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Darf Kernenergie umweltfreundlich sein?
Darf Kernenergie umweltfreundlich sein?
Veröffentlicht am 2013-08-30
Von Rainer Klute
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»Darf Kernenergie umweltfreundlich sein?«, fragt die Deutsche Welle (DW)

Dual-Fluid-Reaktor

Der Beitrag der DW beantwortet die Frage nicht selbst, sondern überläßt die Antwort dem Leser. Der bekommt dazu gut recherchierte Informationen über den Dual-Fluid-Reaktor (DFR) an die Hand. Dieser Reaktor, der bislang erst auf dem Papier des Instituts für Festkörper-Kernphysik (IFK) existiert, entschärft langlebigen, hochradioaktiven Atommüll aus gebrauchten Brennelementen, indem er ihn als Brennstoff verwendet – Brennstoff, der nicht in Form fester Brennelemente vorliegt, sondern als geschmolzene Uran- oder Plutoniumchloridsalze beziehungsweise als Salze der übrigen Transurane. Diese Salzschmelze zirkuliert durch den Reaktorkern, wo die hitzeerzeugende Kettenreaktion stattfindet, und fließt dann durch eine interne Aufarbeitungsanlage, die kontinuierlich Spaltprodukte aus der Salzschmelze entfernt und frischen Brennstoff nachliefert. Weitere Informationen, etwa zur Kühlung oder zur Sicherheit des DFR, stehen im DW-Artikel und natürlich auf der DFR-Homepage. Letztere macht auch Aussagen zur Effizienz des DFR.

»Darf Kernenergie umweltfreundlich sein?« Natürlich nicht, sagen Marco Voigt und Sven Krüger

Den Initiatoren der GreenTec Awards ist Kernenergie im allgemeinen und der Dual-Fluid-Reaktor im besonderen ein Greuel. Da spielt es überhaupt keine Rolle, daß der DFR Atommüll vernichtet, die Radioaktivität auf der Erde vermindert, klimafreundlich und preiswert Strom und Sprit erzeugt, die Tür zur Hochtemperaturprozeßchemie öffnet und ganz neue Recycling- und Umweltverfahren erschließt. Nein, der DFR ist nuklear und damit per Definition und per Ideologie ungrün. Das reicht als Ausschlußkriterium von den GreenTec Awards. Was kümmern uns da die Fakten?

Allerdings hatten Krüger und Voigt bei der Bewerbung des DFR zu den diesjährigen GreenTec Awards zunächst übersehen, daß es sich um Nuklearkram handelt. Gut, das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wäre der Dual-Fluid-Reaktor unerkannt irgendwo in der anonymen Masse der rund 180 Bewerber geblieben. Aber das ignorante Internet-Volk mußte das Ding ja unbedingt per Online-Voting und mit überaus klarem Vorsprung in die Endrunde hieven! Das schmerzt wie ein Dorn im Fuß! Eine nachträgliche Regeländerung sollte den ungeliebten Bewerber aus dem Rennen werfen. Durch zwei Instanzen mußten die DFR-Macher gehen, um per einstweiliger Verfügung die Denominierung rückgängig zu machen und doch noch die Zulassung zur Endrunde zu erwirken.

Zuletzt jedoch der bittere Rückschlag für die Verfechter grüner Kernenergie: GreenTec gelang es, noch vor der Gala am heutigen 30. August einen Termin für eine mündliche Verhandlung in der Hauptsache am Landgericht Berlin zu bekommen. In dieser Verhandlung lehnte Einzelrichter Thiel (wie schon zuvor bei seiner Entscheidung zur einstweiligen Verfügung) das Ansinnen des IFK ab und gab Voigt und Krüger recht. Damit ist der DFR wieder draußen. Zwar legte das IFK sofort Berufung ein, doch hat das nun zuständige Berliner Kammergericht noch keinen Verhandlungstermin anberaumt. Höchstwahrscheinlich wird das Kammergericht wie bei der einstweiligen Verfügung erneut für den Dual-Fluid-Reaktor entscheiden, doch käme das für die Gala zu spät. Ein nachträgliches Urteil ist aber trotzdem wichtig: Es wäre nicht nur eine späte Genugtuung für das IFK-Team, sondern dürfte auch eine saftige Schadenersatzzahlung seitens GreenTec bedeuten. Dort nimmt man diese Möglichkeit wohl billigend in Kauf. Offenbar ist dafür auch genügend Geld in der grünen Kriegskasse. Hauptsache, man vermeidet eine öffentliche Präsentation des Dual-Fluid-Reaktors!

Immerhin haben die Greentecs dem IFR zwei Eintrittskarte »für Nominierte« ausgestellt – verbunden mit der Aufforderung, sich während der Gala friedlich zu verhalten. Dieser Bitte will das IFR-Team gern nachkommen. »In unseren Kreisen ist es eher üblich, sich durch begutachtete Veröffentlichungen auszutauschen, nicht durch faule Eier«, ist auf der Facebookseite des Dual-Fluid-Reaktors zu lesen.

