht an diesem Zukunftsentwurf, dass Kernenergie und Solarenergie keine Gegenspieler zu sein brauchen, obwohl dies meist so dargestellt wird. Vielmehr lassen sich sehr plausible Szenarien erdenken, in denen beide zusammenwirken, um die Menschheit mit der benötigten Energie zu versorgen – eher nicht in Europa, aber in tropischen und subtropischen Gebieten in Mittel- und Südamerika, Afrika und Südasien. Gerade dort werden in sehr großem Umfang saubere Energiequellen zur Entwicklung und zum Aufbau der techno-urbanen Zivilisation benötigt.

Es lohnt sich, alle Entwicklungen auf dem Gebiet der Energietechnik im Auge zu behalten. Mir gefällt nicht, dass die Mehrheit der Umweltschützer ausschließlich die Erneuerbaren im Auge hat und die Kernenergetik ignoriert. Ebenso sollten wir Nukleiden nicht monomanisch auf die Kernenergie schauen sondern auch andere postfossile Energiequellen berücksichtigen, denn auch dort gibt es faszinierende Konzepte, wie dieses Beispiel zeigt!

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Thomas sagt:

Gerade nachts ist der Stromverbrauch am geringsten, KKW produzieren aber kontinuierlich, also nicht gerade dem Verbrauch entsprechend (tagsüber hoher Verbrauch, nachts geringerer).
Die “Grundlast” wird es bei entsprechenden Stromtarifen und -preisen nicht mehr geben, Flexibilität ist die Zukunft.
Wir haben in D jetzt 39 GWp PV installiert. Und die meisten Dächer sind noch frei. Also besteht noch ein enormes Potenzial (ca. 150 GWp).
Speicher in Form von PtG/Gas to Power etc. sind bereits realisierbar, je nach Stromkosten aus EE spielt auch die Effizienz von PtG und Gas to Power eine untergeordnete Rolle. Aber die wird ja immer besser, mit Nutzung der Abwärme ist sie sogar bei ca. 80%!

Atomhoernchen sagt:

Informieren Sie sich bitte über den Begriff “Capacity Factor” oder “Nutzungsgrad” zu gut deutsch.
http://nuklearia.de/2012/07/31/nutzungsgrad-wirkungsgrad-volllaststunden/

Photovoltaik ist in Europa eine nahezu sinnlose Technologie. Auch weltweit ist ihr Beitrag zur Energieversorgung fast vernachlässigbar.

Kernkraftwerke sind flexibel (sie brauchen nämlich keinesfalls immer auf 100% zu laufen sondern können zur Lastfolge genutzt werden, dies trifft in besonders hohem Maße auf die weltweit in Entwicklung befindlichen Flüssigsalzreaktoren zu, die ihre Leistung rasch verändern können), ebenso wie fossile Kraftwerke, Wasserkraftwerke und Geothermie in Gesteinen mit starkem Wärmegradienten. Wind und Solar dagegen liefern unberechenbaren Zappelstrom.

Rainer Klute sagt:

Das stimmt nicht, Thomas.

Deutsche Kernkraftwerke arbeiten sehr wohl im Lastfolgebetrieb, d.h. sie passen ihre Leistung dem Verbrauch an. Dadurch gleichen sie die Schwankungen von Wind- und Solarstrom aus und sichern dadurch die Energiewende ab. Oder besser gesagt: Sie halten die Energiewende ein bißchen länger künstlich am Leben.