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Energiepolitik: Vive la différence!
Energiepolitik: Vive la différence!
Veröffentlicht am 2012-06-10
Von Fabian Herrmann
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Schon mehrmals gab es in der Piratenpartei LQFB-Anträge, denenzufolge Aussagen im Sinne von “Die Piraten lehnen Energieerzeugung durch Kernspaltung ab” ins Programm aufgenommen werden sollten.

Natürlich sehen wir Nukleiden das anders, aber darum soll es hier ausnahmsweise nicht gehen: Vielmehr möchte ich gedanklich einen Schritt zurücktreten, und die ganze Sache von außen betrachten – als ob ich weder eine Pro- noch eine Antiatomposition einnehmen und die Frage neutral untersuchen würde.

Verbote sollten, damit sie der Gesellschaft nützen, zum einen sparsam eingesetzt werden, zum anderen spezifisch sein. Ein gutes Beispiel ist das Drogenverbot: Nicht alle Drogen sind in Deutschland illegal – Ethylalkohol und Nikotin sind legal, genauso wie LSA-haltige Windensamen, wobei letztere jedoch nicht als Nahrungsmittel verkauft werden dürfen. Auch Salvia Divinorum war bis vor wenigen Jahren noch nicht im Anhang des Bundesbetäubungsmittelgesetzes aufgeführt und durfte gehandelt werden. Bei den Piraten wird mit guten Begründungen darüber nachgedacht, dieses Gesetz zu lockern – z. Bsp. weist man darauf hin, dass Alkohol deutlich gravierendere soziale Schäden verursacht als Marihuana, oder dass Drogen nicht nur benutzt werden, um sich sinnlos “zuzudröhnen”, sondern dass bestimmte Substanzen auch Künstlern zur Inspiration dienen können.

Mit anderen Worten – soll ein Drogengesetz verabschiedet werden, so sind viele Fragen zu klären:

  • Welche Drogen sollen verboten werden? Welche nicht? (Begründungen…?)
  •  Unter welchen Bedingungen sollen die Drogen, die nicht verboten sind, gehandelt werden dürfen? Mit welchen Kontrollen/Auflagen?
  • Soll es erlaubt sein, illegale Drogen für den Eigengebrauch herzustellen?
  • usw.

Ebenso wie Betäubungsmittel ist die Energieversorgung ein sehr komplexes Thema – entsprechende Programmpunkte sollten daher durchdacht und spezifisch sein. Eine Aussage wie “Wir lehnen Energieerzeugung aus Kernspaltung ab” ist sehr allgemein und verwirft ein riesiges Spektrum an Energietechniken mit Bausch und Bogen. Genau wie bei den Drogen müssen bezüglich entsprechender Programmänderungen bzw. möglicher Gesetzesentwürfe viele Fragen beantwortet werden:

  • Welche Art von Kernspaltung lehnen wir ab? Welche eventuell nicht?
  • Was ist mit Forschungsreaktoren, die zwar Strom erzeugen, aber diesen nicht ins Netz einspeisen? (ähnlich EBR-I)
  • Was ist mit Spezialanwendungen wie z. Bsp. atomgetriebenen Schiffen?
  • usw…

Gerade die erste Frage (“Art der Kernspaltung…”) sollte genauer untersucht werden. “Kernspaltung” bedeutet per se ja nichts weiteres, als dass ein Atomkern in kleinere Fragmente zerlegt wird, ohne dass spezifiziert wird, wie und unter welchen Bedingungen dies geschieht. Manche würden nun antworten: Der Programmantrag bezieht sich auf Kernkraftwerke! Aber das wirft die neue Frage auf, welcher Kernkraftwerkstyp gemeint ist – nur die üblichen Leichtwasserreaktoren oder auch andere? Lehnt man Kernkraftwerke auch dann ab, wenn sie gar keine selbsterhaltende Kettenreaktion nutzen (und somit strenggenommen keinen Reaktor beinhalten) sondern eine subkritische beschleunigergetriebene Anordnung nach den Konzepten von Carlo Rubbia?