»Darf Kernenergie umweltfreundlich sein?« Sie darf nicht nur, sie ist es, sagen Umweltschützer

Dabei berufen sich die Umweltschützer etwa auf eine Studie von James E. Hansen und Pushker A. Kharecha, die für den Zeitraum von 1971 bis 2009 vorrechnet, daß Kernenergie mehr als 1,8 Millionen vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung verhindert hat. Gleichzeitig habe Kernenergie den Ausstoß von Treibhausgasen im Umfang von 64 Gigatonnen CO2-Äquivalent verhindert.

Überhaupt erkennen immer mehr Menschen, die eigentlich keine Kernkraftfreunde sind, daß Kernenergie für eine wirksame Bekämpfung des Klimawandels unverzichtbar ist. Prominentes Beispiel dafür ist Stephen Tindale, der sich nach 20 Jahren als Antiatomaktivist – davon fünf in der Leitung von Greenpeace UK – nun für Kernenergie einsetzt. Kernkraft sei nicht perfekt, aber allemal besser als Strom aus fossilen Energiequellen wie Kohle, Öl oder Gas. Und die erneuerbare Energien seien noch auf Jahrzehnte hinaus nicht in der Lage, eine 100-Prozent-Versorgung sicherzustellen, so Tindale. Dafür emittiere Kernenergie aber ebensowenig CO2 wie Windkraft und deutlich weniger als Solarenergie – von fossilen Energien ganz zu schweigen. Die britischen Liberaldemokraten sollten Kernenergie daher in ihr Parteiprogramm aufnehmen, plädiert Tindale.

Auch bei der Sicherheit kann Kernenergie punkten: Sie fordert pro erzeugter Strommenge weniger Opfer als sämtliche anderen Stromerzeugungsarten. Beispielsweise sterben durch Photovoltaik viermal mehr Menschen als durch Kernkraft. Fossile Energien liegen hinsichtlich der Opfer pro Terawattstunde ohnehin jenseits von Gut und Böse, besonders Kohle. Die guten Zahlen für Kernenergie gelten übrigens nicht erst für die künftigen, inhärent sicheren Kernreaktoren wie den Dual-Fluid-Reaktor, sondern bereits für die aktuellen Meiler.

Neuer Schwung

Der Dual-Fluid-Reaktor und die GreenTec-Awards-Posse haben neuen Schwung in die Kernkraftdiskussion in Deutschland gebracht, wie die jüngsten Veröffentlichungen in den Medien zeigen. Sogar ohne Präsentation bei den GreenTec Awards hat es der DFR immerhin in die Welt, die Wirtschaftswoche, die Technology Review, die Schweizer Weltwoche, die Neue Osnabrücker Zeitung, Telepolis und in den Bayernkurier geschafft – ganz zu schweigen von zahlreichen Blogs.

Für mich persönlich das eindrücklichste Aha-Erlebnis der letzten Wochen: Es gibt viel mehr Pro-Kernkraft-Leute, als ich vorher gedacht hatte! Und das ist eine echte Graswurzelbewegung mit lauter Enthusiasten, die sich um der Sache selbst willen engagieren und nicht, weil sie irgendeine Atomlobby vorgeschickt hätte. (Seit dem Abgang von Jürgen Großmann bei RWE gibt es in Deutschland sowieso keine Atomlobby mehr.) Einige Gleichgesinnte haben schon angekündigt, bei meinem Vortrag »Wohin mit dem Atommüll?« am 10. September in Erlangen dabei zu sein. Ich freue mich schon auf das persönliche Kennenlernen!

Die nukleare Graswurzel-Community hat in Sachen DFR vor und hinter den Kulissen einiges bewirkt, und ich habe das Vergnügen und die Ehre, Teil dieser Gemeinschaft zu sein und auch etwas beitragen zu können. Ich hoffe sehr, daß wir diesen durch den DFR induzierten Schwung nutzen können, daß wir gemeinsam Dinge tun, die einzelne nicht schaffen können. Die Antiatomaktivisten sind mit BUND, Greenpeace und so weiter derzeit noch viel besser organisiert als die Kernkraftbefürworter. Das muß sich ändern!

Da kommt die Idee gut an, nicht nur die AG Nuklearia als ungeliebtes Stiefkind der Piratenpartei zu haben, sondern den Nuklearia e.V. als parteiunabhängigen Verein zu gründen. Solch ein Verein kann auch Leute erreichen, die sich für Kernenergie einsetzen wollen, jedoch mit Politik nichts und mit den Piraten noch viel weniger am Hut haben. Die Vereinssatzung haben wir bereits fast fertig ausgearbeitet; weitere Schritte und die Gründung werden folgen. Wer mitmachen will, kann sich gern bei mir melden!

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