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Schilddrüsenkrebs – Was ist eigentlich normal?
Schilddrüsenkrebs – Was ist eigentlich normal?
Veröffentlicht am 2013-08-21
Von Rainer Klute
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18 von 210.000 bislang untersuchten Kindern in Fukushima hätten Schilddrüsenkrebs, meldete heute der japanische Fernsehsender NHK. Bei 25 Kindern bestünde ein Krebsverdacht; weitere 150.000 Kinder würden noch untersucht.

Die deutschen Medien griffen diese Meldung in bekannter Weise dankbar auf und brachten sie sogleich mit dem Reaktorunglück im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi in Zusammenhang, wie zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung. Sie brachte die Krebserkrankungen und den Austritt radioaktiven Wassers aus einem undichten Tank im selben Artikel. So behauptet die Süddeutsche zwar keinen Kausalzusammenhang, legt ihn aber dem Leser überaus deutlich nahe.

Nun ist diese Sorge ja in der Tat berechtigt. Immerhin kam es nach der Tschernobyl-Katastrophe laut WHO in Weißrußland, Rußland und der Ukraine zu fast 5.000 Schilddrüsenkrebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren.

Im Vergleich dazu erscheint eine Zahl von 18 Erkrankungen recht klein, obwohl jede einzelne für die Betroffenen natürlich mit Angst und Unsicherheit verbunden ist. Immerhin ist Schilddrüsenkrebs sehr gut zu behandeln.

Sind 18 Fälle nun viel oder wenig? Was ist eigentlich normal? Schilddrüsenkrebs tritt ja nicht nur im Umkreis havarierter Kernkraftwerke auf, sondern überall auf der Welt. Wieviele Menschen sind betroffen? Ich habe ein bißchen gegoogelt, einen Strahlenmediziner gefragt und ein paar spannende Fakten entdeckt.

Abbildung 1: Schilddrüsenkrebs: Jährliche Neuerkrankungs- und Sterbefälle sowie altersstandardisierte Neuerkrankungs- und Sterberaten (Europastandard) nach Geschlecht, Deutschland 1980–2004, ICD-10 (Quelle: Robert-Koch-Institut)

Mehr Frauen als Männer

Laut Robert-Koch-Institut erkrankten im Jahr 2005 in Deutschland 3.500 Frauen und 1.500 Männer an Schilddrüsenkrebs. Das sind 7 von 100.000 Frauen und 3 von 100.000 Männern (Abbildung 1).

Abbildung 2: Schilddrüsenkrebsdiagnosen nehmen zwischen 1997 und 2006 am stärksten zu. (Quelle: National Cancer Institute)

Zahl der Erkrankungen steigt Jahr für Jahr

Was Abbildung 1 auch zeigt: Die Zahl der Schilddrüsenerkrankungen steigt von Jahr zu Jahr deutlich an. Bei Frauen ist dieser Trend stärker ausgeprägt als bei Männern. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern eine weltweite Beobachtung. In den USA beispielsweise wächst Schilddrüsenkrebs mit Abstand am stärksten, während andere Krebsart weniger stark zulegen oder gar zurückgehen (Abbildung 2).

Die Ursache für die hohe Zunahme der Schilddrüsenkrebsdiagnosen ist vollkommen unbekannt. Sie liegt jedenfalls nicht nur an verbesserten Diagnosemöglichkeiten.

Überlebenswahrscheinlichkeit steigt

Glücklicherweise läßt sich Schilddrüsenkrebs sehr gut behandeln – je früher erkannt, desto besser. Während die Zahl der Erkrankungen jährlich steigt, geht die Anzahl der Sterbefälle zurück, bei Frauen wiederum ausgeprägter als bei Männern (Abbildung 1).

Ethnische Unterschiede

Deutliche Unterschiede bestehen zwischen verschiedenen Ethnien (früher: Rassen). Unter Weißen in den USA liegt die Schilddrüsenkrebshäufigkeit doppelt so hoch wie unter Schwarzen.

Abbildung 3: Schilddrüsenkrebs (C73), weltweite altersstandardisierte Inzidenzraten, Weltregionen, Schätzungen 2008 (Quelle: Cancer Research UK)

Regionale Unterschiede

Ebenso bestehen Unterschiede in der Schilddrüsenkrebshäufigkeit zwischen verschiedenen Weltregionen (Abbildung 3).

Abbildung 4: Schilddrüsenkrebs (C73), europaweite altersstandardisierte Inzidenzraten, EU-27-Länder, Schätzungen 2008 (Quelle: Cancer Research UK)

Europa

Doch auch innerhalb des vergleichsweise kleinen Europas bestehen von Land zu Land erstaunliche Unterschiede (Abbildung 4).

Und Fukushima?

Die Behörden in der Präfektur Fukushima weisen darauf hin, man könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die Krebserkrankungen auf das Reaktorunglück zurückzuführen sind oder nicht. Das ist unter Berücksichtigung des oben Gesagten wohl plausibel.

Leider geht aus der Meldung aus Japan nicht hervor, auf welchen Zeitraum sich die Zahl der neu erkrankten Kinder bezieht, wie es mit Neuerkrankungen bei Erwachsenen aussieht und wie groß die Grundgesamtheit ist. Sicherlich werden wir in Zukunft noch genauere Daten aus Fukushima bekommen. Doch die jetzt bekanntgewordenen Zahlen lassen keinen Anstieg der Schilddrüsenkrebsfälle um Größenordnungen erkennen, wie ihn manche befürchten.

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