Das Hauptproblem mit Programmanträgen wie “Wir lehnen Energieerzeugung durch Kernspaltung ab” ist vielleicht, dass sie von vornherein auch zukünftige Entwicklungen auf diesem Gebiet ausklammert. Wer weiß, was Wissenschaftler in zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren entdecken werden? Vielleicht werden Energietechniken entwickelt, die auf dem Spalten von Kernen beruhen, aber vollständig anders ablaufen als es in heutigen Kernkraftwerken üblich ist?

Als interessantes Beispiel, das in diese Richtung geht, sei die “thermonukleare Fission” genannt. Sie beruht auf folgender Kernreaktion:

\mathrm{p} + {^{11}\mathrm{B}} \rightarrow 3 \, \alpha + 8.7 \, \mathrm{MeV}

Ein Proton (d.h. ein gewöhnlicher Wasserstoffkern) trifft auf einen Bor-11-Kern, welcher dadurch – nachdem für sehr kurze Zeit ein hochangeregtes Kohlenstoff-12-Isomer gebildet wurde – in drei Alphateilchen (Heliumkerne) zerplatzt und Energie freisetzt. Es wird ein Kern zerstört – daher handelt es sich strenggenommen um eine Spaltungsreaktion.

Zur Energiegewinnung ist diese Reaktion sehr attraktiv. Sie setzt keine Neutronen frei, sondern elektrisch geladene Alphateilchen, die direkt Strom erzeugen können, ohne dass irgendwelche Kühlkreisläufe oder Turbogeneratoren nötig wären. Auch wird mangels Neutronen die Reaktorschale nicht aktiviert. Manche überlegen daher, ob es möglich sein könnte, mittels sogenannter Polywell-Fusoren die p-B11-Reaktion als Energiequelle nutzbar zu machen.

Gäbe es ein komplettes Verbot jeglicher Kernspaltung, dann stünde diese Option nicht offen. Denn obwohl die Reaktion unter “fusionsartigen Bedingungen” – schnelle Teilchen werden zur Kollision gebracht – abläuft, werden Kerne zertrümmert und nicht aufgebaut. Zwar bezeichnet man sie geläufigerweise als “aneutronische Fusion”, doch vom Standpunkt der Physik her ist sie eigentlich eine Art thermonuklearer Fission.

Man sollte nicht vergessen, dass die Forschung mit Sicherheit immer weiter voranschreiten und neues hervorbringen wird. Matthias Meier von Final Frontier formuliert das sehr gut: “…über die Menschheitsgeschichte als Ganzes geschehen gab es stets nur eine Entwicklung: Vorwärts”. Bei Programmanträgen bezüglich Energiegewinnungsmethoden ist es sicher sinnvoll, dies im Hinterkopf zu behalten – unabhängig davon, welche Position man selbst vertritt. In einer demokratischen Gesellschaft sollten Gesetze und Verbote die Rolle einer Pinzette spielen, die da eingreift wo es eben nötig ist, und nicht die eines Holzhammers, mit dem ein ganzes Spektrum von Fragestellungen und Problemen attackiert wird.

Daher erschiene mir ein Programmantrag a la “Wir lehnen Energieerzeugung durch Kernspaltung ab” viel zu undifferenziert – etwa so als ob jemand beschließen würde: “Wir lehnen Förderung der Photovoltaik ab, da sie zu ineffizient ist”. Beides  müsste genauer ausgearbeitet werden, vor allem, da zukünftige Entwicklungen so von vornherein ausgesperrt werden würden. Man mag ältere Kernkraftwerke ablehnen – aber was ist mit neueren, die völlig anders aufgebaut sind? Photovoltaik mag heute noch ineffizient sein – aber was ist mit der Solartechnik, die in 30 oder 50 Jahren zur Verfügung stehen wird? Es gilt Unterschiede und Entwicklungen im Auge zu behalten, und für Zukünftiges offen zu sein!

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Politik